Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

der Affektentriebe.
kann die Rachgier, als eine sich subordinirte Nebenleiden-
schaft hervorbringen, und dann ist die Rachgier kein Af-
fektentrieb, sondern eine mit einer andern, mit dem Zor-
ne, vereinete Leidenschaft. Die besondre Seelenwirkung
der Rachgier in die Leber, Gallenblase, Galle und den
Speichel, die ihr sowohl als Affektentrieb, als auch als
Nebenleidenschaft des Zorns, eben so, wie dem Zorne selbst,
eigen ist, werden wir unten, bey der Leidenschaft des Zornes
betrachten. S. §. 325.

§. 302.

Die Natur zwingt die Thiere im Triebe der Fortpflan-
zung ihres Geschlechts zur Begattung, ohne daß sie wissen,
wodurch? Sie gab ihnen die Gliedmaßen dazu, nebst der
Geschicklichkeit, sich derselben gehörig zu bedienen, ohne sie
wissen zu lassen, daß sie dadurch ihres Gleichen erzeugeten.
§. 265. 266. 289. Es scheint, daß, außer dem Men-
schen, kein einziges Thier jemals die letzte Absicht der Na-
tur bey diesem Triebe erkenne. Aber auch die unmittelbare
Absicht der Natur, das Vergnügen in der Begattung, ist
vielen Thieren noch unbekannt, da sie doch schon durch den
Trieb gereizet sind, den Gebrauch der Gliedmaßen dazu
auf mancherley Weise zu versuchen. §. 269. Wenn sie
sich aber in diesem Triebe des unmittelbaren Gegenstandes,
des Vergnügens in der Begattung bewußt werden, so ver-
einigen sie mit der Absicht der Natur, sich zu begatten, ih-
re eigne, und wirken wissentlich und eigenmächtig dazu mit.
Die Handlungen (Seelenwirkungen) des Triebes werden
nun, ob sie gleich natürlich nothwendig aus dem Triebe fol-
gen, zugleich Wirkungen des sinnlichen Beliebens der Thie-
re. Sie folgen dem Zwange der Natur, sich zu begatten,
aber sie folgen ihm nun gern, und nicht nur blind, seitdem
er durch das Bewußtwerden seines Gegenstandes, der Be-
gattung, in ihnen zum Affektentriebe, zum Verliebtseyn,
(Liebe, die Affektentrieb, nicht aber die ursprüngliche
Leidenschaft der Liebe S. §. 308. ist,) geworden ist.

§. 297.
T 5

der Affektentriebe.
kann die Rachgier, als eine ſich ſubordinirte Nebenleiden-
ſchaft hervorbringen, und dann iſt die Rachgier kein Af-
fektentrieb, ſondern eine mit einer andern, mit dem Zor-
ne, vereinete Leidenſchaft. Die beſondre Seelenwirkung
der Rachgier in die Leber, Gallenblaſe, Galle und den
Speichel, die ihr ſowohl als Affektentrieb, als auch als
Nebenleidenſchaft des Zorns, eben ſo, wie dem Zorne ſelbſt,
eigen iſt, werden wir unten, bey der Leidenſchaft des Zornes
betrachten. S. §. 325.

§. 302.

