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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
und nicht etwan unkörperliche Wesen nach deutlichen
Einsichten oder nach einem dunkeln, in ihren Vorstel-
lungen liegenden Plane, wie Maupertuis sichs von
der Seele vorstellete, die ihren Körper bilden sollte, die
Organisation der Materie unmittelbar ertheilen.

9.

Die Bildungen in dem Mineralreich sind, wie die
Zusammensetzung bey den künstlichen Maschinen, in so
weit von den organischen Konkretionen unterschie-
den, als ihre Wirkungen, die sie hervorbringen, das
ist: so weit als Salze, Steine, Metalle und Maschi-
nen von organisirten Körpern es sind. Gleichwohl giebt
es doch einen Allgemeinbegriff von der Bildung
und ein allgemeines Gesetz der Bildung,
das von
ihnen allen abstrahirt und als die Vorstellung von
dem Gemeinschaftlichen und Aehnlichen in allen angesehen
werden kann, und durch die nähere Bestimmung dessen,
was dabey auf eine Größe und auf eine Vielheit an-
kommt, in das besondere Gesetz der organischen Bil-
dung übergehet. Wenn man sich auf eine plastische Na-
tur berief, so hieß dieß offenbar nichts mehr, als man
gab an, daß eine Ursache der Bildungen in der Natur
vorhanden sey, die man nicht kenne. Was das schlimm-
ste war, denn sonsten würde diese Art zu philosophiren
eben nicht fehlerhaft gewesen seyn, man glaubte etwas
erkläret zu haben und bis auf den ersten Urgrund ge-
kommen zu seyn, und schnitt alles weitere Forschen nach
einer deutlichen Vorstellung von der Entstehungsart die-
ser Konkretionen dem Verstande ab. Dieß hatte die
gewöhnliche Folge, daß man an einem verwirrten
Schein nagte, ohne einmal den Versuch zu machen ihn
aufzulösen, und über selbigen und seine Beschaffenheiten
raisonnirte, die nichts objektivisches und reelles waren,
sondern allein in der Undeutlichkeit des Meteors im Ver-

stande
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und Entwickelung des Menſchen.
und nicht etwan unkoͤrperliche Weſen nach deutlichen
Einſichten oder nach einem dunkeln, in ihren Vorſtel-
lungen liegenden Plane, wie Maupertuis ſichs von
der Seele vorſtellete, die ihren Koͤrper bilden ſollte, die
Organiſation der Materie unmittelbar ertheilen.

9.

Die Bildungen in dem Mineralreich ſind, wie die
Zuſammenſetzung bey den kuͤnſtlichen Maſchinen, in ſo
weit von den organiſchen Konkretionen unterſchie-
den, als ihre Wirkungen, die ſie hervorbringen, das
iſt: ſo weit als Salze, Steine, Metalle und Maſchi-
nen von organiſirten Koͤrpern es ſind. Gleichwohl giebt
es doch einen Allgemeinbegriff von der Bildung
und ein allgemeines Geſetz der Bildung,
das von
ihnen allen abſtrahirt und als die Vorſtellung von
dem Gemeinſchaftlichen und Aehnlichen in allen angeſehen
werden kann, und durch die naͤhere Beſtimmung deſſen,
was dabey auf eine Groͤße und auf eine Vielheit an-
kommt, in das beſondere Geſetz der organiſchen Bil-
dung uͤbergehet. Wenn man ſich auf eine plaſtiſche Na-
tur berief, ſo hieß dieß offenbar nichts mehr, als man
gab an, daß eine Urſache der Bildungen in der Natur
vorhanden ſey, die man nicht kenne. Was das ſchlimm-
ſte war, denn ſonſten wuͤrde dieſe Art zu philoſophiren
eben nicht fehlerhaft geweſen ſeyn, man glaubte etwas
erklaͤret zu haben und bis auf den erſten Urgrund ge-
kommen zu ſeyn, und ſchnitt alles weitere Forſchen nach
einer deutlichen Vorſtellung von der Entſtehungsart die-
ſer Konkretionen dem Verſtande ab. Dieß hatte die
gewoͤhnliche Folge, daß man an einem verwirrten
Schein nagte, ohne einmal den Verſuch zu machen ihn
aufzuloͤſen, und uͤber ſelbigen und ſeine Beſchaffenheiten
raiſonnirte, die nichts objektiviſches und reelles waren,
ſondern allein in der Undeutlichkeit des Meteors im Ver-

ſtande
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[473/0503] und Entwickelung des Menſchen. und nicht etwan unkoͤrperliche Weſen nach deutlichen Einſichten oder nach einem dunkeln, in ihren Vorſtel- lungen liegenden Plane, wie Maupertuis ſichs von der Seele vorſtellete, die ihren Koͤrper bilden ſollte, die Organiſation der Materie unmittelbar ertheilen. 9. Die Bildungen in dem Mineralreich ſind, wie die Zuſammenſetzung bey den kuͤnſtlichen Maſchinen, in ſo weit von den organiſchen Konkretionen unterſchie- den, als ihre Wirkungen, die ſie hervorbringen, das iſt: ſo weit als Salze, Steine, Metalle und Maſchi- nen von organiſirten Koͤrpern es ſind. Gleichwohl giebt es doch einen Allgemeinbegriff von der Bildung und ein allgemeines Geſetz der Bildung, das von ihnen allen abſtrahirt und als die Vorſtellung von dem Gemeinſchaftlichen und Aehnlichen in allen angeſehen werden kann, und durch die naͤhere Beſtimmung deſſen, was dabey auf eine Groͤße und auf eine Vielheit an- kommt, in das beſondere Geſetz der organiſchen Bil- dung uͤbergehet. Wenn man ſich auf eine plaſtiſche Na- tur berief, ſo hieß dieß offenbar nichts mehr, als man gab an, daß eine Urſache der Bildungen in der Natur vorhanden ſey, die man nicht kenne. Was das ſchlimm- ſte war, denn ſonſten wuͤrde dieſe Art zu philoſophiren eben nicht fehlerhaft geweſen ſeyn, man glaubte etwas erklaͤret zu haben und bis auf den erſten Urgrund ge- kommen zu ſeyn, und ſchnitt alles weitere Forſchen nach einer deutlichen Vorſtellung von der Entſtehungsart die- ſer Konkretionen dem Verſtande ab. Dieß hatte die gewoͤhnliche Folge, daß man an einem verwirrten Schein nagte, ohne einmal den Verſuch zu machen ihn aufzuloͤſen, und uͤber ſelbigen und ſeine Beſchaffenheiten raiſonnirte, die nichts objektiviſches und reelles waren, ſondern allein in der Undeutlichkeit des Meteors im Ver- ſtande G g 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/503>, abgerufen am 30.04.2024.