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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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Wesen oder Personen -- sich erstreckt. Daher reicht das
Recht der Gemeinschaft an den Leibern ihrer Glieder noth-
wendiger Weise über alle Sachen, welche zu diesen Glie-
dern, als zu ihr selbst, gehören; und so ist es einerlei, ob
das hingegebene Stück einer Freiheit in Handlungen als
Dienstleistungen oder in der Ueberlieferung einer bestimm-
ten Sache sich darstelle, und kann die Bedeutung oder der
Werth jener nach Art eines Sachwerthes, als des leichter
begreiflichen, geschätzt werden. Von allen Sachen aber,
die als organisches Eigenthum einer Gemeinschaft angeschaut
werden, stehen dem Menschen selber die lebendigen Thiere
am nächsten, welche als Gehülfen der Arbeit aufgezogen,
gehegt und gepflegt werden müssen; sie gehören zum Hause,
und das Haus ist der Leib der einfachen Gemeinschaft
selber. Die Ur-Sache ist vielmehr, welche ganz eigentlich
von jeder menschlichen Gemeinschaft be-sessen wird, der
Grund und Boden. Stücke und Antheile daran gehören zu
jeder einzelnen freien Familie, insofern als sie aus höherer
Gemeinschaft sich ableitet, als die natürliche Sphäre ihres
Wesenwillens und Wirkens. Wie das Volk sich gliedert
und ausbildet, so wird in paralleler Entwicklung das Land
aufgetheilt und cultivirt und bleibt doch eine Einheit und
gemeinsames Gut, in weiteren oder engeren Bezügen und
Folgen. So viel auch Arbeit daran thut, sie verbessert
doch nur die Bedingungen für das freie Wachsthum von
Pflanzen, erhält und fördert die productive Kraft der Erde
selber, bereitet die dargebotenen gereiften Früchte für den
Genuss. Anders, wenn Arbeit neue Sachen schafft -- wo
die Form so wichtig ist für den Gebrauch als der Stoff,
oder noch mehr. Die Form verleiht ihr der Geist und die
Hand des Einzelnen, des Künstlers, Handwerkers. Aber
durch ihn arbeitet und schafft für sich das gesammte
Haus, dessen Mitglied -- Vater, Sohn oder Knecht -- er
ist, die Gemeinde, deren Bürger, oder die Zunft, deren Ge-
nosse und Meister er ist. Die Gemeinschaft behält ein
oberes Eigenthum an seinem Werke, auch wenn ihm allein
der Gebrauch als eine natürliche Gerechtsame und Folge
seiner Urheberschaft eingeräumt wird. Der wirkliche Ge-
brauch aber ist wiederum entweder -- im natürlichen und

Wesen oder Personen — sich erstreckt. Daher reicht das
Recht der Gemeinschaft an den Leibern ihrer Glieder noth-
wendiger Weise über alle Sachen, welche zu diesen Glie-
dern, als zu ihr selbst, gehören; und so ist es einerlei, ob
das hingegebene Stück einer Freiheit in Handlungen als
Dienstleistungen oder in der Ueberlieferung einer bestimm-
ten Sache sich darstelle, und kann die Bedeutung oder der
Werth jener nach Art eines Sachwerthes, als des leichter
begreiflichen, geschätzt werden. Von allen Sachen aber,
die als organisches Eigenthum einer Gemeinschaft angeschaut
werden, stehen dem Menschen selber die lebendigen Thiere
am nächsten, welche als Gehülfen der Arbeit aufgezogen,
gehegt und gepflegt werden müssen; sie gehören zum Hause,
und das Haus ist der Leib der einfachen Gemeinschaft
selber. Die Ur-Sache ist vielmehr, welche ganz eigentlich
von jeder menschlichen Gemeinschaft be-sessen wird, der
Grund und Boden. Stücke und Antheile daran gehören zu
jeder einzelnen freien Familie, insofern als sie aus höherer