Die Natur zwingt die Thiere im Triebe der Fortpflan-
zung ihres Geſchlechts zur Begattung, ohne daß ſie wiſſen,
wodurch? Sie gab ihnen die Gliedmaßen dazu, nebſt der
Geſchicklichkeit, ſich derſelben gehoͤrig zu bedienen, ohne ſie
wiſſen zu laſſen, daß ſie dadurch ihres Gleichen erzeugeten.
§. 265. 266. 289. Es ſcheint, daß, außer dem Men-
ſchen, kein einziges Thier jemals die letzte Abſicht der Na-
tur bey dieſem Triebe erkenne. Aber auch die unmittelbare
Abſicht der Natur, das Vergnuͤgen in der Begattung, iſt
vielen Thieren noch unbekannt, da ſie doch ſchon durch den
Trieb gereizet ſind, den Gebrauch der Gliedmaßen dazu
auf mancherley Weiſe zu verſuchen. §. 269. Wenn ſie
ſich aber in dieſem Triebe des unmittelbaren Gegenſtandes,
des Vergnuͤgens in der Begattung bewußt werden, ſo ver-
einigen ſie mit der Abſicht der Natur, ſich zu begatten, ih-
re eigne, und wirken wiſſentlich und eigenmaͤchtig dazu mit.
Die Handlungen (Seelenwirkungen) des Triebes werden
nun, ob ſie gleich natuͤrlich nothwendig aus dem Triebe fol-
gen, zugleich Wirkungen des ſinnlichen Beliebens der Thie-
re. Sie folgen dem Zwange der Natur, ſich zu begatten,
aber ſie folgen ihm nun gern, und nicht nur blind, ſeitdem
er durch das Bewußtwerden ſeines Gegenſtandes, der Be-
gattung, in ihnen zum Affektentriebe, zum Verliebtſeyn,
(Liebe, die Affektentrieb, nicht aber die urſpruͤngliche
Leidenſchaft der Liebe S. §. 308. iſt,) geworden iſt.

