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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
Aber die Abnahme des Alters ist von jener wesentlich
unterschieden, wie beide noch wiederum von derjenigen
Schwächung der Vermögen verschieden sind, die aus
Ermüdung oder aus andern zufälligen Ursachen entste-
het. Wenn man jede dieser Arten besonders ansieht, so
wird sich zugleich manches bey der erstern deutlicher be-
merken lassen.

III.
Von der Abnahme der Kräfte, welche aus ihrem
Nichtgebrauch entspringet.

1) Ob der Verlust ehemals gehabter Kenntnisse
als eine Einwickelung angesehen werden
könne?

2) Verlust der Vermögen aus dem Nichtge-
brauch.

3) Was die Zurücksetzung der Seele in den
Zustand der Kindheit in sich fasse?

1.

Wir vergessen und verlernen schon manches in den Jah-
ren, wo das Vermögen sich an etwas zu erinnern
und zu handeln noch in seiner vollen Stärke ist, und
vielleicht noch größer ist, als es zu der Zeit war, da wir
uns das Vergessene und Verlernte zum erstenmal ein-
prägten. Es ist eine gemeine Erfahrung, daß Vorstel-
lungen, die in langer Zeit nicht erneuert werden, zu-
mal wenn in dieser Zwischenzeit eine Menge anderer hin-
zukommen, die uns mehr interessiren, bis dahin in uns
verlöschen können, daß wir unvermögend sind, auch durch
Anstrengung des Gedächtnisses sie wiederum zum Be-
wußtseyn zu erwecken. Dieß trifft alle Gattungen von
Vorstellungen, Jdeen und Gedanken; zunächst die
Jdeen von den Gegenständen; dann die Vorstellungen

von
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und Entwickelung des Menſchen.
Aber die Abnahme des Alters iſt von jener weſentlich
unterſchieden, wie beide noch wiederum von derjenigen
Schwaͤchung der Vermoͤgen verſchieden ſind, die aus
Ermuͤdung oder aus andern zufaͤlligen Urſachen entſte-
het. Wenn man jede dieſer Arten beſonders anſieht, ſo
wird ſich zugleich manches bey der erſtern deutlicher be-
merken laſſen.

III.
Von der Abnahme der Kraͤfte, welche aus ihrem
Nichtgebrauch entſpringet.

1) Ob der Verluſt ehemals gehabter Kenntniſſe
als eine Einwickelung angeſehen werden
koͤnne?

2) Verluſt der Vermoͤgen aus dem Nichtge-
brauch.

3) Was die Zuruͤckſetzung der Seele in den
Zuſtand der Kindheit in ſich faſſe?

1.

Wir vergeſſen und verlernen ſchon manches in den Jah-
ren, wo das Vermoͤgen ſich an etwas zu erinnern
und zu handeln noch in ſeiner vollen Staͤrke iſt, und
vielleicht noch groͤßer iſt, als es zu der Zeit war, da wir
uns das Vergeſſene und Verlernte zum erſtenmal ein-
praͤgten. Es iſt eine gemeine Erfahrung, daß Vorſtel-
lungen, die in langer Zeit nicht erneuert werden, zu-
mal wenn in dieſer Zwiſchenzeit eine Menge anderer hin-
zukommen, die uns mehr intereſſiren, bis dahin in uns
verloͤſchen koͤnnen, daß wir unvermoͤgend ſind, auch durch
Anſtrengung des Gedaͤchtniſſes ſie wiederum zum Be-
wußtſeyn zu erwecken. Dieß trifft alle Gattungen von
Vorſtellungen, Jdeen und Gedanken; zunaͤchſt die
Jdeen von den Gegenſtaͤnden; dann die Vorſtellungen

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[729/0759] und Entwickelung des Menſchen. Aber die Abnahme des Alters iſt von jener weſentlich unterſchieden, wie beide noch wiederum von derjenigen Schwaͤchung der Vermoͤgen verſchieden ſind, die aus Ermuͤdung oder aus andern zufaͤlligen Urſachen entſte- het. Wenn man jede dieſer Arten beſonders anſieht, ſo wird ſich zugleich manches bey der erſtern deutlicher be- merken laſſen. III. Von der Abnahme der Kraͤfte, welche aus ihrem Nichtgebrauch entſpringet. 1) Ob der Verluſt ehemals gehabter Kenntniſſe als eine Einwickelung angeſehen werden koͤnne? 2) Verluſt der Vermoͤgen aus dem Nichtge- brauch. 3) Was die Zuruͤckſetzung der Seele in den Zuſtand der Kindheit in ſich faſſe? 1. Wir vergeſſen und verlernen ſchon manches in den Jah- ren, wo das Vermoͤgen ſich an etwas zu erinnern und zu handeln noch in ſeiner vollen Staͤrke iſt, und vielleicht noch groͤßer iſt, als es zu der Zeit war, da wir uns das Vergeſſene und Verlernte zum erſtenmal ein- praͤgten. Es iſt eine gemeine Erfahrung, daß Vorſtel- lungen, die in langer Zeit nicht erneuert werden, zu- mal wenn in dieſer Zwiſchenzeit eine Menge anderer hin- zukommen, die uns mehr intereſſiren, bis dahin in uns verloͤſchen koͤnnen, daß wir unvermoͤgend ſind, auch durch Anſtrengung des Gedaͤchtniſſes ſie wiederum zum Be- wußtſeyn zu erwecken. Dieß trifft alle Gattungen von Vorſtellungen, Jdeen und Gedanken; zunaͤchſt die Jdeen von den Gegenſtaͤnden; dann die Vorſtellungen von Z z 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/759>, abgerufen am 30.04.2024.