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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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gierung oder Direction eines complicirten Systemes von
Bewegungen und Thätigkeiten von der eigentlichen Arbeit
sich abhebt. So leicht diese Verbindung in Begriff und
Wirklichkeit sich erhält, so ist sie doch nur per accidens
vorhanden und kann folglich, gleich aller eigent-
lichen Arbeit
, von der unternehmenden Function ge-
schieden werden; muss von ihr geschieden werden, damit
diese ihrem reinen Begriffe gemäss erscheine. Dieser Evo-
lution bedarf der Kaufmann nicht oder nur in ungewöhn-
lichen Fällen; da er seiner Natur nach nichts mit der
productiven Arbeit zu thun hat. Um so mehr bedarf ihrer
der Meister oder wie sonst wir den productiven Arbeiter
begreifen mögen. Dieser hat sich gleichsam aus dem Inneren
der Arbeit zurückzuziehen, um ihr als einem Aeusserlichen
und blossen Mittel gegenüberzustehen. Jener hat nur
nöthig, sich überhaupt in ein (causales) Verhältniss dazu
zu setzen; dass es ein innerliches werde, ist geringe Gefahr.
So begegnen sich die beiden Gestalten in der Mitte ihres
Weges. Sie finden ihren umfassenden Begriff als den des
unternehmenden Kapitalisten, welchem der andere des leihen-
den Kapitalisten zur Seite tritt, gemäss der ursprünglichen
Differenz von Wucher und Handel. Aber wie diese Be-
schäftigungen, so können jene Eigenschaften in derselben
Person vereinigt sein. Eine Spiel-Art, welche aus beiden
Arten sich entwickelt und neben sie tritt, ist der wettende,
wagende, spielende Kapitalist. Denn auch Handel ist
seiner Natur nach Spiel (le commerce est un jeu), indem
der Einkauf gewagt wird, und günstiger Absatz, wenn auch
immer so wahrscheinlich, nicht gewiss ist. So ist der
Wucher ein Spiel -- denn man ist nicht sicher, das hin-
gegebene Kapital, geschweige denn das Plus, die Interessen
zurück zu empfangen. Das Geschäft beruht ursprünglich
auf Hoffnung, demnächst auf Berechnung und Combination
der Wahrscheinlichkeiten; und wenn nur üble Fälle durch
gute ausgeglichen werden, und die guten überwiegen, so
ist der Zweck gewonnen. Jedoch wenn im reinen Spiel
den unberechenbaren (zufälligen) Umständen (der Conjunc-
tur) ihre Wirkung freigelassen und die Möglichkeit des
Verlustes bis zu jeder Höhe von Wahrscheinlichkeit er-

gierung oder Direction eines complicirten Systemes von
Bewegungen und Thätigkeiten von der eigentlichen Arbeit
sich abhebt. So leicht diese Verbindung in Begriff und
Wirklichkeit sich erhält, so ist sie doch nur per accidens
vorhanden und kann folglich, gleich aller eigent-
lichen Arbeit
, von der unternehmenden Function ge-
schieden werden; muss von ihr geschieden werden, damit
diese ihrem reinen Begriffe gemäss erscheine. Dieser Evo-
lution bedarf der Kaufmann nicht oder nur in ungewöhn-
lichen Fällen; da er seiner Natur nach nichts mit der
productiven Arbeit zu thun hat. Um so mehr bedarf ihrer
der Meister oder wie sonst wir den productiven Arbeiter
begreifen mögen. Dieser hat sich gleichsam aus dem Inneren
der Arbeit zurückzuziehen, um ihr als einem Aeusserlichen
und blossen Mittel gegenüberzustehen. Jener hat nur
nöthig, sich überhaupt in ein (causales) Verhältniss dazu
zu setzen; dass es ein innerliches werde, ist geringe Gefahr.
