Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Eindruck muß unbändig gewesen sein, weil die Beschreibung
und der Umgang Herdes diese Ausdrücke nicht ganz rechtfer-
tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei-
tet gewesen sein, oder auf eine solche Art erfüllt und berührt,
daß es ihm grade sehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her-
der seh' ich nichts. Friedrich irrt sich ganz und gar. --



An Varnhagen, in Paris.


Nimm diese Weste, theurer August, sie gefällt mir sehr!
es ist eine englische, laß sie in Paris machen; die einzige Art,
wie diese beiden Völker uns dienen -- und auch nur sich --,
sonst haben sie uns zum Narren. Du siehst, ich werde heute
nicht Herr über diesen Gedanken: er kommt wie ein Stachel
hervor. Richtig! hab' ich deinen lieben Brief den 27. erhal-
ten; und auch dir den Tag geschrieben. Nur der Gedanke,
daß du da bist, und mir gut bist, mich kennst, von mir weißt,
und wissen willst, daß ich mich mit dir wieder unterhalten
werde; kann das tobende Geschwür in mir lindern. Wisse
nur, ich bin wie außer mir. Sonst fürchtete ich mich nur,
ängstigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau-
ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer rage nicht gleich Rache
nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man sie noch
nachsichtig nennt, dumm sind; nein! vorsätzliche, fraudulöse
Verschwender sind's, die sich mit Gewalt schmeichlen, so lange
man es ihnen erlaubt, daß ihrentwegen, und ihrer Brut

Eindruck muß unbändig geweſen ſein, weil die Beſchreibung
und der Umgang Herdes dieſe Ausdrücke nicht ganz rechtfer-
tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei-
tet geweſen ſein, oder auf eine ſolche Art erfüllt und berührt,
daß es ihm grade ſehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her-
der ſeh’ ich nichts. Friedrich irrt ſich ganz und gar. —



An Varnhagen, in Paris.


Nimm dieſe Weſte, theurer Auguſt, ſie gefällt mir ſehr!
es iſt eine engliſche, laß ſie in Paris machen; die einzige Art,
wie dieſe beiden Völker uns dienen — und auch nur ſich —,
ſonſt haben ſie uns zum Narren. Du ſiehſt, ich werde heute
nicht Herr über dieſen Gedanken: er kommt wie ein Stachel
hervor. Richtig! hab’ ich deinen lieben Brief den 27. erhal-
ten; und auch dir den Tag geſchrieben. Nur der Gedanke,
daß du da biſt, und mir gut biſt, mich kennſt, von mir weißt,
und wiſſen willſt, daß ich mich mit dir wieder unterhalten
werde; kann das tobende Geſchwür in mir lindern. Wiſſe
nur, ich bin wie außer mir. Sonſt fürchtete ich mich nur,
ängſtigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau-
ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer rage nicht gleich Rache
nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man ſie noch
nachſichtig nennt, dumm ſind; nein! vorſätzliche, fraudulöſe
Verſchwender ſind’s, die ſich mit Gewalt ſchmeichlen, ſo lange
man es ihnen erlaubt, daß ihrentwegen, und ihrer Brut

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0355" n="347"/>
Eindruck muß unbändig gewe&#x017F;en &#x017F;ein, weil die Be&#x017F;chreibung<lb/>
und der Umgang Herdes die&#x017F;e Ausdrücke nicht ganz rechtfer-<lb/>
tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei-<lb/>
tet gewe&#x017F;en &#x017F;ein, oder auf eine &#x017F;olche Art erfüllt und berührt,<lb/>
daß es ihm grade &#x017F;ehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her-<lb/>
der &#x017F;eh&#x2019; ich nichts. Friedrich irrt &#x017F;ich ganz und gar. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Paris.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Frankfurt a. M. Mittag 1 Uhr. Schönes Wetter,<lb/>
den 29 September 1815.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Nimm die&#x017F;e We&#x017F;te, theurer Augu&#x017F;t, &#x017F;ie gefällt mir &#x017F;ehr!<lb/>
es i&#x017F;t eine engli&#x017F;che, laß &#x017F;ie in Paris machen; die einzige Art,<lb/>
wie die&#x017F;e beiden Völker <hi rendition="#g">uns</hi> dienen &#x2014; und auch nur &#x017F;ich &#x2014;,<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t haben &#x017F;ie uns zum <hi rendition="#g">Narren</hi>. Du &#x017F;ieh&#x017F;t, ich werde heute<lb/>
nicht Herr über die&#x017F;en Gedanken: er kommt wie ein Stachel<lb/>
hervor. Richtig! hab&#x2019; ich deinen lieben Brief den 27. erhal-<lb/>
ten; und auch dir den Tag ge&#x017F;chrieben. Nur der Gedanke,<lb/>
daß du da bi&#x017F;t, und mir gut bi&#x017F;t, mich kenn&#x017F;t, von mir weißt,<lb/>
und wi&#x017F;&#x017F;en will&#x017F;t, daß ich mich mit dir wieder unterhalten<lb/>
werde; kann das tobende Ge&#x017F;chwür in mir lindern. Wi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nur, ich bin wie außer mir. Son&#x017F;t fürchtete ich mich nur,<lb/>
äng&#x017F;tigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau-<lb/>
ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer <hi rendition="#aq">rage</hi> nicht <hi rendition="#g">gleich</hi> Rache<lb/>
nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man &#x017F;ie noch<lb/>
nach&#x017F;ichtig nennt, dumm &#x017F;ind; nein! vor&#x017F;ätzliche, fraudulö&#x017F;e<lb/>
Ver&#x017F;chwender &#x017F;ind&#x2019;s, die &#x017F;ich mit <hi rendition="#g">Gewalt</hi> &#x017F;chmeichlen, &#x017F;o lange<lb/>
man es ihnen <hi rendition="#g">erlaubt</hi>, daß ihrentwegen, und ihrer Brut<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0355] Eindruck muß unbändig geweſen ſein, weil die Beſchreibung und der Umgang Herdes dieſe Ausdrücke nicht ganz rechtfer- tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei- tet geweſen ſein, oder auf eine ſolche Art erfüllt und berührt, daß es ihm grade ſehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her- der ſeh’ ich nichts. Friedrich irrt ſich ganz und gar. — An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. Mittag 1 Uhr. Schönes Wetter, den 29 September 1815. Nimm dieſe Weſte, theurer Auguſt, ſie gefällt mir ſehr! es iſt eine engliſche, laß ſie in Paris machen; die einzige Art, wie dieſe beiden Völker uns dienen — und auch nur ſich —, ſonſt haben ſie uns zum Narren. Du ſiehſt, ich werde heute nicht Herr über dieſen Gedanken: er kommt wie ein Stachel hervor. Richtig! hab’ ich deinen lieben Brief den 27. erhal- ten; und auch dir den Tag geſchrieben. Nur der Gedanke, daß du da biſt, und mir gut biſt, mich kennſt, von mir weißt, und wiſſen willſt, daß ich mich mit dir wieder unterhalten werde; kann das tobende Geſchwür in mir lindern. Wiſſe nur, ich bin wie außer mir. Sonſt fürchtete ich mich nur, ängſtigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau- ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer rage nicht gleich Rache nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man ſie noch nachſichtig nennt, dumm ſind; nein! vorſätzliche, fraudulöſe Verſchwender ſind’s, die ſich mit Gewalt ſchmeichlen, ſo lange man es ihnen erlaubt, daß ihrentwegen, und ihrer Brut

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/355
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/355>, abgerufen am 26.04.2024.