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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

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Die Rindviehzucht.
angetroffen habe, schien mir auch die Gestalt eine andere Abstammung zu ver-
rathen. Es ist feinknochig, kurzbeinig, lang- und tiefleibig, in den Vorder-
theilen nach Verhältniß schwächer, in den Hintertheilen breiter und stärker,
hat eine besondere Physiognomie, feine Kinnladen, ein spitz zulaufendes Maul,
dünneren Kopf und Hals, ein weiblicheres Ansehn, welches sich zuweilen so-
gar beim männlichen Geschlechte äußert, und sich auf selbiges vielleicht noch
mehr fortpflanzen würde, wenn man nicht in der Regel Individuen von an-
derer Gestalt, mit den gröbsten Knochen und dickstem Kopfe, zu Springochsen
auswählte. Es ist munter und sehr hart, es hält sich auch auf schlechter und
knapper Weide besser in Milch und bei Fleische als anderes Landvieh.

Als Mastvieh wird es vorzüglich geschätzt, wegen der Feinheit und Saf-
tigkeit seiner Fleischfasern und wegen des geringeren Gewichts der Knochen und
des Abfalls gegen die nutzbaren Theile. Auch setzt es leicht Fleisch und Fett auf,
letzteres nicht so sehr auf den äußeren Theilen, als zwischen dem Fleische und
den Muskelfasern, wo also Fleisch und Fett so angenehm durchwachsen sind.
Wo man dieses Fleisch kennt, wird ein gleiches Gewicht sehr gern theurer be-
zahlt. Bei guter Fütterung werden die Kühe, welche zu Anfange der Milchzeit
sehr mager scheinen, fetter, so wie sie an der Milch abnehmen, und sind dann zu
Ende der Milchzeit schlachtbar.

So wie wir es gewöhnlich erhalten, ist es kleiner, wie der Mittelschlag
unsres deutschen Landviehes, wegen der kärglichen Pflege, die solches Vieh ge-
wöhnlich in seinem Vaterlande erhält, und der frühen Begattung. Wenn eine
daher gebrachte Ferse nicht schon trächtig war, und dann in gute Fütterung
kam, so habe ich sie eine beträchtliche Länge aber nie eine ausgezeichnete Höhe
erreichen sehen. Ihre bei reicher Fütterung auferzogene Descendenz kann aber
sehr stark werden, und eine Kuh dieser Art, welche gleich nach dem Abmelken
geschlachtet wurde, gab 550 Pfund Schlächtergewicht. Auch in ihrem Vater-
lande giebt es Thiere dieser Race von vorzüglicher Länge (hoch wird es nie)
und erstaunlicher Milchergiebigkeit, die aber nicht Handelswaare sind. Viel-
leicht verdient keine Race unter den gewöhnlichen Verhältnissen unsre Sorg-
falt in der Veredlung so sehr, wie diese.


Die Rindviehzucht.
angetroffen habe, ſchien mir auch die Geſtalt eine andere Abſtammung zu ver-
rathen. Es iſt feinknochig, kurzbeinig, lang- und tiefleibig, in den Vorder-
theilen nach Verhaͤltniß ſchwaͤcher, in den Hintertheilen breiter und ſtaͤrker,
hat eine beſondere Phyſiognomie, feine Kinnladen, ein ſpitz zulaufendes Maul,
duͤnneren Kopf und Hals, ein weiblicheres Anſehn, welches ſich zuweilen ſo-
gar beim maͤnnlichen Geſchlechte aͤußert, und ſich auf ſelbiges vielleicht noch
mehr fortpflanzen wuͤrde, wenn man nicht in der Regel Individuen von an-
derer Geſtalt, mit den groͤbſten Knochen und dickſtem Kopfe, zu Springochſen
auswaͤhlte. Es iſt munter und ſehr hart, es haͤlt ſich auch auf ſchlechter und
knapper Weide beſſer in Milch und bei Fleiſche als anderes Landvieh.

Als Maſtvieh wird es vorzuͤglich geſchaͤtzt, wegen der Feinheit und Saf-
tigkeit ſeiner Fleiſchfaſern und wegen des geringeren Gewichts der Knochen und
des Abfalls gegen die nutzbaren Theile. Auch ſetzt es leicht Fleiſch und Fett auf,
letzteres nicht ſo ſehr auf den aͤußeren Theilen, als zwiſchen dem Fleiſche und
den Muskelfaſern, wo alſo Fleiſch und Fett ſo angenehm durchwachſen ſind.
Wo man dieſes Fleiſch kennt, wird ein gleiches Gewicht ſehr gern theurer be-
zahlt. Bei guter Fuͤtterung werden die Kuͤhe, welche zu Anfange der Milchzeit
ſehr mager ſcheinen, fetter, ſo wie ſie an der Milch abnehmen, und ſind dann zu
Ende der Milchzeit ſchlachtbar.

