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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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Weise den Promittenten zwingen, die Leistung auszu-
führen, sowie er rechtmässiger Weise eine verfallene Sache
herauszugeben, den Schuldner und jeden dritten Besitzer
nöthigen, oder sie mit Gewalt nehmen kann. Eine schul-
dige Leistung lässt nur durch Zwang sich nehmen. Das
Versprechen einer Leistung kann aber sowohl gegenseitig
als einseitig sein, mithin auch daraus erfolgendes Zwangs-
recht
. In diesem Sinne können daher Mehrere zu einer
gleichen Thätigkeit nach aussenhin sich verbinden,
wobei Jeder der wirklichen Leistung des Anderen als einer
Hülfe für sich geniesst. Endlich können dann Mehrere
übereinkommen, eine solche ihre Verbindung als ein
existirendes und unabhängiges Wesen von der gleichen indi-
viduellen Natur wie sie selber, zu denken, und dieser
fingirten Person einen besonderen Willen und die Fähigkeit
des Handelns, also auch Contracte zu schliessen und sich
zu obligiren, zuzuschreiben. Dieselbe ist aber, gleich allem
übrigen möglichen Inhalte von Contracten, nur insofern als
objectiv-wirkliche zu denken, als die Gesellschaft darin mit-
zuwirken und also ihre Existenz zu bestätigen scheint. Nur
so ist sie ein Mit-Subject der gesellschaftlichen Rechts-
Ordnung
und heisst eine Societät, ein Verein, eine Gesell-
schaft oder mit irgend welchen ähnlichen Namen. Der natür-
liche Inhalt solcher Ordnung kann aber in der einen Formel
zusammengefasst werden: pacta esse observanda, dass Con-
tracte gehalten werden müssen, womit die Voraussetzung
eines Zustandes getrennter Willenssphären oder Gebiete ge-
geben ist, deren thatsächlicher Umfang bejahet oder garan-
tirt wird, so dass mithin eine bejahte und folglich recht-
mässige Veränderung jeder Sphäre nur statthaben kann:
entweder zu Gunsten oder Ungunsten von Gebieten, die
ausserhalb des Systemes gelegen sind, oder aber --
innerhalb des Systemes -- allein durch Contracte, d. i.
durch Einwilligung des Vermehrten oder Verminderten, und
hiermit gegebene Einwilligung Aller. Solches Zusammen-
treffen der Willen ist seiner Natur nach momentan, punc-
tuell, so dass die Veränderung als Werden des neuen Zu-
standes keine Zeitdauer haben muss. Alsdann entsteht
keine Modification der obersten Regel, dass Jeder innerhalb

