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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
dieser Raserei partikularistischer Leidenschaft nahm die gesammte Nation
außerhalb Preußens willig theil. Alle die Lieder und Reden zum Preise
der deutschen Einheit waren vergessen, sobald Preußen sich anschickte, den
Deutschen "die Wohlthat eines gemeinsamen Vaterlandes zu gewähren".

Preußens Staatsmänner hatten gehofft, schon in dem ersten Jahre,
da das neue Gesetz bestand, einige der deutschen Nachbarn für die Politik
der praktischen deutschen Einheit zu gewinnen. Jetzt sahen sie sich in die
Vertheidigung zurückgeworfen. Der siegreiche Kampf um die Behauptung,
dann um die Erweiterung des Zollgebietes blieb auf Jahre hinaus die
wichtigste Aufgabe der preußischen Staatskunst. Durch die friedlichen Er-
oberungen dieses Kampfes hat König Friedrich Wilhelm gesühnt was in
Karlsbad gefehlt war und die Marksteine gesetzt für das neue Deutschland.
Er war der rechte Mann für dies unscheinbare und doch so folgenschwere
Werk deutscher Geduld. Gleichmüthig und immer bei der Sache, treu und
beharrlich, von einer Rechtschaffenheit, die jedes Mißtrauen entwaffnete, stets
bereit dem bekehrten Gegner mit aufrichtigem Wohlwollen entgegenzukommen
-- so hat er nach und nach die Trümmer Deutschlands befreit aus den
Banden eigener Thorheit und ausländischer Ränke, den Weg bereitend für
größere Zeiten. Die Gegenwart aber soll nicht undankbarer sein als
Friedrich der Große war, der von dem glanzlosen Arbeitsleben seines Vaters
sagte: "der Kraft der Eichel danken wir den Schatten des Eichbaums, der
uns deckt." --


II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
dieſer Raſerei partikulariſtiſcher Leidenſchaft nahm die geſammte Nation
außerhalb Preußens willig theil. Alle die Lieder und Reden zum Preiſe
der deutſchen Einheit waren vergeſſen, ſobald Preußen ſich anſchickte, den
Deutſchen „die Wohlthat eines gemeinſamen Vaterlandes zu gewähren“.

Preußens Staatsmänner hatten gehofft, ſchon in dem erſten Jahre,
da das neue Geſetz beſtand, einige der deutſchen Nachbarn für die Politik
der praktiſchen deutſchen Einheit zu gewinnen. Jetzt ſahen ſie ſich in die
Vertheidigung zurückgeworfen. Der ſiegreiche Kampf um die Behauptung,
dann um die Erweiterung des Zollgebietes blieb auf Jahre hinaus die
wichtigſte Aufgabe der preußiſchen Staatskunſt. Durch die friedlichen Er-
oberungen dieſes Kampfes hat König Friedrich Wilhelm geſühnt was in
Karlsbad gefehlt war und die Markſteine geſetzt für das neue Deutſchland.
Er war der rechte Mann für dies unſcheinbare und doch ſo folgenſchwere
Werk deutſcher Geduld. Gleichmüthig und immer bei der Sache, treu und
beharrlich, von einer Rechtſchaffenheit, die jedes Mißtrauen entwaffnete, ſtets
bereit dem bekehrten Gegner mit aufrichtigem Wohlwollen entgegenzukommen
— ſo hat er nach und nach die Trümmer Deutſchlands befreit aus den
Banden eigener Thorheit und ausländiſcher Ränke, den Weg bereitend für
größere Zeiten. Die Gegenwart aber ſoll nicht undankbarer ſein als
Friedrich der Große war, der von dem glanzloſen Arbeitsleben ſeines Vaters
ſagte: „der Kraft der Eichel danken wir den Schatten des Eichbaums, der
uns deckt.“ —


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[626/0640] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. dieſer Raſerei partikulariſtiſcher Leidenſchaft nahm die geſammte Nation außerhalb Preußens willig theil. Alle die Lieder und Reden zum Preiſe der deutſchen Einheit waren vergeſſen, ſobald Preußen ſich anſchickte, den Deutſchen „die Wohlthat eines gemeinſamen Vaterlandes zu gewähren“. Preußens Staatsmänner hatten gehofft, ſchon in dem erſten Jahre, da das neue Geſetz beſtand, einige der deutſchen Nachbarn für die Politik der praktiſchen deutſchen Einheit zu gewinnen. Jetzt ſahen ſie ſich in die Vertheidigung zurückgeworfen. Der ſiegreiche Kampf um die Behauptung, dann um die Erweiterung des Zollgebietes blieb auf Jahre hinaus die wichtigſte Aufgabe der preußiſchen Staatskunſt. Durch die friedlichen Er- oberungen dieſes Kampfes hat König Friedrich Wilhelm geſühnt was in Karlsbad gefehlt war und die Markſteine geſetzt für das neue Deutſchland. Er war der rechte Mann für dies unſcheinbare und doch ſo folgenſchwere Werk deutſcher Geduld. Gleichmüthig und immer bei der Sache, treu und beharrlich, von einer Rechtſchaffenheit, die jedes Mißtrauen entwaffnete, ſtets bereit dem bekehrten Gegner mit aufrichtigem Wohlwollen entgegenzukommen — ſo hat er nach und nach die Trümmer Deutſchlands befreit aus den Banden eigener Thorheit und ausländiſcher Ränke, den Weg bereitend für größere Zeiten. Die Gegenwart aber ſoll nicht undankbarer ſein als Friedrich der Große war, der von dem glanzloſen Arbeitsleben ſeines Vaters ſagte: „der Kraft der Eichel danken wir den Schatten des Eichbaums, der uns deckt.“ —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/640>, abgerufen am 26.04.2024.