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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
giebt es mehrere Arten, wie sie entstehen
können. Von der Epigenesis, von der Ap-
position der Theile, und von der nicht durch-
gängigen Evolution. Unterschied zwischen
den Perioden der Bildung, des Auswach-
sens und der Fortdauer.

1.

Hr. Bonnet wiederholet es ohne Unterlaß, "die Nah-
rung forme nicht, vergrößere nur, und es entste-
hen keine neuen Formen." Aber was heißt denn for-
men,
und nur allein formen, und worinn ist die
Form von der Masse unterschieden? Hier ist ein
Punkt der aufzuhellen ist, und den Hr. Bonnet hätte
aufhellen sollen, ehe er allgemeine Folgerungen aus sei-
nem System zog. Die witzige Vergleichung der Form
mit den Maschen giebt einiges Licht, aber keinen deut-
lichen und bestimmten Begriff von der Sache. Was
gehört zur Form der Knochen, welche schon in dem Keim
liegen sollen? was zu ihrer Materie, die durch die Nah-
rung hinzukommt? Formt denn nicht der Saame des
Esels den Keim der Stute? Nein, sagt Hr. Bonnet,
die Theilchen in der Saamenfeuchtigkeit des Esels ent-
halten nur mehr von den Elementen, woraus die Ohren
bestehen, als der Saame des Hengstes. Jn dem
Keim der Stute war schon die Anlage, oder gleichsam
ein Strich zu den Ohren des Pferdes, eine gewisse Ma-
sche, die dazu gehörte. Dieser Strich wird nur stärker
aufgetragen, wird mehr ausgebildet, bekommt einen
höhern Grad des Entwickelungstriebes und mehr Ma-
terie. Die Masche wird stärker gedehnet. Es wach-
sen also in dem Maulesel längere Ohren hervor; dage-
gen die Maschen, die zu der Bildung des Schwan-
zes gehören, vertrocknen, weil sie zu wenig gedehnet

werden.

und Entwickelung des Menſchen.
giebt es mehrere Arten, wie ſie entſtehen
koͤnnen. Von der Epigeneſis, von der Ap-
poſition der Theile, und von der nicht durch-
gaͤngigen Evolution. Unterſchied zwiſchen
den Perioden der Bildung, des Auswach-
ſens und der Fortdauer.

1.

Hr. Bonnet wiederholet es ohne Unterlaß, „die Nah-
rung forme nicht, vergroͤßere nur, und es entſte-
hen keine neuen Formen.‟ Aber was heißt denn for-
men,
und nur allein formen, und worinn iſt die
Form von der Maſſe unterſchieden? Hier iſt ein
Punkt der aufzuhellen iſt, und den Hr. Bonnet haͤtte
aufhellen ſollen, ehe er allgemeine Folgerungen aus ſei-
nem Syſtem zog. Die witzige Vergleichung der Form
mit den Maſchen giebt einiges Licht, aber keinen deut-
lichen und beſtimmten Begriff von der Sache. Was
gehoͤrt zur Form der Knochen, welche ſchon in dem Keim
liegen ſollen? was zu ihrer Materie, die durch die Nah-
rung hinzukommt? Formt denn nicht der Saame des
Eſels den Keim der Stute? Nein, ſagt Hr. Bonnet,
die Theilchen in der Saamenfeuchtigkeit des Eſels ent-
halten nur mehr von den Elementen, woraus die Ohren
beſtehen, als der Saame des Hengſtes. Jn dem
Keim der Stute war ſchon die Anlage, oder gleichſam
ein Strich zu den Ohren des Pferdes, eine gewiſſe Ma-
ſche, die dazu gehoͤrte. Dieſer Strich wird nur ſtaͤrker
aufgetragen, wird mehr ausgebildet, bekommt einen
hoͤhern Grad des Entwickelungstriebes und mehr Ma-
terie. Die Maſche wird ſtaͤrker gedehnet. Es wach-
ſen alſo in dem Mauleſel laͤngere Ohren hervor; dage-
gen die Maſchen, die zu der Bildung des Schwan-
zes gehoͤren, vertrocknen, weil ſie zu wenig gedehnet

werden.
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[477/0507] und Entwickelung des Menſchen. giebt es mehrere Arten, wie ſie entſtehen koͤnnen. Von der Epigeneſis, von der Ap- poſition der Theile, und von der nicht durch- gaͤngigen Evolution. Unterſchied zwiſchen den Perioden der Bildung, des Auswach- ſens und der Fortdauer. 1. Hr. Bonnet wiederholet es ohne Unterlaß, „die Nah- rung forme nicht, vergroͤßere nur, und es entſte- hen keine neuen Formen.‟ Aber was heißt denn for- men, und nur allein formen, und worinn iſt die Form von der Maſſe unterſchieden? Hier iſt ein Punkt der aufzuhellen iſt, und den Hr. Bonnet haͤtte aufhellen ſollen, ehe er allgemeine Folgerungen aus ſei- nem Syſtem zog. Die witzige Vergleichung der Form mit den Maſchen giebt einiges Licht, aber keinen deut- lichen und beſtimmten Begriff von der Sache. Was gehoͤrt zur Form der Knochen, welche ſchon in dem Keim liegen ſollen? was zu ihrer Materie, die durch die Nah- rung hinzukommt? Formt denn nicht der Saame des Eſels den Keim der Stute? Nein, ſagt Hr. Bonnet, die Theilchen in der Saamenfeuchtigkeit des Eſels ent- halten nur mehr von den Elementen, woraus die Ohren beſtehen, als der Saame des Hengſtes. Jn dem Keim der Stute war ſchon die Anlage, oder gleichſam ein Strich zu den Ohren des Pferdes, eine gewiſſe Ma- ſche, die dazu gehoͤrte. Dieſer Strich wird nur ſtaͤrker aufgetragen, wird mehr ausgebildet, bekommt einen hoͤhern Grad des Entwickelungstriebes und mehr Ma- terie. Die Maſche wird ſtaͤrker gedehnet. Es wach- ſen alſo in dem Mauleſel laͤngere Ohren hervor; dage- gen die Maſchen, die zu der Bildung des Schwan- zes gehoͤren, vertrocknen, weil ſie zu wenig gedehnet werden.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/507>, abgerufen am 30.04.2024.