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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Schönheit und ebenso eine moderne Schrift: Aesthetik oder die Wissen-
schaft des Schönen auf dem christlichen Standpunkte dargestellt von
Dursch. 1839. Hier werden die Vorstellungen der Religion als absolute
Gegenstände aufgeführt, welche die Kunst von dieser zur Darstellung
überliefert erhält: Gott, die Engel, die Seligen u. s. w. Diese Wesen
werden wie Erfahrungs-Gegenstände hergezählt. Gab es nie einen
Kant? Theologisirend ist ferner die Aesthetik von Weiße. Er nennt
Solgers Aesthetik theosophisch. Dieß wäre sie nur, wenn sich beweisen
ließe, daß Solgers Religionslehre theosophisch, d. h. Vermengung
von Phantasie und Begriff Bild und Sache sey. Wenn nun aber
Solger allerdings Miene macht, das Schöne von der Gottheit abzu-
leiten, so verflüchtigt es dagegen Weiße in die Gottheit. Am besten
kann man sich davon überzeugen, wenn man außer dem oben in §. 5
Anm. Angeführten und dem in §. 10, 1 Gesagten liest, wie das Er-
habene über sich selbst hinaustreiben soll zum Guten und Göttlichen
im Sinne der persönlichen Gottes (Aesth. §. 24) und wie daneben das
Schöne, das nicht auf ein außer ihm liegendes Allgemeines hinausweist,
sondern sich selbst genügt, als das Häßliche gefaßt wird a. a. O. §. 25).

3. Es wird im zweiten Theile eine Form des Ideals auftreten,
worin der Bund der Kunst und Religion sich auflöst. Aber noch vorher
wird sich zeigen, daß die Schönheit nicht nur dem Inhalt der religiösen
Vorstellung, sondern das vorstellende Subject selbst sammt jenem, nicht
nur das Geglaubte, sondern den Glauben zu ihrem Stoffe macht: ein
Beweis, daß sie frei darüber steht.

§. 28.

1

Wenn die Idee als Totalität und als ewige Wirklichkeit durch das be-
griffsmäßige, seinen Inhalt beweisende Denken erhoben wird zum Wissen, so
nennt man die Wahrheit, sofern nämlich dieses Wort mit genauer Unterscheidung
2gebraucht wird. Dasselbe wird aber auch in der Bedeutung angewandt, daß
es den reinen Inhalt der sich verwirklichenden Idee bezeichnet, abgesehen davon,
daß er in die Form des Denkens gefaßt wird. Von der Wahrheit in diesem
Sinne ist also der Inhalt der abstracten Begriffe (§. 16) ebenso wie vom Schönen
auszuschließen, denn er ist, obwohl nicht blos von subjectiver Gültigkeit, doch
allein durch das subjective Denken in der Abstraction festzuhalten; sie fällt mit
dem Schönen, wie es bis jetzt entwickelt ist, einfach zusammen und es muß der
Satz aufgestellt werden: alles Schöne ist wahr.


Schönheit und ebenſo eine moderne Schrift: Aeſthetik oder die Wiſſen-
ſchaft des Schönen auf dem chriſtlichen Standpunkte dargeſtellt von
Durſch. 1839. Hier werden die Vorſtellungen der Religion als abſolute
Gegenſtände aufgeführt, welche die Kunſt von dieſer zur Darſtellung
überliefert erhält: Gott, die Engel, die Seligen u. ſ. w. Dieſe Weſen
werden wie Erfahrungs-Gegenſtände hergezählt. Gab es nie einen
Kant? Theologiſirend iſt ferner die Aeſthetik von Weiße. Er nennt
Solgers Aeſthetik theoſophiſch. Dieß wäre ſie nur, wenn ſich beweiſen
ließe, daß Solgers Religionslehre theoſophiſch, d. h. Vermengung
von Phantaſie und Begriff Bild und Sache ſey. Wenn nun aber
Solger allerdings Miene macht, das Schöne von der Gottheit abzu-
leiten, ſo verflüchtigt es dagegen Weiße in die Gottheit. Am beſten
kann man ſich davon überzeugen, wenn man außer dem oben in §. 5
Anm. Angeführten und dem in §. 10, 1 Geſagten liest, wie das Er-
habene über ſich ſelbſt hinaustreiben ſoll zum Guten und Göttlichen
im Sinne der perſönlichen Gottes (Aeſth. §. 24) und wie daneben das
Schöne, das nicht auf ein außer ihm liegendes Allgemeines hinausweist,
ſondern ſich ſelbſt genügt, als das Häßliche gefaßt wird a. a. O. §. 25).