So wie wir es gewoͤhnlich erhalten, iſt es kleiner, wie der Mittelſchlag
unſres deutſchen Landviehes, wegen der kaͤrglichen Pflege, die ſolches Vieh ge-
woͤhnlich in ſeinem Vaterlande erhaͤlt, und der fruͤhen Begattung. Wenn eine
daher gebrachte Ferſe nicht ſchon traͤchtig war, und dann in gute Fuͤtterung
kam, ſo habe ich ſie eine betraͤchtliche Laͤnge aber nie eine ausgezeichnete Hoͤhe
erreichen ſehen. Ihre bei reicher Fuͤtterung auferzogene Descendenz kann aber
ſehr ſtark werden, und eine Kuh dieſer Art, welche gleich nach dem Abmelken
geſchlachtet wurde, gab 550 Pfund Schlaͤchtergewicht. Auch in ihrem Vater-
lande giebt es Thiere dieſer Raçe von vorzuͤglicher Laͤnge (hoch wird es nie)
und erſtaunlicher Milchergiebigkeit, die aber nicht Handelswaare ſind. Viel-
leicht verdient keine Raçe unter den gewoͤhnlichen Verhaͤltniſſen unſre Sorg-
falt in der Veredlung ſo ſehr, wie dieſe.


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[302/0326] Die Rindviehzucht. angetroffen habe, ſchien mir auch die Geſtalt eine andere Abſtammung zu ver- rathen. Es iſt feinknochig, kurzbeinig, lang- und tiefleibig, in den Vorder- theilen nach Verhaͤltniß ſchwaͤcher, in den Hintertheilen breiter und ſtaͤrker, hat eine beſondere Phyſiognomie, feine Kinnladen, ein ſpitz zulaufendes Maul, duͤnneren Kopf und Hals, ein weiblicheres Anſehn, welches ſich zuweilen ſo- gar beim maͤnnlichen Geſchlechte aͤußert, und ſich auf ſelbiges vielleicht noch mehr fortpflanzen wuͤrde, wenn man nicht in der Regel Individuen von an- derer Geſtalt, mit den groͤbſten Knochen und dickſtem Kopfe, zu Springochſen auswaͤhlte. Es iſt munter und ſehr hart, es haͤlt ſich auch auf ſchlechter und knapper Weide beſſer in Milch und bei Fleiſche als anderes Landvieh. Als Maſtvieh wird es vorzuͤglich geſchaͤtzt, wegen der Feinheit und Saf- tigkeit ſeiner Fleiſchfaſern und wegen des geringeren Gewichts der Knochen und des Abfalls gegen die nutzbaren Theile. Auch ſetzt es leicht Fleiſch und Fett auf, letzteres nicht ſo ſehr auf den aͤußeren Theilen, als zwiſchen dem Fleiſche und den Muskelfaſern, wo alſo Fleiſch und Fett ſo angenehm durchwachſen ſind. Wo man dieſes Fleiſch kennt, wird ein gleiches Gewicht ſehr gern theurer be- zahlt. Bei guter Fuͤtterung werden die Kuͤhe, welche zu Anfange der Milchzeit ſehr mager ſcheinen, fetter, ſo wie ſie an der Milch abnehmen, und ſind dann zu Ende der Milchzeit ſchlachtbar. So wie wir es gewoͤhnlich erhalten, iſt es kleiner, wie der Mittelſchlag unſres deutſchen Landviehes, wegen der kaͤrglichen Pflege, die ſolches Vieh ge- woͤhnlich in ſeinem Vaterlande erhaͤlt, und der fruͤhen Begattung. Wenn eine daher gebrachte Ferſe nicht ſchon traͤchtig war, und dann in gute Fuͤtterung kam, ſo habe ich ſie eine betraͤchtliche Laͤnge aber nie eine ausgezeichnete Hoͤhe erreichen ſehen. Ihre bei reicher Fuͤtterung auferzogene Descendenz kann aber ſehr ſtark werden, und eine Kuh dieſer Art, welche gleich nach dem Abmelken geſchlachtet wurde, gab 550 Pfund Schlaͤchtergewicht. Auch in ihrem Vater- lande giebt es Thiere dieſer Raçe von vorzuͤglicher Laͤnge (hoch wird es nie) und erſtaunlicher Milchergiebigkeit, die aber nicht Handelswaare ſind. Viel- leicht verdient keine Raçe unter den gewoͤhnlichen Verhaͤltniſſen unſre Sorg- falt in der Veredlung ſo ſehr, wie dieſe.

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/326>, abgerufen am 26.04.2024.