Gemeinschaft sich ableitet, als die natürliche Sphäre ihres
Wesenwillens und Wirkens. Wie das Volk sich gliedert
und ausbildet, so wird in paralleler Entwicklung das Land
aufgetheilt und cultivirt und bleibt doch eine Einheit und
gemeinsames Gut, in weiteren oder engeren Bezügen und
Folgen. So viel auch Arbeit daran thut, sie verbessert
doch nur die Bedingungen für das freie Wachsthum von
Pflanzen, erhält und fördert die productive Kraft der Erde
selber, bereitet die dargebotenen gereiften Früchte für den
Genuss. Anders, wenn Arbeit neue Sachen schafft — wo
die Form so wichtig ist für den Gebrauch als der Stoff,
oder noch mehr. Die Form verleiht ihr der Geist und die
Hand des Einzelnen, des Künstlers, Handwerkers. Aber
durch ihn arbeitet und schafft für sich das gesammte
Haus, dessen Mitglied — Vater, Sohn oder Knecht — er
ist, die Gemeinde, deren Bürger, oder die Zunft, deren Ge-
nosse und Meister er ist. Die Gemeinschaft behält ein
oberes Eigenthum an seinem Werke, auch wenn ihm allein
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[210/0246] Wesen oder Personen — sich erstreckt. Daher reicht das Recht der Gemeinschaft an den Leibern ihrer Glieder noth- wendiger Weise über alle Sachen, welche zu diesen Glie- dern, als zu ihr selbst, gehören; und so ist es einerlei, ob das hingegebene Stück einer Freiheit in Handlungen als Dienstleistungen oder in der Ueberlieferung einer bestimm- ten Sache sich darstelle, und kann die Bedeutung oder der Werth jener nach Art eines Sachwerthes, als des leichter begreiflichen, geschätzt werden. Von allen Sachen aber, die als organisches Eigenthum einer Gemeinschaft angeschaut werden, stehen dem Menschen selber die lebendigen Thiere am nächsten, welche als Gehülfen der Arbeit aufgezogen, gehegt und gepflegt werden müssen; sie gehören zum Hause, und das Haus ist der Leib der einfachen Gemeinschaft selber. Die Ur-Sache ist vielmehr, welche ganz eigentlich von jeder menschlichen Gemeinschaft be-sessen wird, der Grund und Boden. Stücke und Antheile daran gehören zu jeder einzelnen freien Familie, insofern als sie aus höherer Gemeinschaft sich ableitet, als die natürliche Sphäre ihres Wesenwillens und Wirkens. Wie das Volk sich gliedert und ausbildet, so wird in paralleler Entwicklung das Land aufgetheilt und cultivirt und bleibt doch eine Einheit und gemeinsames Gut, in weiteren oder engeren Bezügen und Folgen. So viel auch Arbeit daran thut, sie verbessert doch nur die Bedingungen für das freie Wachsthum von Pflanzen, erhält und fördert die productive Kraft der Erde selber, bereitet die dargebotenen gereiften Früchte für den Genuss. Anders, wenn Arbeit neue Sachen schafft — wo die Form so wichtig ist für den Gebrauch als der Stoff, oder noch mehr. Die Form verleiht ihr der Geist und die Hand des Einzelnen, des Künstlers, Handwerkers. Aber durch ihn arbeitet und schafft für sich das gesammte Haus, dessen Mitglied — Vater, Sohn oder Knecht — er ist, die Gemeinde, deren Bürger, oder die Zunft, deren Ge- nosse und Meister er ist. Die Gemeinschaft behält ein oberes Eigenthum an seinem Werke, auch wenn ihm allein der Gebrauch als eine natürliche Gerechtsame und Folge seiner Urheberschaft eingeräumt wird. Der wirkliche Ge- brauch aber ist wiederum entweder — im natürlichen und

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/246>, abgerufen am 26.04.2024.