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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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weltumfassenden Gedichtes sich völlig entschleiert, dem
kritischen Erforschen noch ein weites Feld, dessen Anbau
nur durch Zusammenwirken der mannigfachsten Kräfte
und der reifenden Zeit erfolgen kann. Wir freuen uns,
dieses Feld von einem so trefflichen Führer, wie Herr
Deycks uns in dieser Schrift erscheint, mit so hellem
Sinn und rüstiger Kraft, betreten zu sehen! Durch¬
drungen von Goethe'schem Geiste, mit wissenschaftlicher
Kenntniß ausgestattet, und auf dem Standpunkte der
Bildung fußend, wo sich Wahrheit und Schönheit in
der höchsten Lebensbetrachtung vereinigen, schreitet unser
Verfasser, obwohl von ganz andrer Seite herantretend,
mit der von Rosenkranz eröffneten Bahn in größter
Uebereinstimmung, und wo die Ansichten und Urtheile
über das Einzelne von einander abweichen, liegt selbst
in dieser Verschiedenheit mehr gemeinsames Bemühen,
als trennende Streitigkeit. In der Anerkennung des
Gegenstandes, in der Würdigung seines Werthes und
seiner Bedeutung, in dem Urtheil über die hohe Vor¬
trefflichkeit auch des zweiten Theils der Tragödie und
über den tiefen und nothwendigen Zusammenhang des¬
selben mit dem ersten, sind beide Kritiker durchaus einig.

Das Verhältniß der beiden Theile des Faust, und
deren Gliederung in Akte und Scenen, so wie den
Inhalt und die Form jedes dieser Glieder insbesondere,
legt Herr Deycks durch die scharfsinnigsten Aufschlüsse
uns klar vor Augen, und der Zusammenhang des ganzen

weltumfaſſenden Gedichtes ſich voͤllig entſchleiert, dem
kritiſchen Erforſchen noch ein weites Feld, deſſen Anbau
nur durch Zuſammenwirken der mannigfachſten Kraͤfte
und der reifenden Zeit erfolgen kann. Wir freuen uns,
dieſes Feld von einem ſo trefflichen Fuͤhrer, wie Herr
Deycks uns in dieſer Schrift erſcheint, mit ſo hellem
Sinn und ruͤſtiger Kraft, betreten zu ſehen! Durch¬
drungen von Goethe’ſchem Geiſte, mit wiſſenſchaftlicher
Kenntniß ausgeſtattet, und auf dem Standpunkte der
Bildung fußend, wo ſich Wahrheit und Schoͤnheit in
der hoͤchſten Lebensbetrachtung vereinigen, ſchreitet unſer
Verfaſſer, obwohl von ganz andrer Seite herantretend,
mit der von Roſenkranz eroͤffneten Bahn in groͤßter
Uebereinſtimmung, und wo die Anſichten und Urtheile
uͤber das Einzelne von einander abweichen, liegt ſelbſt
in dieſer Verſchiedenheit mehr gemeinſames Bemuͤhen,
als trennende Streitigkeit. In der Anerkennung des
Gegenſtandes, in der Wuͤrdigung ſeines Werthes und
ſeiner Bedeutung, in dem Urtheil uͤber die hohe Vor¬
trefflichkeit auch des zweiten Theils der Tragoͤdie und
uͤber den tiefen und nothwendigen Zuſammenhang des¬
ſelben mit dem erſten, ſind beide Kritiker durchaus einig.

Das Verhaͤltniß der beiden Theile des Fauſt, und
deren Gliederung in Akte und Scenen, ſo wie den
Inhalt und die Form jedes dieſer Glieder insbeſondere,
legt Herr Deycks durch die ſcharfſinnigſten Aufſchluͤſſe
uns klar vor Augen, und der Zuſammenhang des ganzen

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[424/0438] weltumfaſſenden Gedichtes ſich voͤllig entſchleiert, dem kritiſchen Erforſchen noch ein weites Feld, deſſen Anbau nur durch Zuſammenwirken der mannigfachſten Kraͤfte und der reifenden Zeit erfolgen kann. Wir freuen uns, dieſes Feld von einem ſo trefflichen Fuͤhrer, wie Herr Deycks uns in dieſer Schrift erſcheint, mit ſo hellem Sinn und ruͤſtiger Kraft, betreten zu ſehen! Durch¬ drungen von Goethe’ſchem Geiſte, mit wiſſenſchaftlicher Kenntniß ausgeſtattet, und auf dem Standpunkte der Bildung fußend, wo ſich Wahrheit und Schoͤnheit in der hoͤchſten Lebensbetrachtung vereinigen, ſchreitet unſer Verfaſſer, obwohl von ganz andrer Seite herantretend, mit der von Roſenkranz eroͤffneten Bahn in groͤßter Uebereinſtimmung, und wo die Anſichten und Urtheile uͤber das Einzelne von einander abweichen, liegt ſelbſt in dieſer Verſchiedenheit mehr gemeinſames Bemuͤhen, als trennende Streitigkeit. In der Anerkennung des Gegenſtandes, in der Wuͤrdigung ſeines Werthes und ſeiner Bedeutung, in dem Urtheil uͤber die hohe Vor¬ trefflichkeit auch des zweiten Theils der Tragoͤdie und uͤber den tiefen und nothwendigen Zuſammenhang des¬ ſelben mit dem erſten, ſind beide Kritiker durchaus einig. Das Verhaͤltniß der beiden Theile des Fauſt, und deren Gliederung in Akte und Scenen, ſo wie den Inhalt und die Form jedes dieſer Glieder insbeſondere, legt Herr Deycks durch die ſcharfſinnigſten Aufſchluͤſſe uns klar vor Augen, und der Zuſammenhang des ganzen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/438>, abgerufen am 27.04.2024.