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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Daß sich die Menschen aus diesem wirklichen
prosaischen Leben so gern einen bunten, schön-
illuminirten Traum machen wollen, und sich
dann wundern, wenn es unter den Rosen Dor-
nen giebt, wenn die Gebilde umher ihnen nicht
so antworten, wie sie es mit ihrem träumenden
Sinne vermuthet hatten! -- Wer kann es mit
diesen Narren aushalten?

Man gebe mir den abgefeimtesten Schurken,
den Menschen, der in einem Athem zehn Lügen
sagt, den Eiteln, der hoch von seinem eigenen
Werthe aufgeblasen ist, den rohen, ungebildeten
Menschen, dem die gemeinste Lebensart fehlt,
und ich will mit allen fertig werden, nur nicht
mit dem, der allenthalben die reine Bruderlie-
be erwartet, der mit den Menschen, wie mit
Blumen oder Nachtigallen, umgehen will.




Mein Sohn Eduard fängt an, mir in
einem hohen Grade zu mißfallen. Er wird
altklug, ehe er noch Verstand genug hat,
um listig zu seyn. Solche frühreife Tu-
gend ist gewöhnlich nichts, als ein Gefühl

Daß ſich die Menſchen aus dieſem wirklichen
proſaiſchen Leben ſo gern einen bunten, ſchoͤn-
illuminirten Traum machen wollen, und ſich
dann wundern, wenn es unter den Roſen Dor-
nen giebt, wenn die Gebilde umher ihnen nicht
ſo antworten, wie ſie es mit ihrem traͤumenden
Sinne vermuthet hatten! — Wer kann es mit
dieſen Narren aushalten?

Man gebe mir den abgefeimteſten Schurken,
den Menſchen, der in einem Athem zehn Luͤgen
ſagt, den Eiteln, der hoch von ſeinem eigenen
Werthe aufgeblaſen iſt, den rohen, ungebildeten
Menſchen, dem die gemeinſte Lebensart fehlt,
und ich will mit allen fertig werden, nur nicht
mit dem, der allenthalben die reine Bruderlie-
be erwartet, der mit den Menſchen, wie mit
Blumen oder Nachtigallen, umgehen will.




Mein Sohn Eduard faͤngt an, mir in
einem hohen Grade zu mißfallen. Er wird
altklug, ehe er noch Verſtand genug hat,
um liſtig zu ſeyn. Solche fruͤhreife Tu-
gend iſt gewoͤhnlich nichts, als ein Gefuͤhl

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[423/0429] Daß ſich die Menſchen aus dieſem wirklichen proſaiſchen Leben ſo gern einen bunten, ſchoͤn- illuminirten Traum machen wollen, und ſich dann wundern, wenn es unter den Roſen Dor- nen giebt, wenn die Gebilde umher ihnen nicht ſo antworten, wie ſie es mit ihrem traͤumenden Sinne vermuthet hatten! — Wer kann es mit dieſen Narren aushalten? Man gebe mir den abgefeimteſten Schurken, den Menſchen, der in einem Athem zehn Luͤgen ſagt, den Eiteln, der hoch von ſeinem eigenen Werthe aufgeblaſen iſt, den rohen, ungebildeten Menſchen, dem die gemeinſte Lebensart fehlt, und ich will mit allen fertig werden, nur nicht mit dem, der allenthalben die reine Bruderlie- be erwartet, der mit den Menſchen, wie mit Blumen oder Nachtigallen, umgehen will. Nach einem Jahre. Mein Sohn Eduard faͤngt an, mir in einem hohen Grade zu mißfallen. Er wird altklug, ehe er noch Verſtand genug hat, um liſtig zu ſeyn. Solche fruͤhreife Tu- gend iſt gewoͤhnlich nichts, als ein Gefuͤhl

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/429>, abgerufen am 26.04.2024.