Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

in denen menschl. Gesellschafften.
und wenn gleich nach denen Gesellschafften ver-
nünfftiger Liebe alle Güter gemein wären/ und
jederman in dieser Welt genung hätte/ derge-
stalt/ daß es weder Reiche noch Arme gebe. Die
andern zwey aber
sind aus dem Mangel der
Liebe/
und dem deswegen eingeführten Ei-
genthum
auch dem draus erfolgten Uberfluß und
Armuth entstanden/ zum theil aber auch wegen
der Furcht für der Boßheit
anderer Menschen
so wohl ausser als binnen der Gesellschafft ge-
macht und formiret worden.

9.

Die Eheliche Gesellschafft und folglich
auch die Gesellschafft zwischen Eltern und
Kindern
ist unter tugendhafften und lasterhaff-
ten/ Armen und Reichen. Und ob sie wohl bey-
derseits keinen Reichthum und Eigenthum zu
ihrer Selbständigkeit praesupponiren/ so brau-
chen sie doch/ wenn sie ihren Zweck erreichen sol-
len/ Tugend und Liebe/ und wenn diese sich fin-
den läst/ so darff sich das Befehlen des Man-
nes
und das Gebot der Eltern nicht sonderlich
hervorthun; sondern es thut entweder ein jedes
von sich selbst seine Schuldigkeit/ oder es ist an
einer Erinnerung genung/ die keines gebieteri-
schen Zwangs vonnöthen hat. Und kan auch
in diesen Gesellschafften eine vernünfftige Liebe
am ehesten entstehen/ weil der Mensch darzu
durch einen allgemeinen innerlichen Antrieb/ nicht
aber durch eine äusserliche Nothwendigkeit gerei-
tzet wird.

10. Hin-
Z 2

in denen menſchl. Geſellſchafften.
und wenn gleich nach denen Geſellſchafften ver-
nuͤnfftiger Liebe alle Guͤter gemein waͤren/ und
jederman in dieſer Welt genung haͤtte/ derge-
ſtalt/ daß es weder Reiche noch Arme gebe. Die
andern zwey aber
ſind aus dem Mangel der
Liebe/
und dem deswegen eingefuͤhrten Ei-
genthum
auch dem draus erfolgten Uberfluß und
Armuth entſtanden/ zum theil aber auch wegen
der Furcht fuͤr der Boßheit
anderer Menſchen
ſo wohl auſſer als binnen der Geſellſchafft ge-
macht und formiret worden.

9.

Die Eheliche Geſellſchafft und folglich
auch die Geſellſchafft zwiſchen Eltern und
Kindern
iſt unter tugendhafften und laſterhaff-
ten/ Armen und Reichen. Und ob ſie wohl bey-
derſeits keinen Reichthum und Eigenthum zu
ihrer Selbſtaͤndigkeit præſupponiren/ ſo brau-
chen ſie doch/ wenn ſie ihren Zweck erreichen ſol-
len/ Tugend und Liebe/ und wenn dieſe ſich fin-
den laͤſt/ ſo darff ſich das Befehlen des Man-
nes
und das Gebot der Eltern nicht ſonderlich
hervorthun; ſondern es thut entweder ein jedes
von ſich ſelbſt ſeine Schuldigkeit/ oder es iſt an
einer Erinnerung genung/ die keines gebieteri-
ſchen Zwangs vonnoͤthen hat. Und kan auch
in dieſen Geſellſchafften eine vernuͤnfftige Liebe
am eheſten entſtehen/ weil der Menſch darzu
durch einen allgemeinen innerlichen Antrieb/ nicht
aber durch eine aͤuſſerliche Nothwendigkeit gerei-
tzet wird.

