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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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vernünfftigen Liebe überhaupt.
unruhige/ aber doch auch nicht so eine ruhige Ge-
müths-Bewegung sey/ als bey der Gemein-
schafft/ weil bey jener die Liebe noch in ihrem
Wachsthumb/ und also ihre Bewegung desto
empfindlicher ist. Bey dieser aber allbereit die
höchste Vollkommenheit erhalten/ und solcher ge-
stalt weil ihre Bewegung nichts veränderliches
an sich hat/ dieselbe auch fast gar nicht empfunden
wird.

100.

Aber du wirst uns vielleicht hier vor-
werffen/ daß wir oben im ersten Capitel erweh-
net/ daß alle Bewegung entweder steigen oder
fallen müsse/ und daß dannenhero die Liebe
zweyer tugendhaffter Gemüther/ wenn sie
ihre Vollkommenheit erlanget/ gleichfalls
wieder abnehmen müsse.
Nähme sie aber
ab/ so wäre entweder diese Liebe ein vergebenes
Mittel zu der höchsten Glückseeligkeit zu gelan-
gen/ oder aber es könne die Gemüths-Ruhe die
höchste Glückseeligkeit nicht seyn/ weil sie eine
eitele Einbildung sey/ in dem alles/ wie gedacht/
entweder abnehmen oder zunehmen müsse/ und
folglich nicht beständig ruhen könne.

101.

Wie wollen wir uns diesen Einwurff
von Halse weltzen/ nachdem derselbe uns feste zu
halten scheinet/ und von denen ersten Grund-Re-
geln unserer Lehre hergenommen ist? Wir wol-
len es kurtz machen. Es ist wahr/ was nicht wei-
ter zunehmen kan/ muß nothwendig abnehmen/
und die Liebe zweyer vernünfftiger Personen/

wenn
U 2

vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
unruhige/ aber doch auch nicht ſo eine ruhige Ge-
muͤths-Bewegung ſey/ als bey der Gemein-
ſchafft/ weil bey jener die Liebe noch in ihrem
Wachsthumb/ und alſo ihre Bewegung deſto
empfindlicher iſt. Bey dieſer aber allbereit die
hoͤchſte Vollkommenheit erhalten/ und ſolcher ge-
ſtalt weil ihre Bewegung nichts veraͤnderliches
an ſich hat/ dieſelbe auch faſt gar nicht empfunden
wird.

100.

Aber du wirſt uns vielleicht hier vor-
werffen/ daß wir oben im erſten Capitel erweh-
net/ daß alle Bewegung entweder ſteigen oder
fallen muͤſſe/ und daß dannenhero die Liebe
zweyer tugendhaffter Gemuͤther/ wenn ſie
ihre Vollkommenheit erlanget/ gleichfalls
wieder abnehmen muͤſſe.
Naͤhme ſie aber
ab/ ſo waͤre entweder dieſe Liebe ein vergebenes
Mittel zu der hoͤchſten Gluͤckſeeligkeit zu gelan-
gen/ oder aber es koͤnne die Gemuͤths-Ruhe die
hoͤchſte Gluͤckſeeligkeit nicht ſeyn/ weil ſie eine
eitele Einbildung ſey/ in dem alles/ wie gedacht/
entweder abnehmen oder zunehmen muͤſſe/ und
folglich nicht beſtaͤndig ruhen koͤnne.

101.

Wie wollen wir uns dieſen Einwurff
von Halſe weltzen/ nachdem derſelbe uns feſte zu
halten ſcheinet/ und von denen erſten Grund-Re-
geln unſerer Lehre hergenommen iſt? Wir wol-
len es kurtz machen. Es iſt wahr/ was nicht wei-
ter zunehmen kan/ muß nothwendig abnehmen/
und die Liebe zweyer vernuͤnfftiger Perſonen/

wenn
U 2
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[311[307]/0339] vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. unruhige/ aber doch auch nicht ſo eine ruhige Ge- muͤths-Bewegung ſey/ als bey der Gemein- ſchafft/ weil bey jener die Liebe noch in ihrem Wachsthumb/ und alſo ihre Bewegung deſto empfindlicher iſt. Bey dieſer aber allbereit die hoͤchſte Vollkommenheit erhalten/ und ſolcher ge- ſtalt weil ihre Bewegung nichts veraͤnderliches an ſich hat/ dieſelbe auch faſt gar nicht empfunden wird. 100. Aber du wirſt uns vielleicht hier vor- werffen/ daß wir oben im erſten Capitel erweh- net/ daß alle Bewegung entweder ſteigen oder fallen muͤſſe/ und daß dannenhero die Liebe zweyer tugendhaffter Gemuͤther/ wenn ſie ihre Vollkommenheit erlanget/ gleichfalls wieder abnehmen muͤſſe. Naͤhme ſie aber ab/ ſo waͤre entweder dieſe Liebe ein vergebenes Mittel zu der hoͤchſten Gluͤckſeeligkeit zu gelan- gen/ oder aber es koͤnne die Gemuͤths-Ruhe die hoͤchſte Gluͤckſeeligkeit nicht ſeyn/ weil ſie eine eitele Einbildung ſey/ in dem alles/ wie gedacht/ entweder abnehmen oder zunehmen muͤſſe/ und folglich nicht beſtaͤndig ruhen koͤnne. 101. Wie wollen wir uns dieſen Einwurff von Halſe weltzen/ nachdem derſelbe uns feſte zu halten ſcheinet/ und von denen erſten Grund-Re- geln unſerer Lehre hergenommen iſt? Wir wol- len es kurtz machen. Es iſt wahr/ was nicht wei- ter zunehmen kan/ muß nothwendig abnehmen/ und die Liebe zweyer vernuͤnfftiger Perſonen/ wenn U 2

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 311[307]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/339>, abgerufen am 26.04.2024.