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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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sich selber einen Reiz, der durch die begleitenden Um¬
stände, durch den allgemeinen Sturm der Begebenhei¬
ten, worin das Ganze sich verliert, und für uns auch
noch durch die Nähe der Zeiten, denen wir noch kaum
entwachsen sind, erhöht wird.

Bei dieser Gelegenheit hat sich aber auch der Zwei¬
fel erneuert, ob nicht der Verlauf dieser Geschichten
eine Erdichtung sei, die Person selbst, welche sich als
Verfasserin des Buches angiebt, gar nicht existirt habe?
Von mehreren Seiten ist diese Meinung aufgestellt und
mit mancherlei Gründen unterstützt worden. Man be¬
ruft sich auf die Unwahrscheinlichkeit, daß diese Person
und ihr Schicksal nicht größeres Aufsehen erregt habe,
daß sie spurlos habe verschwinden können, und weder
von den Freunden des Königthums noch von dessen
Feinden eifriger und genauer besprochen worden sei.
Uns dünkt indeß, daß diese Unterlassung nichts gegen
die Aechtheit dieser Geschichte zu beweisen braucht. Wenn
man bedenkt, welch ungeheurer und allgemeiner Zu¬
sammensturz der war, in welchen diese einzelne, damals
noch dunkle Existenz mitfortgerissen wurde, wie viel
größere und folgenreichere Schicksale und unmittelbare
Thätigkeiten und Leiden sich den Mitlebenden aufdräng¬
ten, und doch bald in schnellem Wechsel ebenfalls ver¬
schwanden und vergessen wurden, so kann man sich nicht
wundern, daß der Klageschrei eines unglücklichen hülf¬
losen Weibes fast ungehört verhallte. Die anerkannten,

ſich ſelber einen Reiz, der durch die begleitenden Um¬
ſtaͤnde, durch den allgemeinen Sturm der Begebenhei¬
ten, worin das Ganze ſich verliert, und fuͤr uns auch
noch durch die Naͤhe der Zeiten, denen wir noch kaum
entwachſen ſind, erhoͤht wird.

Bei dieſer Gelegenheit hat ſich aber auch der Zwei¬
fel erneuert, ob nicht der Verlauf dieſer Geſchichten
eine Erdichtung ſei, die Perſon ſelbſt, welche ſich als
Verfaſſerin des Buches angiebt, gar nicht exiſtirt habe?
Von mehreren Seiten iſt dieſe Meinung aufgeſtellt und
mit mancherlei Gruͤnden unterſtuͤtzt worden. Man be¬
ruft ſich auf die Unwahrſcheinlichkeit, daß dieſe Perſon
und ihr Schickſal nicht groͤßeres Aufſehen erregt habe,
daß ſie ſpurlos habe verſchwinden koͤnnen, und weder
von den Freunden des Koͤnigthums noch von deſſen
Feinden eifriger und genauer beſprochen worden ſei.
Uns duͤnkt indeß, daß dieſe Unterlaſſung nichts gegen
die Aechtheit dieſer Geſchichte zu beweiſen braucht. Wenn
man bedenkt, welch ungeheurer und allgemeiner Zu¬
ſammenſturz der war, in welchen dieſe einzelne, damals
noch dunkle Exiſtenz mitfortgeriſſen wurde, wie viel
groͤßere und folgenreichere Schickſale und unmittelbare
Thaͤtigkeiten und Leiden ſich den Mitlebenden aufdraͤng¬
ten, und doch bald in ſchnellem Wechſel ebenfalls ver¬
ſchwanden und vergeſſen wurden, ſo kann man ſich nicht
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[445/0459] ſich ſelber einen Reiz, der durch die begleitenden Um¬ ſtaͤnde, durch den allgemeinen Sturm der Begebenhei¬ ten, worin das Ganze ſich verliert, und fuͤr uns auch noch durch die Naͤhe der Zeiten, denen wir noch kaum entwachſen ſind, erhoͤht wird. Bei dieſer Gelegenheit hat ſich aber auch der Zwei¬ fel erneuert, ob nicht der Verlauf dieſer Geſchichten eine Erdichtung ſei, die Perſon ſelbſt, welche ſich als Verfaſſerin des Buches angiebt, gar nicht exiſtirt habe? Von mehreren Seiten iſt dieſe Meinung aufgeſtellt und mit mancherlei Gruͤnden unterſtuͤtzt worden. Man be¬ ruft ſich auf die Unwahrſcheinlichkeit, daß dieſe Perſon und ihr Schickſal nicht groͤßeres Aufſehen erregt habe, daß ſie ſpurlos habe verſchwinden koͤnnen, und weder von den Freunden des Koͤnigthums noch von deſſen Feinden eifriger und genauer beſprochen worden ſei. Uns duͤnkt indeß, daß dieſe Unterlaſſung nichts gegen die Aechtheit dieſer Geſchichte zu beweiſen braucht. Wenn man bedenkt, welch ungeheurer und allgemeiner Zu¬ ſammenſturz der war, in welchen dieſe einzelne, damals noch dunkle Exiſtenz mitfortgeriſſen wurde, wie viel groͤßere und folgenreichere Schickſale und unmittelbare Thaͤtigkeiten und Leiden ſich den Mitlebenden aufdraͤng¬ ten, und doch bald in ſchnellem Wechſel ebenfalls ver¬ ſchwanden und vergeſſen wurden, ſo kann man ſich nicht wundern, daß der Klageſchrei eines ungluͤcklichen huͤlf¬ loſen Weibes faſt ungehoͤrt verhallte. Die anerkannten,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/459>, abgerufen am 26.04.2024.