10. Hin-
Z 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0387" n="359[355]"/><fw place="top" type="header">in denen men&#x017F;chl. Ge&#x017F;ell&#x017F;chafften.</fw><lb/>
und wenn gleich nach denen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafften ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftiger Liebe alle Gu&#x0364;ter gemein wa&#x0364;ren/ und<lb/>
jederman in die&#x017F;er Welt genung ha&#x0364;tte/ derge-<lb/>
&#x017F;talt/ daß es weder Reiche noch Arme gebe. <hi rendition="#fr">Die<lb/>
andern zwey aber</hi> &#x017F;ind aus dem <hi rendition="#fr">Mangel der<lb/>
Liebe/</hi> und dem deswegen <hi rendition="#fr">eingefu&#x0364;hrten Ei-<lb/>
genthum</hi> auch dem draus erfolgten Uberfluß und<lb/>
Armuth ent&#x017F;tanden/ zum theil aber auch <hi rendition="#fr">wegen<lb/>
der Furcht fu&#x0364;r der Boßheit</hi> anderer Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;o wohl au&#x017F;&#x017F;er als binnen der Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft ge-<lb/>
macht und <hi rendition="#aq">formir</hi>et worden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>9.</head>
            <p><hi rendition="#fr">Die Eheliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft</hi> und folglich<lb/>
auch <hi rendition="#fr">die Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft zwi&#x017F;chen Eltern und<lb/>
Kindern</hi> i&#x017F;t unter tugendhafften und la&#x017F;terhaff-<lb/>
ten/ Armen und Reichen. Und ob &#x017F;ie wohl bey-<lb/>
der&#x017F;eits keinen Reichthum und Eigenthum zu<lb/>
ihrer Selb&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit <hi rendition="#aq">præ&#x017F;upponir</hi>en/ &#x017F;o brau-<lb/>
chen &#x017F;ie doch/ wenn &#x017F;ie ihren Zweck erreichen &#x017F;ol-<lb/>
len/ Tugend und Liebe/ und wenn die&#x017F;e &#x017F;ich fin-<lb/>
den la&#x0364;&#x017F;t/ &#x017F;o darff &#x017F;ich das <hi rendition="#fr">Befehlen des Man-<lb/>
nes</hi> und <hi rendition="#fr">das Gebot der Eltern</hi> nicht &#x017F;onderlich<lb/>
hervorthun; &#x017F;ondern es thut entweder ein jedes<lb/>
von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine Schuldigkeit/ oder es i&#x017F;t an<lb/>
einer Erinnerung genung/ die keines gebieteri-<lb/>
&#x017F;chen Zwangs vonno&#x0364;then hat. Und kan auch<lb/>
in die&#x017F;en Ge&#x017F;ell&#x017F;chafften eine vernu&#x0364;nfftige Liebe<lb/>
am ehe&#x017F;ten ent&#x017F;tehen/ weil der Men&#x017F;ch darzu<lb/>
durch einen allgemeinen innerlichen Antrieb/ nicht<lb/>
aber durch eine a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche Nothwendigkeit gerei-<lb/>
tzet wird.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Z 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">10. Hin-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359[355]/0387] in denen menſchl. Geſellſchafften. und wenn gleich nach denen Geſellſchafften ver- nuͤnfftiger Liebe alle Guͤter gemein waͤren/ und jederman in dieſer Welt genung haͤtte/ derge- ſtalt/ daß es weder Reiche noch Arme gebe. Die andern zwey aber ſind aus dem Mangel der Liebe/ und dem deswegen eingefuͤhrten Ei- genthum auch dem draus erfolgten Uberfluß und Armuth entſtanden/ zum theil aber auch wegen der Furcht fuͤr der Boßheit anderer Menſchen ſo wohl auſſer als binnen der Geſellſchafft ge- macht und formiret worden. 9. Die Eheliche Geſellſchafft und folglich auch die Geſellſchafft zwiſchen Eltern und Kindern iſt unter tugendhafften und laſterhaff- ten/ Armen und Reichen. Und ob ſie wohl bey- derſeits keinen Reichthum und Eigenthum zu ihrer Selbſtaͤndigkeit præſupponiren/ ſo brau- chen ſie doch/ wenn ſie ihren Zweck erreichen ſol- len/ Tugend und Liebe/ und wenn dieſe ſich fin- den laͤſt/ ſo darff ſich das Befehlen des Man- nes und das Gebot der Eltern nicht ſonderlich hervorthun; ſondern es thut entweder ein jedes von ſich ſelbſt ſeine Schuldigkeit/ oder es iſt an einer Erinnerung genung/ die keines gebieteri- ſchen Zwangs vonnoͤthen hat. Und kan auch in dieſen Geſellſchafften eine vernuͤnfftige Liebe am eheſten entſtehen/ weil der Menſch darzu durch einen allgemeinen innerlichen Antrieb/ nicht aber durch eine aͤuſſerliche Nothwendigkeit gerei- tzet wird. 10. Hin- Z 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/387
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 359[355]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/387>, abgerufen am 26.04.2024.