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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 5. Hauptst. von der allgemeinen
der Gutthätigkeit und derselben correspondi-
renden Danckbarkeit billig zu beobachten sey.

28.

Denn was die Leutseeligkeit betrifft/ so
haben wir oben erwehnet/ daß die allgemeine Lie-
be mehr ein Mangel eines Hasses/ als eine wahr-
hafftige Liebe zu nennen sey. Und weil sie dem-
nach in nichtes mehr als in schlechten und gemei-
nen Bezeigungen bestehet/ die einem nicht sauer
ankommen/ oder die ohne einigen Nachtheil unse-
rer Güter geleistet werden können/ und sich in der
allgemeinen Gleichheit der menschlichen Natur
gründen/ auch von allen und jeden Menschen zu
erwarten stehen/ so hat eben diese Gleichheit und
Geringschätzigkeit derer Dienste in Ansehen
des Gebers erfordert/ daß man zu denenselben
niemand zwingen solle/ damit diese allgemeine Lie-
be destomehr dadurch erkennet und bey andern
gleichergestalt angefeuret werde/ wenn man der
Schamhafftigkeit anderer Menschen einig und
alleine die Bezeugungen der Leutseeligkeit über-
liesse. Ja es würde auch eben diese Gleichheit
der menschlichen Natur gröblich verletzet werden/
wenn man einigen Menschen darzu zwingen wol-
te. Man erwartet ja dieselbigen ohne Unter-
scheid von allen Menschen/ indem sie alle wegen
ihrer menschlichen Natur darzu verpflichtet sind.
Wolte man aber nun unter dem gantzen mensch-
lichen Gesehlechte nach seinem Gefallen einen
Menschen für den andern sich aussehen an den
man sich zu halten gedächte/ und wolte von ihm

durch

Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen
der Gutthaͤtigkeit und derſelben correſpondi-
renden Danckbarkeit billig zu beobachten ſey.

28.

Denn was die Leutſeeligkeit betrifft/ ſo
haben wir oben erwehnet/ daß die allgemeine Lie-
be mehr ein Mangel eines Haſſes/ als eine wahr-
hafftige Liebe zu nennen ſey. Und weil ſie dem-
nach in nichtes mehr als in ſchlechten und gemei-
nen Bezeigungen beſtehet/ die einem nicht ſauer
ankommen/ oder die ohne einigen Nachtheil unſe-
rer Guͤter geleiſtet werden koͤnnen/ und ſich in der
allgemeinen Gleichheit der menſchlichen Natur
gruͤnden/ auch von allen und jeden Menſchen zu
erwarten ſtehen/ ſo hat eben dieſe Gleichheit und
Geringſchaͤtzigkeit derer Dienſte in Anſehen
des Gebers erfordert/ daß man zu denenſelben
niemand zwingen ſolle/ damit dieſe allgemeine Lie-
be deſtomehr dadurch erkennet und bey andern
gleichergeſtalt angefeuret werde/ wenn man der
Schamhafftigkeit anderer Menſchen einig und
alleine die Bezeugungen der Leutſeeligkeit uͤber-
lieſſe. Ja es wuͤrde auch eben dieſe Gleichheit
der menſchlichen Natur groͤblich verletzet werden/
wenn man einigen Menſchen darzu zwingen wol-
te. Man erwartet ja dieſelbigen ohne Unter-
ſcheid von allen Menſchen/ indem ſie alle wegen
ihrer menſchlichen Natur darzu verpflichtet ſind.
Wolte man aber nun unter dem gantzen menſch-
lichen Geſehlechte nach ſeinem Gefallen einen
Menſchen fuͤr den andern ſich ausſehen an den
man ſich zu halten gedaͤchte/ und wolte von ihm

durch
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[212[210]/0242] Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen der Gutthaͤtigkeit und derſelben correſpondi- renden Danckbarkeit billig zu beobachten ſey. 28. Denn was die Leutſeeligkeit betrifft/ ſo haben wir oben erwehnet/ daß die allgemeine Lie- be mehr ein Mangel eines Haſſes/ als eine wahr- hafftige Liebe zu nennen ſey. Und weil ſie dem- nach in nichtes mehr als in ſchlechten und gemei- nen Bezeigungen beſtehet/ die einem nicht ſauer ankommen/ oder die ohne einigen Nachtheil unſe- rer Guͤter geleiſtet werden koͤnnen/ und ſich in der allgemeinen Gleichheit der menſchlichen Natur gruͤnden/ auch von allen und jeden Menſchen zu erwarten ſtehen/ ſo hat eben dieſe Gleichheit und Geringſchaͤtzigkeit derer Dienſte in Anſehen des Gebers erfordert/ daß man zu denenſelben niemand zwingen ſolle/ damit dieſe allgemeine Lie- be deſtomehr dadurch erkennet und bey andern gleichergeſtalt angefeuret werde/ wenn man der Schamhafftigkeit anderer Menſchen einig und alleine die Bezeugungen der Leutſeeligkeit uͤber- lieſſe. Ja es wuͤrde auch eben dieſe Gleichheit der menſchlichen Natur groͤblich verletzet werden/ wenn man einigen Menſchen darzu zwingen wol- te. Man erwartet ja dieſelbigen ohne Unter- ſcheid von allen Menſchen/ indem ſie alle wegen ihrer menſchlichen Natur darzu verpflichtet ſind. Wolte man aber nun unter dem gantzen menſch- lichen Geſehlechte nach ſeinem Gefallen einen Menſchen fuͤr den andern ſich ausſehen an den man ſich zu halten gedaͤchte/ und wolte von ihm durch

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 212[210]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/242>, abgerufen am 26.04.2024.