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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

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Die Kartoffeln.
breitete ihren Gebrauch aus Virginien erst in Irland im Jahre 1623 allge-
meiner. Jedoch waren sie in Italien schon 1588 ziemlich bekannt, und es
ist wahrscheinlich, daß sie von daher zuerst nach Deutschland kamen, weil man
sie in Italien tartoffoli nannte, und unsre gewöhnlichste Benennung nur da-
her stammen kann. Gemeiner wurden sie jedoch in Deutschland erst um das
Jahr 1710. Von dieser Zeit an wurden sie als ein ziemlich gewöhnliches Ge-
wächs in den Küchengärten angesehen, aber mehr von den wohlhabenderen als
vom gemeinen Manne gegessen. 1760 verbreitete sich zu Ende des siebenjäh-
rigen Krieges ihr Gebrauch mehr, doch sah man in den mehrsten Gegenden ih-
ren Anbau im freien Felde noch als etwas sehr sonderbares, ausschweiffendes
und ungebührendes an. Der größere Anbau im Felde ward erst in den Jahren
1771 und 1772 beliebter, wie der allgemeine Mißwachs im Getreide und die
daher entstandene Hungersnoth die Menschen lehrte, daß man von Kartoffeln --
die man bisher nur als eine Nebenspeise betrachtete -- allein und so gut wie
vom Brode leben könne. Dennoch blieb ihr Anbau noch auf den Bedarf für
die Menschen beschränkt, und man fing erst an, den etwanigen Ueberfluß und
Abfall dem Viehe zu geben. Dabei lernte man allmählig, daß es auch vor-
theilhaft seyn könne, sie für das Vieh eigens zu erbauen, und es war wohl
zuerst Bergen, in seiner Anleitung zur Viehzucht, der ihren Anbau im Großen
zu diesem Zwecke predigte, und zur Ersparung der Handarbeit eine Art von
Pferdehacke empfahl. Es scheint uns jetzt sonderbar, daß die hohe Nutzbar-
keit dieses Gewächses so lange verkannt wurde, und der größere Anbau desselben
sich so lange verzögerte.

Ich habe mich mit dem Anbau keiner Pflanze so sehr beschäftigt, wie mit
dieser. Früher noch, als ich Ackerbau zu treiben anfig, erregten die unzähli-
gen Varietäten, welche aus dem Saamen derselben entstanden, meine Aufmerk-
samkeit, und ich behandelte sie auf die mannichfaltigste Weise, damals beson-
ders als Pflanzen-Physiolog, und um zu erfahren, ob der Boden oder die Be-
fruchtung die Abarten bewirke. Nachmals habe ich in Ansehung ihres Anbaues
alle Methoden anderer, und die ich mir selbst erdachte, versucht. In Anse-
hung des Ertrages waren die Resultate der verschiedenen Pflanzungs- und Be-
arbeitungs-Methoden, wenn sie nur nicht ganz unzweckmäßig angebracht oder

Die Kartoffeln.
breitete ihren Gebrauch aus Virginien erſt in Irland im Jahre 1623 allge-
meiner. Jedoch waren ſie in Italien ſchon 1588 ziemlich bekannt, und es
iſt wahrſcheinlich, daß ſie von daher zuerſt nach Deutſchland kamen, weil man
ſie in Italien tartoffoli nannte, und unſre gewoͤhnlichſte Benennung nur da-
her ſtammen kann. Gemeiner wurden ſie jedoch in Deutſchland erſt um das
Jahr 1710. Von dieſer Zeit an wurden ſie als ein ziemlich gewoͤhnliches Ge-
waͤchs in den Kuͤchengaͤrten angeſehen, aber mehr von den wohlhabenderen als
vom gemeinen Manne gegeſſen. 1760 verbreitete ſich zu Ende des ſiebenjaͤh-
rigen Krieges ihr Gebrauch mehr, doch ſah man in den mehrſten Gegenden ih-
ren Anbau im freien Felde noch als etwas ſehr ſonderbares, ausſchweiffendes
und ungebuͤhrendes an. Der groͤßere Anbau im Felde ward erſt in den Jahren
1771 und 1772 beliebter, wie der allgemeine Mißwachs im Getreide und die
daher entſtandene Hungersnoth die Menſchen lehrte, daß man von Kartoffeln —
die man bisher nur als eine Nebenſpeiſe betrachtete — allein und ſo gut wie
vom Brode leben koͤnne. Dennoch blieb ihr Anbau noch auf den Bedarf fuͤr
die Menſchen beſchraͤnkt, und man fing erſt an, den etwanigen Ueberfluß und
Abfall dem Viehe zu geben. Dabei lernte man allmaͤhlig, daß es auch vor-
theilhaft ſeyn koͤnne, ſie fuͤr das Vieh eigens zu erbauen, und es war wohl
zuerſt Bergen, in ſeiner Anleitung zur Viehzucht, der ihren Anbau im Großen
zu dieſem Zwecke predigte, und zur Erſparung der Handarbeit eine Art von
Pferdehacke empfahl. Es ſcheint uns jetzt ſonderbar, daß die hohe Nutzbar-
keit dieſes Gewaͤchſes ſo lange verkannt wurde, und der groͤßere Anbau deſſelben
ſich ſo lange verzoͤgerte.

