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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lange herum gekreuzt sei, um nur neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der neueren Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um Alles dies für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit genug auszudrücken noch hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen. Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung gelang, und machte den gutmüthigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte und dabei im Stillen berechnete, wie er dessen praktische Kenntnisse zu höhern Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken müsse, wie der neue Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei.

Indessen diese Beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten übereinstimmen können, die nun etwa seit fünfzig Jahren zur allgemeinen Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur gegründet sind. Kann man läugnen, daß

lange herum gekreuzt sei, um nur neben einem alten Manne zu sitzen, der zwar auch die Kunst liebe und ausübe, indessen freilich mit seinen abnehmenden Kräften dem Fluge der neueren Schule nicht mehr nachstreben könne, an deren Enthusiasmus er aber doch sein altes Feuer wieder anzünde und seine schon kalten Lebensgeister erwärme. Dietrich, der noch jung genug war, um Alles dies für Ernst zu halten, wußte nicht Dankbarkeit genug auszudrücken noch hinlängliche Bescheidenheit aufzutreiben, um diese Demuth aufzuwägen. Der alte Schelm freute sich, daß ihm seine Verstellung gelang, und machte den gutmüthigen Jüngling immer treuherziger, der in diesem alten Knaben schon einen Schüler von sich zu sehen wähnte und dabei im Stillen berechnete, wie er dessen praktische Kenntnisse zu höhern Zwecken brauchen wolle, ohne daß der Alte merken müsse, wie der neue Lehrer wieder zugleich sein Schüler sei.

Indessen diese Beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten übereinstimmen können, die nun etwa seit fünfzig Jahren zur allgemeinen Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur gegründet sind. Kann man läugnen, daß

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/35>, abgerufen am 27.04.2024.