3. Es wird im zweiten Theile eine Form des Ideals auftreten,
worin der Bund der Kunſt und Religion ſich auflöst. Aber noch vorher
wird ſich zeigen, daß die Schönheit nicht nur dem Inhalt der religiöſen
Vorſtellung, ſondern das vorſtellende Subject ſelbſt ſammt jenem, nicht
nur das Geglaubte, ſondern den Glauben zu ihrem Stoffe macht: ein
Beweis, daß ſie frei darüber ſteht.

§. 28.

1

Wenn die Idee als Totalität und als ewige Wirklichkeit durch das be-
griffsmäßige, ſeinen Inhalt beweiſende Denken erhoben wird zum Wiſſen, ſo
nennt man die Wahrheit, ſofern nämlich dieſes Wort mit genauer Unterſcheidung
2gebraucht wird. Dasſelbe wird aber auch in der Bedeutung angewandt, daß
es den reinen Inhalt der ſich verwirklichenden Idee bezeichnet, abgeſehen davon,
daß er in die Form des Denkens gefaßt wird. Von der Wahrheit in dieſem
Sinne iſt alſo der Inhalt der abſtracten Begriffe (§. 16) ebenſo wie vom Schönen
auszuſchließen, denn er iſt, obwohl nicht blos von ſubjectiver Gültigkeit, doch
allein durch das ſubjective Denken in der Abſtraction feſtzuhalten; ſie fällt mit
dem Schönen, wie es bis jetzt entwickelt iſt, einfach zuſammen und es muß der
Satz aufgeſtellt werden: alles Schöne iſt wahr.


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[88/0102] Schönheit und ebenſo eine moderne Schrift: Aeſthetik oder die Wiſſen- ſchaft des Schönen auf dem chriſtlichen Standpunkte dargeſtellt von Durſch. 1839. Hier werden die Vorſtellungen der Religion als abſolute Gegenſtände aufgeführt, welche die Kunſt von dieſer zur Darſtellung überliefert erhält: Gott, die Engel, die Seligen u. ſ. w. Dieſe Weſen werden wie Erfahrungs-Gegenſtände hergezählt. Gab es nie einen Kant? Theologiſirend iſt ferner die Aeſthetik von Weiße. Er nennt Solgers Aeſthetik theoſophiſch. Dieß wäre ſie nur, wenn ſich beweiſen ließe, daß Solgers Religionslehre theoſophiſch, d. h. Vermengung von Phantaſie und Begriff Bild und Sache ſey. Wenn nun aber Solger allerdings Miene macht, das Schöne von der Gottheit abzu- leiten, ſo verflüchtigt es dagegen Weiße in die Gottheit. Am beſten kann man ſich davon überzeugen, wenn man außer dem oben in §. 5 Anm. Angeführten und dem in §. 10, 1 Geſagten liest, wie das Er- habene über ſich ſelbſt hinaustreiben ſoll zum Guten und Göttlichen im Sinne der perſönlichen Gottes (Aeſth. §. 24) und wie daneben das Schöne, das nicht auf ein außer ihm liegendes Allgemeines hinausweist, ſondern ſich ſelbſt genügt, als das Häßliche gefaßt wird a. a. O. §. 25). 3. Es wird im zweiten Theile eine Form des Ideals auftreten, worin der Bund der Kunſt und Religion ſich auflöst. Aber noch vorher wird ſich zeigen, daß die Schönheit nicht nur dem Inhalt der religiöſen Vorſtellung, ſondern das vorſtellende Subject ſelbſt ſammt jenem, nicht nur das Geglaubte, ſondern den Glauben zu ihrem Stoffe macht: ein Beweis, daß ſie frei darüber ſteht. §. 28. Wenn die Idee als Totalität und als ewige Wirklichkeit durch das be- griffsmäßige, ſeinen Inhalt beweiſende Denken erhoben wird zum Wiſſen, ſo nennt man die Wahrheit, ſofern nämlich dieſes Wort mit genauer Unterſcheidung gebraucht wird. Dasſelbe wird aber auch in der Bedeutung angewandt, daß es den reinen Inhalt der ſich verwirklichenden Idee bezeichnet, abgeſehen davon, daß er in die Form des Denkens gefaßt wird. Von der Wahrheit in dieſem Sinne iſt alſo der Inhalt der abſtracten Begriffe (§. 16) ebenſo wie vom Schönen auszuſchließen, denn er iſt, obwohl nicht blos von ſubjectiver Gültigkeit, doch allein durch das ſubjective Denken in der Abſtraction feſtzuhalten; ſie fällt mit dem Schönen, wie es bis jetzt entwickelt iſt, einfach zuſammen und es muß der Satz aufgeſtellt werden: alles Schöne iſt wahr.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/102>, abgerufen am 19.03.2024.