Ich habe mich mit dem Anbau keiner Pflanze ſo ſehr beſchaͤftigt, wie mit
dieſer. Fruͤher noch, als ich Ackerbau zu treiben anfig, erregten die unzaͤhli-
gen Varietaͤten, welche aus dem Saamen derſelben entſtanden, meine Aufmerk-
ſamkeit, und ich behandelte ſie auf die mannichfaltigſte Weiſe, damals beſon-
ders als Pflanzen-Phyſiolog, und um zu erfahren, ob der Boden oder die Be-
fruchtung die Abarten bewirke. Nachmals habe ich in Anſehung ihres Anbaues
alle Methoden anderer, und die ich mir ſelbſt erdachte, verſucht. In Anſe-
hung des Ertrages waren die Reſultate der verſchiedenen Pflanzungs- und Be-
arbeitungs-Methoden, wenn ſie nur nicht ganz unzweckmaͤßig angebracht oder

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[207/0231] Die Kartoffeln. breitete ihren Gebrauch aus Virginien erſt in Irland im Jahre 1623 allge- meiner. Jedoch waren ſie in Italien ſchon 1588 ziemlich bekannt, und es iſt wahrſcheinlich, daß ſie von daher zuerſt nach Deutſchland kamen, weil man ſie in Italien tartoffoli nannte, und unſre gewoͤhnlichſte Benennung nur da- her ſtammen kann. Gemeiner wurden ſie jedoch in Deutſchland erſt um das Jahr 1710. Von dieſer Zeit an wurden ſie als ein ziemlich gewoͤhnliches Ge- waͤchs in den Kuͤchengaͤrten angeſehen, aber mehr von den wohlhabenderen als vom gemeinen Manne gegeſſen. 1760 verbreitete ſich zu Ende des ſiebenjaͤh- rigen Krieges ihr Gebrauch mehr, doch ſah man in den mehrſten Gegenden ih- ren Anbau im freien Felde noch als etwas ſehr ſonderbares, ausſchweiffendes und ungebuͤhrendes an. Der groͤßere Anbau im Felde ward erſt in den Jahren 1771 und 1772 beliebter, wie der allgemeine Mißwachs im Getreide und die daher entſtandene Hungersnoth die Menſchen lehrte, daß man von Kartoffeln — die man bisher nur als eine Nebenſpeiſe betrachtete — allein und ſo gut wie vom Brode leben koͤnne. Dennoch blieb ihr Anbau noch auf den Bedarf fuͤr die Menſchen beſchraͤnkt, und man fing erſt an, den etwanigen Ueberfluß und Abfall dem Viehe zu geben. Dabei lernte man allmaͤhlig, daß es auch vor- theilhaft ſeyn koͤnne, ſie fuͤr das Vieh eigens zu erbauen, und es war wohl zuerſt Bergen, in ſeiner Anleitung zur Viehzucht, der ihren Anbau im Großen zu dieſem Zwecke predigte, und zur Erſparung der Handarbeit eine Art von Pferdehacke empfahl. Es ſcheint uns jetzt ſonderbar, daß die hohe Nutzbar- keit dieſes Gewaͤchſes ſo lange verkannt wurde, und der groͤßere Anbau deſſelben ſich ſo lange verzoͤgerte. Ich habe mich mit dem Anbau keiner Pflanze ſo ſehr beſchaͤftigt, wie mit dieſer. Fruͤher noch, als ich Ackerbau zu treiben anfig, erregten die unzaͤhli- gen Varietaͤten, welche aus dem Saamen derſelben entſtanden, meine Aufmerk- ſamkeit, und ich behandelte ſie auf die mannichfaltigſte Weiſe, damals beſon- ders als Pflanzen-Phyſiolog, und um zu erfahren, ob der Boden oder die Be- fruchtung die Abarten bewirke. Nachmals habe ich in Anſehung ihres Anbaues alle Methoden anderer, und die ich mir ſelbſt erdachte, verſucht. In Anſe- hung des Ertrages waren die Reſultate der verſchiedenen Pflanzungs- und Be- arbeitungs-Methoden, wenn ſie nur nicht ganz unzweckmaͤßig angebracht oder

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/231>, abgerufen am 26.04.2024.