Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

men kann, erlaub' ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der
Bitte, sie auch da, nämlich im Keller -- oder sonst einem küh-
len Ort -- bis Sie sie an Ihren Tisch nöthigen, lassen zu
wollen! Sie ist sehr schön eingemacht; und gerne rühme ich
mich dessen, seit unserm gestrigen Gespräch: weil ich diesen
Prozeß von einer Dame lernte, die in Musik, in Englisch und
Italiänisch, Unterricht giebt; Deutsch und Französisch wie wir
und Franzosen spricht und schreibt; die schönsten weiblichen
Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin ist;
lustig und verständig obenein. So wünschen Sie ja die Mäd-
chen. Ich suche ihr also abzulernen. Nehmen Sie meine Drei-
stigkeit wegen ihrem Grund, des besten Willens, daß Sie ein
wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!

Ihre ergebene Fr. V.



Mittag, bei großer heller Hitze.

Es ist ein krankhafter, schwächlicher Geistes- und Karakter-
zustand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal-
ten. Das thun die Menschen, die auch von dem Lobe ge-
schmeichelt sind, das ihnen von solchen Leuten, die sie ver-
achten, gezollt wird; von Lob über Eigenschaften, die sie über-
zeugt sind nicht zu besitzen, oder die sie selbst verachten. --




"Geist haben" kann doch nur bedeuten: unsern Verstand
nicht nur auf nöthige und nächste Dinge richten, sondern den
Trieb, ihn diese immer von neuem auf entferntere wirken, und

men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der
Bitte, ſie auch da, nämlich im Keller — oder ſonſt einem küh-
len Ort — bis Sie ſie an Ihren Tiſch nöthigen, laſſen zu
wollen! Sie iſt ſehr ſchön eingemacht; und gerne rühme ich
mich deſſen, ſeit unſerm geſtrigen Geſpräch: weil ich dieſen
Prozeß von einer Dame lernte, die in Muſik, in Engliſch und
Italiäniſch, Unterricht giebt; Deutſch und Franzöſiſch wie wir
und Franzoſen ſpricht und ſchreibt; die ſchönſten weiblichen
Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin iſt;
luſtig und verſtändig obenein. So wünſchen Sie ja die Mäd-
chen. Ich ſuche ihr alſo abzulernen. Nehmen Sie meine Drei-
ſtigkeit wegen ihrem Grund, des beſten Willens, daß Sie ein
wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!

Ihre ergebene Fr. V.



Mittag, bei großer heller Hitze.

Es iſt ein krankhafter, ſchwächlicher Geiſtes- und Karakter-
zuſtand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal-
ten. Das thun die Menſchen, die auch von dem Lobe ge-
ſchmeichelt ſind, das ihnen von ſolchen Leuten, die ſie ver-
achten, gezollt wird; von Lob über Eigenſchaften, die ſie über-
zeugt ſind nicht zu beſitzen, oder die ſie ſelbſt verachten. —




„Geiſt haben“ kann doch nur bedeuten: unſern Verſtand
nicht nur auf nöthige und nächſte Dinge richten, ſondern den
Trieb, ihn dieſe immer von neuem auf entferntere wirken, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0125" n="117"/>
men kann, erlaub&#x2019; ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der<lb/>
Bitte, &#x017F;ie auch da, nämlich im Keller &#x2014; oder &#x017F;on&#x017F;t einem küh-<lb/>
len Ort &#x2014; bis Sie &#x017F;ie an Ihren Ti&#x017F;ch nöthigen, la&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
wollen! Sie i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;chön eingemacht; und gerne rühme ich<lb/>
mich de&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;eit un&#x017F;erm ge&#x017F;trigen Ge&#x017F;präch: weil ich die&#x017F;en<lb/>
Prozeß von einer Dame lernte, die in Mu&#x017F;ik, in Engli&#x017F;ch und<lb/>
Italiäni&#x017F;ch, Unterricht giebt; Deut&#x017F;ch und Franzö&#x017F;i&#x017F;ch wie wir<lb/>
und Franzo&#x017F;en &#x017F;pricht und &#x017F;chreibt; die &#x017F;chön&#x017F;ten weiblichen<lb/>
Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin i&#x017F;t;<lb/>
lu&#x017F;tig und ver&#x017F;tändig obenein. So wün&#x017F;chen Sie ja die Mäd-<lb/>
chen. Ich &#x017F;uche ihr al&#x017F;o abzulernen. Nehmen Sie meine Drei-<lb/>
&#x017F;tigkeit wegen ihrem Grund, des be&#x017F;ten Willens, daß Sie ein<lb/>
wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!</p><lb/>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">Ihre ergebene Fr. V.</hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Dienstag den 25. Augu&#x017F;t 1823.</hi> </dateline><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Mittag, bei großer heller Hitze.</hi> </p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ein krankhafter, &#x017F;chwächlicher Gei&#x017F;tes- und Karakter-<lb/>
zu&#x017F;tand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal-<lb/>
ten. Das thun die Men&#x017F;chen, die auch von dem Lobe ge-<lb/>
&#x017F;chmeichelt &#x017F;ind, das ihnen von &#x017F;olchen Leuten, die &#x017F;ie ver-<lb/>
achten, gezollt wird; von Lob über Eigen&#x017F;chaften, die &#x017F;ie über-<lb/>
zeugt &#x017F;ind nicht zu be&#x017F;itzen, oder die &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t verachten. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag, den 25. Augu&#x017F;t 1823.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x201E;Gei&#x017F;t haben&#x201C; kann doch nur bedeuten: un&#x017F;ern Ver&#x017F;tand<lb/>
nicht nur auf nöthige und näch&#x017F;te Dinge richten, &#x017F;ondern den<lb/>
Trieb, ihn die&#x017F;e immer von neuem auf entferntere wirken, und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0125] men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der Bitte, ſie auch da, nämlich im Keller — oder ſonſt einem küh- len Ort — bis Sie ſie an Ihren Tiſch nöthigen, laſſen zu wollen! Sie iſt ſehr ſchön eingemacht; und gerne rühme ich mich deſſen, ſeit unſerm geſtrigen Geſpräch: weil ich dieſen Prozeß von einer Dame lernte, die in Muſik, in Engliſch und Italiäniſch, Unterricht giebt; Deutſch und Franzöſiſch wie wir und Franzoſen ſpricht und ſchreibt; die ſchönſten weiblichen Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin iſt; luſtig und verſtändig obenein. So wünſchen Sie ja die Mäd- chen. Ich ſuche ihr alſo abzulernen. Nehmen Sie meine Drei- ſtigkeit wegen ihrem Grund, des beſten Willens, daß Sie ein wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf! Ihre ergebene Fr. V. Berlin, Dienstag den 25. Auguſt 1823. Mittag, bei großer heller Hitze. Es iſt ein krankhafter, ſchwächlicher Geiſtes- und Karakter- zuſtand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal- ten. Das thun die Menſchen, die auch von dem Lobe ge- ſchmeichelt ſind, das ihnen von ſolchen Leuten, die ſie ver- achten, gezollt wird; von Lob über Eigenſchaften, die ſie über- zeugt ſind nicht zu beſitzen, oder die ſie ſelbſt verachten. — Dienstag, den 25. Auguſt 1823. „Geiſt haben“ kann doch nur bedeuten: unſern Verſtand nicht nur auf nöthige und nächſte Dinge richten, ſondern den Trieb, ihn dieſe immer von neuem auf entferntere wirken, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/125
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/125>, abgerufen am 26.04.2024.