So begegnen sich die beiden Gestalten in der Mitte ihres
Weges. Sie finden ihren umfassenden Begriff als den des
unternehmenden Kapitalisten, welchem der andere des leihen-
den Kapitalisten zur Seite tritt, gemäss der ursprünglichen
Differenz von Wucher und Handel. Aber wie diese Be-
schäftigungen, so können jene Eigenschaften in derselben
Person vereinigt sein. Eine Spiel-Art, welche aus beiden
Arten sich entwickelt und neben sie tritt, ist der wettende,
wagende, spielende Kapitalist. Denn auch Handel ist
seiner Natur nach Spiel (le commerce est un jeu), indem
der Einkauf gewagt wird, und günstiger Absatz, wenn auch
immer so wahrscheinlich, nicht gewiss ist. So ist der
Wucher ein Spiel — denn man ist nicht sicher, das hin-
gegebene Kapital, geschweige denn das Plus, die Interessen
zurück zu empfangen. Das Geschäft beruht ursprünglich
auf Hoffnung, demnächst auf Berechnung und Combination
der Wahrscheinlichkeiten; und wenn nur üble Fälle durch
gute ausgeglichen werden, und die guten überwiegen, so
ist der Zweck gewonnen. Jedoch wenn im reinen Spiel
den unberechenbaren (zufälligen) Umständen (der Conjunc-
tur) ihre Wirkung freigelassen und die Möglichkeit des
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[80/0116] gierung oder Direction eines complicirten Systemes von Bewegungen und Thätigkeiten von der eigentlichen Arbeit sich abhebt. So leicht diese Verbindung in Begriff und Wirklichkeit sich erhält, so ist sie doch nur per accidens vorhanden und kann folglich, gleich aller eigent- lichen Arbeit, von der unternehmenden Function ge- schieden werden; muss von ihr geschieden werden, damit diese ihrem reinen Begriffe gemäss erscheine. Dieser Evo- lution bedarf der Kaufmann nicht oder nur in ungewöhn- lichen Fällen; da er seiner Natur nach nichts mit der productiven Arbeit zu thun hat. Um so mehr bedarf ihrer der Meister oder wie sonst wir den productiven Arbeiter begreifen mögen. Dieser hat sich gleichsam aus dem Inneren der Arbeit zurückzuziehen, um ihr als einem Aeusserlichen und blossen Mittel gegenüberzustehen. Jener hat nur nöthig, sich überhaupt in ein (causales) Verhältniss dazu zu setzen; dass es ein innerliches werde, ist geringe Gefahr. So begegnen sich die beiden Gestalten in der Mitte ihres Weges. Sie finden ihren umfassenden Begriff als den des unternehmenden Kapitalisten, welchem der andere des leihen- den Kapitalisten zur Seite tritt, gemäss der ursprünglichen Differenz von Wucher und Handel. Aber wie diese Be- schäftigungen, so können jene Eigenschaften in derselben Person vereinigt sein. Eine Spiel-Art, welche aus beiden Arten sich entwickelt und neben sie tritt, ist der wettende, wagende, spielende Kapitalist. Denn auch Handel ist seiner Natur nach Spiel (le commerce est un jeu), indem der Einkauf gewagt wird, und günstiger Absatz, wenn auch immer so wahrscheinlich, nicht gewiss ist. So ist der Wucher ein Spiel — denn man ist nicht sicher, das hin- gegebene Kapital, geschweige denn das Plus, die Interessen zurück zu empfangen. Das Geschäft beruht ursprünglich auf Hoffnung, demnächst auf Berechnung und Combination der Wahrscheinlichkeiten; und wenn nur üble Fälle durch gute ausgeglichen werden, und die guten überwiegen, so ist der Zweck gewonnen. Jedoch wenn im reinen Spiel den unberechenbaren (zufälligen) Umständen (der Conjunc- tur) ihre Wirkung freigelassen und die Möglichkeit des Verlustes bis zu jeder Höhe von Wahrscheinlichkeit er-

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/116>, abgerufen am 26.04.2024.