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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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schon für die Begriffe und Dinge, die sie be-
zeichnen soll, äusserst unpassend ist, daß
schon diese die Unwahrheit sagt, und daß es
daher unsere Pflicht ist, ihr nachzuhelfen.

Der Grund von allen unsern Künsten, von
allen unsern Vergnügungen, von allem was wir
denken und träumen, -- was ist er anders als
Unwahrheit? -- Plane und Entwürfe, Tragö-
dien und Lustspiele, Liebe und Haß, alles, al-
les ist nur eine Täuschung, die wir in uns sel-
ber erzeugen; unsere Sinne und unsere Phanta-
sie hintergehen uns, unsere Vernunft muß da-
her falsche Schlüsse machen, alle Bücher die
geschrieben sind, sind nur Lügen, wovon die
Letzteren die Ersteren in ihrer Blöße darstellen
sollen; und doch soll ich den kleinen Theil mei-
nes Körpers, die Zunge, der Wahrheit widmen?
Und wenn ich es wollte wie kann ich es?




Mein Vater ist gestorben, und die ganze
Welt wünscht mir Glück, mit Worten die wie
Kondolenzen gestellt sind. Viele suchen sich mir
zu empfehlen, und manche darunter meine schwa-

C c 2

ſchon fuͤr die Begriffe und Dinge, die ſie be-
zeichnen ſoll, aͤuſſerſt unpaſſend iſt, daß
ſchon dieſe die Unwahrheit ſagt, und daß es
daher unſere Pflicht iſt, ihr nachzuhelfen.

Der Grund von allen unſern Kuͤnſten, von
allen unſern Vergnuͤgungen, von allem was wir
denken und traͤumen, — was iſt er anders als
Unwahrheit? — Plane und Entwuͤrfe, Tragoͤ-
dien und Luſtſpiele, Liebe und Haß, alles, al-
les iſt nur eine Taͤuſchung, die wir in uns ſel-
ber erzeugen; unſere Sinne und unſere Phanta-
ſie hintergehen uns, unſere Vernunft muß da-
her falſche Schluͤſſe machen, alle Buͤcher die
geſchrieben ſind, ſind nur Luͤgen, wovon die
Letzteren die Erſteren in ihrer Bloͤße darſtellen
ſollen; und doch ſoll ich den kleinen Theil mei-
nes Koͤrpers, die Zunge, der Wahrheit widmen?
Und wenn ich es wollte wie kann ich es?




Mein Vater iſt geſtorben, und die ganze
Welt wuͤnſcht mir Gluͤck, mit Worten die wie
Kondolenzen geſtellt ſind. Viele ſuchen ſich mir
zu empfehlen, und manche darunter meine ſchwa-

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[403/0409] ſchon fuͤr die Begriffe und Dinge, die ſie be- zeichnen ſoll, aͤuſſerſt unpaſſend iſt, daß ſchon dieſe die Unwahrheit ſagt, und daß es daher unſere Pflicht iſt, ihr nachzuhelfen. Der Grund von allen unſern Kuͤnſten, von allen unſern Vergnuͤgungen, von allem was wir denken und traͤumen, — was iſt er anders als Unwahrheit? — Plane und Entwuͤrfe, Tragoͤ- dien und Luſtſpiele, Liebe und Haß, alles, al- les iſt nur eine Taͤuſchung, die wir in uns ſel- ber erzeugen; unſere Sinne und unſere Phanta- ſie hintergehen uns, unſere Vernunft muß da- her falſche Schluͤſſe machen, alle Buͤcher die geſchrieben ſind, ſind nur Luͤgen, wovon die Letzteren die Erſteren in ihrer Bloͤße darſtellen ſollen; und doch ſoll ich den kleinen Theil mei- nes Koͤrpers, die Zunge, der Wahrheit widmen? Und wenn ich es wollte wie kann ich es? Ein Jahr nachher. Mein Vater iſt geſtorben, und die ganze Welt wuͤnſcht mir Gluͤck, mit Worten die wie Kondolenzen geſtellt ſind. Viele ſuchen ſich mir zu empfehlen, und manche darunter meine ſchwa- C c 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/409>, abgerufen am 26.04.2024.