§. 297.
T 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0321" n="297"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Affektentriebe.</hi></fw><lb/>
kann die Rachgier, als eine &#x017F;ich &#x017F;ubordinirte Nebenleiden-<lb/>
&#x017F;chaft hervorbringen, und dann i&#x017F;t die Rachgier kein Af-<lb/>
fektentrieb, &#x017F;ondern eine mit einer andern, mit dem Zor-<lb/>
ne, vereinete Leiden&#x017F;chaft. Die be&#x017F;ondre Seelenwirkung<lb/>
der Rachgier in die Leber, Gallenbla&#x017F;e, Galle und den<lb/>
Speichel, die ihr &#x017F;owohl als Affektentrieb, als auch als<lb/>
Nebenleiden&#x017F;chaft des Zorns, eben &#x017F;o, wie dem Zorne &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
eigen i&#x017F;t, werden wir unten, bey der Leiden&#x017F;chaft des Zornes<lb/>
betrachten. S. §. 325.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 302.</head><lb/>
              <p>Die Natur zwingt die Thiere im Triebe der Fortpflan-<lb/>
zung ihres Ge&#x017F;chlechts zur Begattung, ohne daß &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wodurch? Sie gab ihnen die Gliedmaßen dazu, neb&#x017F;t der<lb/>
Ge&#x017F;chicklichkeit, &#x017F;ich der&#x017F;elben geho&#x0364;rig zu bedienen, ohne &#x017F;ie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie dadurch ihres Gleichen erzeugeten.<lb/>
§. 265. 266. 289. Es &#x017F;cheint, daß, außer dem Men-<lb/>
&#x017F;chen, kein einziges Thier jemals die letzte Ab&#x017F;icht der Na-<lb/>
tur bey die&#x017F;em Triebe erkenne. Aber auch die unmittelbare<lb/>
Ab&#x017F;icht der Natur, das Vergnu&#x0364;gen in der Begattung, i&#x017F;t<lb/>
vielen Thieren noch unbekannt, da &#x017F;ie doch &#x017F;chon durch den<lb/>
Trieb gereizet &#x017F;ind, den Gebrauch der Gliedmaßen dazu<lb/>
auf mancherley Wei&#x017F;e zu ver&#x017F;uchen. §. 269. Wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich aber in die&#x017F;em Triebe des unmittelbaren Gegen&#x017F;tandes,<lb/>
des Vergnu&#x0364;gens in der Begattung bewußt werden, &#x017F;o ver-<lb/>
einigen &#x017F;ie mit der Ab&#x017F;icht der Natur, &#x017F;ich zu begatten, ih-<lb/>
re eigne, und wirken wi&#x017F;&#x017F;entlich und eigenma&#x0364;chtig dazu mit.<lb/>
Die Handlungen (Seelenwirkungen) des Triebes werden<lb/>
nun, ob &#x017F;ie gleich natu&#x0364;rlich nothwendig aus dem Triebe fol-<lb/>
gen, zugleich Wirkungen des &#x017F;innlichen Beliebens der Thie-<lb/>
re. Sie folgen dem Zwange der Natur, &#x017F;ich zu begatten,<lb/>
aber &#x017F;ie folgen ihm nun gern, und nicht nur blind, &#x017F;eitdem<lb/>
er durch das Bewußtwerden &#x017F;eines Gegen&#x017F;tandes, der Be-<lb/>
gattung, in ihnen zum Affektentriebe, zum <hi rendition="#fr">Verliebt&#x017F;eyn,<lb/>
(Liebe,</hi> die Affektentrieb, nicht aber die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche<lb/><hi rendition="#fr">Leiden&#x017F;chaft der Liebe</hi> S. §. 308. i&#x017F;t,) geworden i&#x017F;t.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 5</fw><fw place="bottom" type="catch">§. 297.</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0321] der Affektentriebe. kann die Rachgier, als eine ſich ſubordinirte Nebenleiden- ſchaft hervorbringen, und dann iſt die Rachgier kein Af- fektentrieb, ſondern eine mit einer andern, mit dem Zor- ne, vereinete Leidenſchaft. Die beſondre Seelenwirkung der Rachgier in die Leber, Gallenblaſe, Galle und den Speichel, die ihr ſowohl als Affektentrieb, als auch als Nebenleidenſchaft des Zorns, eben ſo, wie dem Zorne ſelbſt, eigen iſt, werden wir unten, bey der Leidenſchaft des Zornes betrachten. S. §. 325. §. 302. Die Natur zwingt die Thiere im Triebe der Fortpflan- zung ihres Geſchlechts zur Begattung, ohne daß ſie wiſſen, wodurch? Sie gab ihnen die Gliedmaßen dazu, nebſt der Geſchicklichkeit, ſich derſelben gehoͤrig zu bedienen, ohne ſie wiſſen zu laſſen, daß ſie dadurch ihres Gleichen erzeugeten. §. 265. 266. 289. Es ſcheint, daß, außer dem Men- ſchen, kein einziges Thier jemals die letzte Abſicht der Na- tur bey dieſem Triebe erkenne. Aber auch die unmittelbare Abſicht der Natur, das Vergnuͤgen in der Begattung, iſt vielen Thieren noch unbekannt, da ſie doch ſchon durch den Trieb gereizet ſind, den Gebrauch der Gliedmaßen dazu auf mancherley Weiſe zu verſuchen. §. 269. Wenn ſie ſich aber in dieſem Triebe des unmittelbaren Gegenſtandes, des Vergnuͤgens in der Begattung bewußt werden, ſo ver- einigen ſie mit der Abſicht der Natur, ſich zu begatten, ih- re eigne, und wirken wiſſentlich und eigenmaͤchtig dazu mit. Die Handlungen (Seelenwirkungen) des Triebes werden nun, ob ſie gleich natuͤrlich nothwendig aus dem Triebe fol- gen, zugleich Wirkungen des ſinnlichen Beliebens der Thie- re. Sie folgen dem Zwange der Natur, ſich zu begatten, aber ſie folgen ihm nun gern, und nicht nur blind, ſeitdem er durch das Bewußtwerden ſeines Gegenſtandes, der Be- gattung, in ihnen zum Affektentriebe, zum Verliebtſeyn, (Liebe, die Affektentrieb, nicht aber die urſpruͤngliche Leidenſchaft der Liebe S. §. 308. iſt,) geworden iſt. §. 297. T 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/321
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/321>, abgerufen am 26.04.2024.