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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der gestiefelte Kater.
Fischer. Ah! -- das war doch etwas fürs
Herz! -- Das thut einem wieder einmal wohl!
Leutner. Eine wirklich schöne Diktion in
der Scene.
Müller. Ob sie aber zum Ganzen wird
nothwendig seyn?
Schlosser. Ich kümmere mich nie ums
Ganze; wenn ich weine, so wein' ich, und damit
gut; es war eine göttliche Stelle.
Hinze. O Liebe, wie groß ist deine Macht,
daß deine Stimme die Ungewitter besänftigt, ein
pochendes Publikum beschwichtigt, und das Herz
kritischer Zuschauer so umwendet, daß sie ihren
Zorn und alle ihre Bildung vergessen. -- Es läßt
sich nichts fangen. -- (Ein Kaninchen kriecht in den Sack,
er springt schnell hinzu und schnürt ihn zusammen.)
Sieh
da, guter Freund! Ein Wildprett, das eine Art
von Geschwisterkind mit mir ist; ja, das ist der
Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Ver-
wandte, Bruder gegen Bruder; wenn man selbst
durch die Welt will, muß man andre aus dem
Wege stoßen. -- (Er nimmt das Kaninchen aus dem Sacke
und steckt es in den Tornister.)
Halt! Halt! -- Ich
muß mich wahrhaftig in Acht nehmen, daß ich
das Wildprett nicht selber auffresse. Ich muß nur
geschwinde den Tornister zubinden, damit ich meine
Affekten bezähme. -- Pfui! schäme dich Hinz! --
Ist es nicht die Pflicht des Edlen, sich und seine
Neigungen dem Glück seiner Meitgeschöpfe aufzu-
opfern? Dies ist der Entzweck, zu welchen wir ge-
schaffen worden, und wer das nicht kann, -- o ihm
Der geſtiefelte Kater.
Fiſcher. Ah! — das war doch etwas fuͤrs
Herz! — Das thut einem wieder einmal wohl!
Leutner. Eine wirklich ſchoͤne Diktion in
der Scene.
Muͤller. Ob ſie aber zum Ganzen wird
nothwendig ſeyn?
Schloſſer. Ich kuͤmmere mich nie ums
Ganze; wenn ich weine, ſo wein' ich, und damit
gut; es war eine goͤttliche Stelle.
Hinze. O Liebe, wie groß iſt deine Macht,
daß deine Stimme die Ungewitter beſaͤnftigt, ein
pochendes Publikum beſchwichtigt, und das Herz
kritiſcher Zuſchauer ſo umwendet, daß ſie ihren
Zorn und alle ihre Bildung vergeſſen. — Es laͤßt
ſich nichts fangen. — (Ein Kaninchen kriecht in den Sack,
er ſpringt ſchnell hinzu und ſchnuͤrt ihn zuſammen.)
Sieh
da, guter Freund! Ein Wildprett, das eine Art
von Geſchwiſterkind mit mir iſt; ja, das iſt der
Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Ver-
wandte, Bruder gegen Bruder; wenn man ſelbſt
durch die Welt will, muß man andre aus dem
Wege ſtoßen. — (Er nimmt das Kaninchen aus dem Sacke
und ſteckt es in den Torniſter.)
Halt! Halt! — Ich
muß mich wahrhaftig in Acht nehmen, daß ich
das Wildprett nicht ſelber auffreſſe. Ich muß nur
geſchwinde den Torniſter zubinden, damit ich meine
Affekten bezaͤhme. — Pfui! ſchaͤme dich Hinz! —
Iſt es nicht die Pflicht des Edlen, ſich und ſeine
Neigungen dem Gluͤck ſeiner Meitgeſchoͤpfe aufzu-
opfern? Dies iſt der Entzweck, zu welchen wir ge-
ſchaffen worden, und wer das nicht kann, — o ihm
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[185/0194] Der geſtiefelte Kater. Fiſcher. Ah! — das war doch etwas fuͤrs Herz! — Das thut einem wieder einmal wohl! Leutner. Eine wirklich ſchoͤne Diktion in der Scene. Muͤller. Ob ſie aber zum Ganzen wird nothwendig ſeyn? Schloſſer. Ich kuͤmmere mich nie ums Ganze; wenn ich weine, ſo wein' ich, und damit gut; es war eine goͤttliche Stelle. Hinze. O Liebe, wie groß iſt deine Macht, daß deine Stimme die Ungewitter beſaͤnftigt, ein pochendes Publikum beſchwichtigt, und das Herz kritiſcher Zuſchauer ſo umwendet, daß ſie ihren Zorn und alle ihre Bildung vergeſſen. — Es laͤßt ſich nichts fangen. — (Ein Kaninchen kriecht in den Sack, er ſpringt ſchnell hinzu und ſchnuͤrt ihn zuſammen.) Sieh da, guter Freund! Ein Wildprett, das eine Art von Geſchwiſterkind mit mir iſt; ja, das iſt der Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Ver- wandte, Bruder gegen Bruder; wenn man ſelbſt durch die Welt will, muß man andre aus dem Wege ſtoßen. — (Er nimmt das Kaninchen aus dem Sacke und ſteckt es in den Torniſter.) Halt! Halt! — Ich muß mich wahrhaftig in Acht nehmen, daß ich das Wildprett nicht ſelber auffreſſe. Ich muß nur geſchwinde den Torniſter zubinden, damit ich meine Affekten bezaͤhme. — Pfui! ſchaͤme dich Hinz! — Iſt es nicht die Pflicht des Edlen, ſich und ſeine Neigungen dem Gluͤck ſeiner Meitgeſchoͤpfe aufzu- opfern? Dies iſt der Entzweck, zu welchen wir ge- ſchaffen worden, und wer das nicht kann, — o ihm

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/194>, abgerufen am 26.04.2024.