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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Motz's Tod.
das wird ein Sieg sein über Oesterreich. Die Edinburgh Review aber
sagte mit jener englischen Bescheidenheit, die sich auch im Lobe nie ver-
leugnet: "Die preußische Handelspolitik, die vielleicht der jedes anderen
Staates in der Welt überlegen ist, verdankt ihren Ursprung wahrschein-
lich dem Selbstbereicherungstriebe eines absoluten Herrschers." Vor Kurzem
noch verhaßt und gemieden, war Preußen jetzt mit den bekehrten Kernlanden
des Rheinbundes zu einem großen nationalen Zwecke verbündet. Das
vor zehn Jahren von ganz Deutschland bekämpfte preußische Zollgesetz be-
gann bereits siegreich vorzudringen, und schon ließ sich voraussehen, daß
es seine Herrschaft bis zum Bodensee erstrecken würde. In Berlin, nicht
mehr in Frankfurt und Wien, wurden die großen Geschäfte der Nation
erledigt.

Motz hatte in einem kurzen diplomatischen Kriege, der mit seinen fest
und sicher geleiteten weitverzweigten Verhandlungen an die Entstehung des
fridericianischen Fürstenbundes erinnert, nicht blos den Gegenzollverein nahe-
zu gesprengt, sondern auch durch geistige Waffen die Gegner geschlagen, den
Unsinn des feindlichen Unternehmens dargethan und vor aller Welt er-
wiesen, daß Oesterreich für die Nöthe der Nation nur leere Worte hatte,
Preußen die heilende That. Nicht eine zufällige Verkettung der Umstände
führte den Süden auf kurze Zeit mit dem Norden zusammen, wie einst
die Genossen des Fürstenbundes. Die Gemeinschaft, die jetzt sich bildete,
war unzerstörbar. Sie entsprang den Lebensbedürfnissen eines arbeiten-
den Jahrhunderts, und über ihren unscheinbaren ersten Anfängen waltete
der freie Geist eines Mannes, der fast allein in müder, verdrossener Zeit
schon hellen Auges die schlummernden Kräfte des germanischen Riesen er-
kannte, die große Zukunft des "in Wahrheit verbündeten Deutschlands"
ahnte. --


Motz’s Tod.
das wird ein Sieg ſein über Oeſterreich. Die Edinburgh Review aber
ſagte mit jener engliſchen Beſcheidenheit, die ſich auch im Lobe nie ver-
leugnet: „Die preußiſche Handelspolitik, die vielleicht der jedes anderen
Staates in der Welt überlegen iſt, verdankt ihren Urſprung wahrſchein-
lich dem Selbſtbereicherungstriebe eines abſoluten Herrſchers.“ Vor Kurzem
noch verhaßt und gemieden, war Preußen jetzt mit den bekehrten Kernlanden
des Rheinbundes zu einem großen nationalen Zwecke verbündet. Das
vor zehn Jahren von ganz Deutſchland bekämpfte preußiſche Zollgeſetz be-
gann bereits ſiegreich vorzudringen, und ſchon ließ ſich vorausſehen, daß
es ſeine Herrſchaft bis zum Bodenſee erſtrecken würde. In Berlin, nicht
mehr in Frankfurt und Wien, wurden die großen Geſchäfte der Nation
erledigt.

Motz hatte in einem kurzen diplomatiſchen Kriege, der mit ſeinen feſt
und ſicher geleiteten weitverzweigten Verhandlungen an die Entſtehung des
fridericianiſchen Fürſtenbundes erinnert, nicht blos den Gegenzollverein nahe-
zu geſprengt, ſondern auch durch geiſtige Waffen die Gegner geſchlagen, den
Unſinn des feindlichen Unternehmens dargethan und vor aller Welt er-
wieſen, daß Oeſterreich für die Nöthe der Nation nur leere Worte hatte,
Preußen die heilende That. Nicht eine zufällige Verkettung der Umſtände
führte den Süden auf kurze Zeit mit dem Norden zuſammen, wie einſt
die Genoſſen des Fürſtenbundes. Die Gemeinſchaft, die jetzt ſich bildete,
war unzerſtörbar. Sie entſprang den Lebensbedürfniſſen eines arbeiten-
den Jahrhunderts, und über ihren unſcheinbaren erſten Anfängen waltete
der freie Geiſt eines Mannes, der faſt allein in müder, verdroſſener Zeit
ſchon hellen Auges die ſchlummernden Kräfte des germaniſchen Rieſen er-
kannte, die große Zukunft des „in Wahrheit verbündeten Deutſchlands“
ahnte. —


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[681/0697] Motz’s Tod. das wird ein Sieg ſein über Oeſterreich. Die Edinburgh Review aber ſagte mit jener engliſchen Beſcheidenheit, die ſich auch im Lobe nie ver- leugnet: „Die preußiſche Handelspolitik, die vielleicht der jedes anderen Staates in der Welt überlegen iſt, verdankt ihren Urſprung wahrſchein- lich dem Selbſtbereicherungstriebe eines abſoluten Herrſchers.“ Vor Kurzem noch verhaßt und gemieden, war Preußen jetzt mit den bekehrten Kernlanden des Rheinbundes zu einem großen nationalen Zwecke verbündet. Das vor zehn Jahren von ganz Deutſchland bekämpfte preußiſche Zollgeſetz be- gann bereits ſiegreich vorzudringen, und ſchon ließ ſich vorausſehen, daß es ſeine Herrſchaft bis zum Bodenſee erſtrecken würde. In Berlin, nicht mehr in Frankfurt und Wien, wurden die großen Geſchäfte der Nation erledigt. Motz hatte in einem kurzen diplomatiſchen Kriege, der mit ſeinen feſt und ſicher geleiteten weitverzweigten Verhandlungen an die Entſtehung des fridericianiſchen Fürſtenbundes erinnert, nicht blos den Gegenzollverein nahe- zu geſprengt, ſondern auch durch geiſtige Waffen die Gegner geſchlagen, den Unſinn des feindlichen Unternehmens dargethan und vor aller Welt er- wieſen, daß Oeſterreich für die Nöthe der Nation nur leere Worte hatte, Preußen die heilende That. Nicht eine zufällige Verkettung der Umſtände führte den Süden auf kurze Zeit mit dem Norden zuſammen, wie einſt die Genoſſen des Fürſtenbundes. Die Gemeinſchaft, die jetzt ſich bildete, war unzerſtörbar. Sie entſprang den Lebensbedürfniſſen eines arbeiten- den Jahrhunderts, und über ihren unſcheinbaren erſten Anfängen waltete der freie Geiſt eines Mannes, der faſt allein in müder, verdroſſener Zeit ſchon hellen Auges die ſchlummernden Kräfte des germaniſchen Rieſen er- kannte, die große Zukunft des „in Wahrheit verbündeten Deutſchlands“ ahnte. —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/697>, abgerufen am 26.04.2024.