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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Glückseligkeit des Menschen.
sind/ und erwecket dadurch Zeit wehrenden
Schmertzen eine grosse Ungedult/ die ihm diesel-
ben vielmehr empfindlich macht; Ja es läst ihm
seine angewöhnte Gemüths-Unruhe nicht ein-
mahl zu/ daß er sich mit Betrachtung der vergan-
genen Pein belustigen solle/ sondern das blosse
Anhören und Erwehnung des Nahmens dersel-
ben prägt ihm eine so verdrießliche Idee ein/ als
wenn dieselbige alsbald wieder gegenwärtig
wäre.

124.

Nun haben wir noch die Güter der
Seelen
übrig/ Weißheit und Tugend. Bey-
de sind nöthige und wesentliche Stücke der Ge-
mühts-Ruhe/ dergestalt/ das ohne dieselben ein
Mensch keine Gemüths-Ruhe besitzen kan/ son-
dern höchst elend seyn muß. Die Weißheit
reiniget den Verstand/ daß er die Eitelkeit aller
andern Güter und die wahre Glückseeligkeit der
Gemüths-Ruhe erkennet/ und dadurch denn Wil-
len disponiret/ gegen jene indifferent zu seyn/ nach
dieser aber hauptfächlich zu trachten. Und die
Tugend jaget der Gemüths-Ruhe nach/ und
wenn sie dieselbige erhalten/ giebt sie ihr durch ei-
ne stetswehrende Bewegung tugendhaffter Tha-
ten das Leben/ und ist also zugleich die Mutter
und Tochter der wahren Glückligkeit.

125.

Hingegen wenn ein Mensch von der
Erkäntniß der wahren Glückseeligkeit verfehlet/
und die Schein-Güter für dieselbige annimmt/
auch durch diese Betrügung seines Wahns an

statt

Gluͤckſeligkeit des Menſchen.
ſind/ und erwecket dadurch Zeit wehrenden
Schmertzen eine groſſe Ungedult/ die ihm dieſel-
ben vielmehr empfindlich macht; Ja es laͤſt ihm
ſeine angewoͤhnte Gemuͤths-Unruhe nicht ein-
mahl zu/ daß er ſich mit Betrachtung der vergan-
genen Pein beluſtigen ſolle/ ſondern das bloſſe
Anhoͤren und Erwehnung des Nahmens derſel-
ben praͤgt ihm eine ſo verdrießliche Idee ein/ als
wenn dieſelbige alsbald wieder gegenwaͤrtig
waͤre.

124.

Nun haben wir noch die Guͤter der
Seelen
uͤbrig/ Weißheit und Tugend. Bey-
de ſind noͤthige und weſentliche Stuͤcke der Ge-
muͤhts-Ruhe/ dergeſtalt/ das ohne dieſelben ein
Menſch keine Gemuͤths-Ruhe beſitzen kan/ ſon-
dern hoͤchſt elend ſeyn muß. Die Weißheit
reiniget den Verſtand/ daß er die Eitelkeit aller
andern Guͤter und die wahre Gluͤckſeeligkeit der
Gemuͤths-Ruhe erkennet/ und dadurch deñ Wil-
len diſponiret/ gegẽ jene indifferent zu ſeyn/ nach
dieſer aber hauptfaͤchlich zu trachten. Und die
Tugend jaget der Gemuͤths-Ruhe nach/ und
wenn ſie dieſelbige erhalten/ giebt ſie ihr durch ei-
ne ſtetswehrende Bewegung tugendhaffter Tha-
ten das Leben/ und iſt alſo zugleich die Mutter
und Tochter der wahren Gluͤckligkeit.

125.

Hingegen wenn ein Menſch von der
Erkaͤntniß der wahren Gluͤckſeeligkeit verfehlet/
und die Schein-Guͤter fuͤr dieſelbige annimmt/
auch durch dieſe Betruͤgung ſeines Wahns an

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[111/0143] Gluͤckſeligkeit des Menſchen. ſind/ und erwecket dadurch Zeit wehrenden Schmertzen eine groſſe Ungedult/ die ihm dieſel- ben vielmehr empfindlich macht; Ja es laͤſt ihm ſeine angewoͤhnte Gemuͤths-Unruhe nicht ein- mahl zu/ daß er ſich mit Betrachtung der vergan- genen Pein beluſtigen ſolle/ ſondern das bloſſe Anhoͤren und Erwehnung des Nahmens derſel- ben praͤgt ihm eine ſo verdrießliche Idee ein/ als wenn dieſelbige alsbald wieder gegenwaͤrtig waͤre. 124. Nun haben wir noch die Guͤter der Seelen uͤbrig/ Weißheit und Tugend. Bey- de ſind noͤthige und weſentliche Stuͤcke der Ge- muͤhts-Ruhe/ dergeſtalt/ das ohne dieſelben ein Menſch keine Gemuͤths-Ruhe beſitzen kan/ ſon- dern hoͤchſt elend ſeyn muß. Die Weißheit reiniget den Verſtand/ daß er die Eitelkeit aller andern Guͤter und die wahre Gluͤckſeeligkeit der Gemuͤths-Ruhe erkennet/ und dadurch deñ Wil- len diſponiret/ gegẽ jene indifferent zu ſeyn/ nach dieſer aber hauptfaͤchlich zu trachten. Und die Tugend jaget der Gemuͤths-Ruhe nach/ und wenn ſie dieſelbige erhalten/ giebt ſie ihr durch ei- ne ſtetswehrende Bewegung tugendhaffter Tha- ten das Leben/ und iſt alſo zugleich die Mutter und Tochter der wahren Gluͤckligkeit. 125. Hingegen wenn ein Menſch von der Erkaͤntniß der wahren Gluͤckſeeligkeit verfehlet/ und die Schein-Guͤter fuͤr dieſelbige annimmt/ auch durch dieſe Betruͤgung ſeines Wahns an ſtatt

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/143>, abgerufen am 26.04.2024.