Weise den Promittenten zwingen, die Leistung auszu-
führen, sowie er rechtmässiger Weise eine verfallene Sache
herauszugeben, den Schuldner und jeden dritten Besitzer
nöthigen, oder sie mit Gewalt nehmen kann. Eine schul-
dige Leistung lässt nur durch Zwang sich nehmen. Das
Versprechen einer Leistung kann aber sowohl gegenseitig
als einseitig sein, mithin auch daraus erfolgendes Zwangs-
recht
. In diesem Sinne können daher Mehrere zu einer
gleichen Thätigkeit nach aussenhin sich verbinden,
wobei Jeder der wirklichen Leistung des Anderen als einer
Hülfe für sich geniesst. Endlich können dann Mehrere
übereinkommen, eine solche ihre Verbindung als ein
existirendes und unabhängiges Wesen von der gleichen indi-
viduellen Natur wie sie selber, zu denken, und dieser
fingirten Person einen besonderen Willen und die Fähigkeit
des Handelns, also auch Contracte zu schliessen und sich
zu obligiren, zuzuschreiben. Dieselbe ist aber, gleich allem
übrigen möglichen Inhalte von Contracten, nur insofern als
objectiv-wirkliche zu denken, als die Gesellschaft darin mit-
zuwirken und also ihre Existenz zu bestätigen scheint. Nur
so ist sie ein Mit-Subject der gesellschaftlichen Rechts-
Ordnung
und heisst eine Societät, ein Verein, eine Gesell-
schaft oder mit irgend welchen ähnlichen Namen. Der natür-
liche Inhalt solcher Ordnung kann aber in der einen Formel
zusammengefasst werden: pacta esse observanda, dass Con-
tracte gehalten werden müssen, womit die Voraussetzung
eines Zustandes getrennter Willenssphären oder Gebiete ge-
geben ist, deren thatsächlicher Umfang bejahet oder garan-
tirt wird, so dass mithin eine bejahte und folglich recht-
mässige Veränderung jeder Sphäre nur statthaben kann:
entweder zu Gunsten oder Ungunsten von Gebieten, die
ausserhalb des Systemes gelegen sind, oder aber —
innerhalb des Systemes — allein durch Contracte, d. i.
durch Einwilligung des Vermehrten oder Verminderten, und
hiermit gegebene Einwilligung Aller. Solches Zusammen-
treffen der Willen ist seiner Natur nach momentan, punc-
tuell, so dass die Veränderung als Werden des neuen Zu-
standes keine Zeitdauer haben muss. Alsdann entsteht
keine Modification der obersten Regel, dass Jeder innerhalb

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[59/0095] Weise den Promittenten zwingen, die Leistung auszu- führen, sowie er rechtmässiger Weise eine verfallene Sache herauszugeben, den Schuldner und jeden dritten Besitzer nöthigen, oder sie mit Gewalt nehmen kann. Eine schul- dige Leistung lässt nur durch Zwang sich nehmen. Das Versprechen einer Leistung kann aber sowohl gegenseitig als einseitig sein, mithin auch daraus erfolgendes Zwangs- recht. In diesem Sinne können daher Mehrere zu einer gleichen Thätigkeit nach aussenhin sich verbinden, wobei Jeder der wirklichen Leistung des Anderen als einer Hülfe für sich geniesst. Endlich können dann Mehrere übereinkommen, eine solche ihre Verbindung als ein existirendes und unabhängiges Wesen von der gleichen indi- viduellen Natur wie sie selber, zu denken, und dieser fingirten Person einen besonderen Willen und die Fähigkeit des Handelns, also auch Contracte zu schliessen und sich zu obligiren, zuzuschreiben. Dieselbe ist aber, gleich allem übrigen möglichen Inhalte von Contracten, nur insofern als objectiv-wirkliche zu denken, als die Gesellschaft darin mit- zuwirken und also ihre Existenz zu bestätigen scheint. Nur so ist sie ein Mit-Subject der gesellschaftlichen Rechts- Ordnung und heisst eine Societät, ein Verein, eine Gesell- schaft oder mit irgend welchen ähnlichen Namen. Der natür- liche Inhalt solcher Ordnung kann aber in der einen Formel zusammengefasst werden: pacta esse observanda, dass Con- tracte gehalten werden müssen, womit die Voraussetzung eines Zustandes getrennter Willenssphären oder Gebiete ge- geben ist, deren thatsächlicher Umfang bejahet oder garan- tirt wird, so dass mithin eine bejahte und folglich recht- mässige Veränderung jeder Sphäre nur statthaben kann: entweder zu Gunsten oder Ungunsten von Gebieten, die ausserhalb des Systemes gelegen sind, oder aber — innerhalb des Systemes — allein durch Contracte, d. i. durch Einwilligung des Vermehrten oder Verminderten, und hiermit gegebene Einwilligung Aller. Solches Zusammen- treffen der Willen ist seiner Natur nach momentan, punc- tuell, so dass die Veränderung als Werden des neuen Zu- standes keine Zeitdauer haben muss. Alsdann entsteht keine Modification der obersten Regel, dass Jeder innerhalb

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/95>, abgerufen am 26.04.2024.