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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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22.
Eduard Burton an seinen Freund
Mortimer
.

Wie ich mich jetzt hier einsam fühle, lieber
Mortimer, kann ich Ihnen nicht beschreiben.
Ich gehe oft noch in Gedanken nach dem Zim-
mer meiner Schwester, um sie dort anzutreffen;
ich suche sie im Garten auf, und gehe mit wei-
nenden Augen jeder Laube vorüber, weil sie
nicht drinnen sitzt. -- Ich fühle jetzt nicht mehr
recht deutl[i]ch warum ich lebe, denn alle Wesen,
die mit mir in so naher Beziehung standen sind
mir entrissen. -- Sollte ich auch meine Schwe-
ster niemals wieder sehen? -- Wenn ich nur
wüßte, wo ich sie suchen sollte, wenn nur nicht
ein Fieber meinen Körper erschöpft hätte. --
Und dann ist es ja ihr Wille gewesen, mich zu
verlassen; Sie würde mich jetzt nicht einmal
gerne sehen.

O! wie vielen Menschen habe ich Unrecht

22.
Eduard Burton an ſeinen Freund
Mortimer
.

Wie ich mich jetzt hier einſam fuͤhle, lieber
Mortimer, kann ich Ihnen nicht beſchreiben.
Ich gehe oft noch in Gedanken nach dem Zim-
mer meiner Schweſter, um ſie dort anzutreffen;
ich ſuche ſie im Garten auf, und gehe mit wei-
nenden Augen jeder Laube voruͤber, weil ſie
nicht drinnen ſitzt. — Ich fuͤhle jetzt nicht mehr
recht deutl[i]ch warum ich lebe, denn alle Weſen,
die mit mir in ſo naher Beziehung ſtanden ſind
mir entriſſen. — Sollte ich auch meine Schwe-
ſter niemals wieder ſehen? — Wenn ich nur
wuͤßte, wo ich ſie ſuchen ſollte, wenn nur nicht
ein Fieber meinen Koͤrper erſchoͤpft haͤtte. —
Und dann iſt es ja ihr Wille geweſen, mich zu
verlaſſen; Sie wuͤrde mich jetzt nicht einmal
gerne ſehen.

O! wie vielen Menſchen habe ich Unrecht

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[94/0101] 22. Eduard Burton an ſeinen Freund Mortimer. Bonſtreet. Wie ich mich jetzt hier einſam fuͤhle, lieber Mortimer, kann ich Ihnen nicht beſchreiben. Ich gehe oft noch in Gedanken nach dem Zim- mer meiner Schweſter, um ſie dort anzutreffen; ich ſuche ſie im Garten auf, und gehe mit wei- nenden Augen jeder Laube voruͤber, weil ſie nicht drinnen ſitzt. — Ich fuͤhle jetzt nicht mehr recht deutlich warum ich lebe, denn alle Weſen, die mit mir in ſo naher Beziehung ſtanden ſind mir entriſſen. — Sollte ich auch meine Schwe- ſter niemals wieder ſehen? — Wenn ich nur wuͤßte, wo ich ſie ſuchen ſollte, wenn nur nicht ein Fieber meinen Koͤrper erſchoͤpft haͤtte. — Und dann iſt es ja ihr Wille geweſen, mich zu verlaſſen; Sie wuͤrde mich jetzt nicht einmal gerne ſehen. O! wie vielen Menſchen habe ich Unrecht

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/101>, abgerufen am 26.04.2024.