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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
2.

Um die Betrachtung einfach zu machen, ist es im
Anfang genug, nur eine Seite des Menschen, nur al-
lein seine vorstellende und denkende Kraft, vorzu-
nehmen. Denn was man hiebey antrift, indem sie ab-
nimmt, und die Art und Weise, wie solches ge-
schieht, und wiefern es geschieht, das läßt sich nach-
her leichter auf die übrigen Seelenvermögen anwenden.

Vor allen ist hier wiederum auf den Unterschied zwi-
schen der absoluten Stärke der Vermögen und ihrer
relativen Fertigkeiten, sich auf diese oder jene Arten
von Gegenständen zu verwenden, Rücksicht zu nehmen.
Die letztern sind desto größer, je mehr Jdeenreihen vor-
handen sind, die sich auf die Gegenstände beziehen. Je-
ne bestehen mehr in der innern Größe der thätigen Kraft
selbst. Der Stoff der Vorstellungen ist aus den Em-
pfindungen. Die ruhenden Vorstellungen im Gedächt-
nisse sind gewisse Dispositionen in dem Seelenwesen, auf
gewisse Arten leicht modificirt zu werden. Die Größe
in dem Vermögen diese letztern Dispositionen anzuneh-
men und dann, wenn sie einmal angenommen sind,
wiederzuerwecken, das ist, von der Disposition zu der
wirklichen Aktion überzugehen, dann die reproducirten
Jdeen zu bearbeiten: die Größe hierinn macht die ab-
solute Größe der Vorstellungskraft
aus. Setzet
man voraus, diese Dispositionen wären von einer glei-
chen Anzahl und von einer gleichen Völligkeit in zween
Köpfen vorhanden, auch daß sie, als Dispositionen be-
trachtet, mit gleicher Leichtigkeit, von einer gleichen Kraft
reproducirt werden könnten: so wird die Größe der ab-
soluten Vermögen
nun hievon abhangen. Je ge-
schwinder sie die Vorstellungen wiedererwecken kann;
je völliger sie dieß kann; bey je mehrern, wozu sonsten
die Dispositionen in ihr gleich sind, sie dieß zugleich

kann;
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und Entwickelung des Menſchen.
2.

Um die Betrachtung einfach zu machen, iſt es im
Anfang genug, nur eine Seite des Menſchen, nur al-
lein ſeine vorſtellende und denkende Kraft, vorzu-
nehmen. Denn was man hiebey antrift, indem ſie ab-
nimmt, und die Art und Weiſe, wie ſolches ge-
ſchieht, und wiefern es geſchieht, das laͤßt ſich nach-
her leichter auf die uͤbrigen Seelenvermoͤgen anwenden.

Vor allen iſt hier wiederum auf den Unterſchied zwi-
ſchen der abſoluten Staͤrke der Vermoͤgen und ihrer
relativen Fertigkeiten, ſich auf dieſe oder jene Arten
von Gegenſtaͤnden zu verwenden, Ruͤckſicht zu nehmen.
Die letztern ſind deſto groͤßer, je mehr Jdeenreihen vor-
handen ſind, die ſich auf die Gegenſtaͤnde beziehen. Je-
ne beſtehen mehr in der innern Groͤße der thaͤtigen Kraft
ſelbſt. Der Stoff der Vorſtellungen iſt aus den Em-
pfindungen. Die ruhenden Vorſtellungen im Gedaͤcht-
niſſe ſind gewiſſe Diſpoſitionen in dem Seelenweſen, auf
gewiſſe Arten leicht modificirt zu werden. Die Groͤße
in dem Vermoͤgen dieſe letztern Diſpoſitionen anzuneh-
men und dann, wenn ſie einmal angenommen ſind,
wiederzuerwecken, das iſt, von der Diſpoſition zu der
wirklichen Aktion uͤberzugehen, dann die reproducirten
Jdeen zu bearbeiten: die Groͤße hierinn macht die ab-
ſolute Groͤße der Vorſtellungskraft
aus. Setzet
man voraus, dieſe Diſpoſitionen waͤren von einer glei-
chen Anzahl und von einer gleichen Voͤlligkeit in zween
Koͤpfen vorhanden, auch daß ſie, als Diſpoſitionen be-
trachtet, mit gleicher Leichtigkeit, von einer gleichen Kraft
reproducirt werden koͤnnten: ſo wird die Groͤße der ab-
ſoluten Vermoͤgen
nun hievon abhangen. Je ge-
ſchwinder ſie die Vorſtellungen wiedererwecken kann;
je voͤlliger ſie dieß kann; bey je mehrern, wozu ſonſten
die Diſpoſitionen in ihr gleich ſind, ſie dieß zugleich

kann;
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[711/0741] und Entwickelung des Menſchen. 2. Um die Betrachtung einfach zu machen, iſt es im Anfang genug, nur eine Seite des Menſchen, nur al- lein ſeine vorſtellende und denkende Kraft, vorzu- nehmen. Denn was man hiebey antrift, indem ſie ab- nimmt, und die Art und Weiſe, wie ſolches ge- ſchieht, und wiefern es geſchieht, das laͤßt ſich nach- her leichter auf die uͤbrigen Seelenvermoͤgen anwenden. Vor allen iſt hier wiederum auf den Unterſchied zwi- ſchen der abſoluten Staͤrke der Vermoͤgen und ihrer relativen Fertigkeiten, ſich auf dieſe oder jene Arten von Gegenſtaͤnden zu verwenden, Ruͤckſicht zu nehmen. Die letztern ſind deſto groͤßer, je mehr Jdeenreihen vor- handen ſind, die ſich auf die Gegenſtaͤnde beziehen. Je- ne beſtehen mehr in der innern Groͤße der thaͤtigen Kraft ſelbſt. Der Stoff der Vorſtellungen iſt aus den Em- pfindungen. Die ruhenden Vorſtellungen im Gedaͤcht- niſſe ſind gewiſſe Diſpoſitionen in dem Seelenweſen, auf gewiſſe Arten leicht modificirt zu werden. Die Groͤße in dem Vermoͤgen dieſe letztern Diſpoſitionen anzuneh- men und dann, wenn ſie einmal angenommen ſind, wiederzuerwecken, das iſt, von der Diſpoſition zu der wirklichen Aktion uͤberzugehen, dann die reproducirten Jdeen zu bearbeiten: die Groͤße hierinn macht die ab- ſolute Groͤße der Vorſtellungskraft aus. Setzet man voraus, dieſe Diſpoſitionen waͤren von einer glei- chen Anzahl und von einer gleichen Voͤlligkeit in zween Koͤpfen vorhanden, auch daß ſie, als Diſpoſitionen be- trachtet, mit gleicher Leichtigkeit, von einer gleichen Kraft reproducirt werden koͤnnten: ſo wird die Groͤße der ab- ſoluten Vermoͤgen nun hievon abhangen. Je ge- ſchwinder ſie die Vorſtellungen wiedererwecken kann; je voͤlliger ſie dieß kann; bey je mehrern, wozu ſonſten die Diſpoſitionen in ihr gleich ſind, ſie dieß zugleich kann; Y y 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/741>, abgerufen am 30.04.2024.