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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Periode gleichwohl humoristischerweise zum Mittelpunkt einen Schwindler gibt, der alle Welt und zugleich sich selber anlügt, er sei ein Ziethen'scher Husar gewesen, und er sich in die Illusion seiner Teilnahme an jener großen Zeit so tief hineingelebt, daß er, als ein muthwilliger Mensch, ihm den Zopf abschneidet, sich darüber zu Tode grämt. Aber auch hier schwimmt der treffliche Brocken in einer dünnen Brühe.

In den späteren Novellen erscheint zum Theil an der Stelle des natürlich Wunderbaren, das der Dichter so richtig aufgestellt hat, das unnatürlich Wunderliche, wo nicht noch Schlimmeres. Vieles läßt sich wohl aus dem unbekümmerten Fluge der Feder erklären: denn man glaubt mitunter wahrzunehmen, wie die Blätter einzeln in die Druckerei gewandert sein müssen, so daß es z. B. vorkommen kann, daß eine Heldin auf einem folgenden Bogen unversehens einen ganz andern Namen führt als auf dem vorhergehenden. Nachgerade sind es nur noch in Gespräche eingekleidete Leitartikel, worin der Verfasser gegen literarische und sociale Richtungen polemisirt. Zuletzt griff er gar wieder in die alte romantische Rumpelkammer und putzte seine Gegner mit phanastischen Larven auf, die aber nur traurige Revenants sind und nicht einmal das eigenthümliche Scheinleben der früheren Romantik haben.

Unerwartet jedoch trat er 1839 mit einer im Verhältniß zu dieser Umgebung allerliebsten Novelle hervor, in welcher wir zumal eine seiner spätesten Productionen zu begrüßen haben: "Des Lebens Ueberfluß."*) Ein schonungslos strenges Kunsturtheil mag freilich auch von dieser sagen: "sie sei eben abermals mit der bekannten geschwätzigen Altklugheit behaftet; das reizende Motiv in

*) Folgt im 3. Bande.

Periode gleichwohl humoristischerweise zum Mittelpunkt einen Schwindler gibt, der alle Welt und zugleich sich selber anlügt, er sei ein Ziethen‘scher Husar gewesen, und er sich in die Illusion seiner Teilnahme an jener großen Zeit so tief hineingelebt, daß er, als ein muthwilliger Mensch, ihm den Zopf abschneidet, sich darüber zu Tode grämt. Aber auch hier schwimmt der treffliche Brocken in einer dünnen Brühe.

In den späteren Novellen erscheint zum Theil an der Stelle des natürlich Wunderbaren, das der Dichter so richtig aufgestellt hat, das unnatürlich Wunderliche, wo nicht noch Schlimmeres. Vieles läßt sich wohl aus dem unbekümmerten Fluge der Feder erklären: denn man glaubt mitunter wahrzunehmen, wie die Blätter einzeln in die Druckerei gewandert sein müssen, so daß es z. B. vorkommen kann, daß eine Heldin auf einem folgenden Bogen unversehens einen ganz andern Namen führt als auf dem vorhergehenden. Nachgerade sind es nur noch in Gespräche eingekleidete Leitartikel, worin der Verfasser gegen literarische und sociale Richtungen polemisirt. Zuletzt griff er gar wieder in die alte romantische Rumpelkammer und putzte seine Gegner mit phanastischen Larven auf, die aber nur traurige Revenants sind und nicht einmal das eigenthümliche Scheinleben der früheren Romantik haben.

Unerwartet jedoch trat er 1839 mit einer im Verhältniß zu dieser Umgebung allerliebsten Novelle hervor, in welcher wir zumal eine seiner spätesten Productionen zu begrüßen haben: „Des Lebens Ueberfluß.“*) Ein schonungslos strenges Kunsturtheil mag freilich auch von dieser sagen: „sie sei eben abermals mit der bekannten geschwätzigen Altklugheit behaftet; das reizende Motiv in

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[0011] Periode gleichwohl humoristischerweise zum Mittelpunkt einen Schwindler gibt, der alle Welt und zugleich sich selber anlügt, er sei ein Ziethen‘scher Husar gewesen, und er sich in die Illusion seiner Teilnahme an jener großen Zeit so tief hineingelebt, daß er, als ein muthwilliger Mensch, ihm den Zopf abschneidet, sich darüber zu Tode grämt. Aber auch hier schwimmt der treffliche Brocken in einer dünnen Brühe. In den späteren Novellen erscheint zum Theil an der Stelle des natürlich Wunderbaren, das der Dichter so richtig aufgestellt hat, das unnatürlich Wunderliche, wo nicht noch Schlimmeres. Vieles läßt sich wohl aus dem unbekümmerten Fluge der Feder erklären: denn man glaubt mitunter wahrzunehmen, wie die Blätter einzeln in die Druckerei gewandert sein müssen, so daß es z. B. vorkommen kann, daß eine Heldin auf einem folgenden Bogen unversehens einen ganz andern Namen führt als auf dem vorhergehenden. Nachgerade sind es nur noch in Gespräche eingekleidete Leitartikel, worin der Verfasser gegen literarische und sociale Richtungen polemisirt. Zuletzt griff er gar wieder in die alte romantische Rumpelkammer und putzte seine Gegner mit phanastischen Larven auf, die aber nur traurige Revenants sind und nicht einmal das eigenthümliche Scheinleben der früheren Romantik haben. Unerwartet jedoch trat er 1839 mit einer im Verhältniß zu dieser Umgebung allerliebsten Novelle hervor, in welcher wir zumal eine seiner spätesten Productionen zu begrüßen haben: „Des Lebens Ueberfluß.“ *) Ein schonungslos strenges Kunsturtheil mag freilich auch von dieser sagen: „sie sei eben abermals mit der bekannten geschwätzigen Altklugheit behaftet; das reizende Motiv in *) Folgt im 3. Bande.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/11>, abgerufen am 26.04.2024.