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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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was jetzt an seinem Orte entwickelt wird: daß nämlich auch im Komischen
diese Welt der Verkümmerung, zwar zugelassen, aber doch anders, als
in der nicht schönen Wirklichkeit aufgehoben wird, nämlich in einem Fort-
gange, der innerhalb der je vorliegenden ästhetischen Erscheinung, nicht
in der unendlichen Breite und Länge des Weltlaufs vor sich geht.

§. 153.

Wenn nun objectiv die Idee in ihrer Brechung durch den Widerstand
des individuellen Gebildes sich fortbehauptet und wenn subjectiv das häßliche
Individuum, indem es für schön gelten will, die Geltung der Idee einräumt,
so kann nicht ausbleiben, daß das Bewußtseyn hievon, welches das, wie überall,
so auch hier im Gegenstande mitgesetzte (§. 70), dieser Bewegung zuschauende
Subject hat, auch in das angeschaute Individuum irgendwie übergehe, das ebenfalls
Subject ist (§. 19). Denn trägt es in die Brechung selbst hineinleuchtend die
Idee in sich, so muß ihm dies auch zum Bewußtseyn kommen, und ist dieses
Bewußtseyn in der Häßlichkeit zwar vorhanden, aber verkehrt, so muß auch
diese Verkehrung sich selbst verkehren in die Erkenntniß, daß die Behauptung
der Häßlichkeit, das Schöne zu seyn, das Zugeständniß der Idee als des
wesentlichen und selbständigen Gehaltes sey. In diese Besinnung auf sich als
Widerspruch hebt sich die Häßlichkeit auf. Durch die den ganzen Vorgang be-
herrschende Bedeutung dieses Moments wird sich die nunmehr entstehende neue
Gestalt als eine wesentlich subjective Form darstellen.

Wir nähern uns der geistreichen Entwicklung Ruges, von der
wir zunächst nur folgende Sätze als Wendungen für dasselbe, was
im §. gesagt ist, aufnehmen. Die Wahrheit, daß zunächst objectiv im
häßlichen Individuum die Idee sich fortbehauptet, und daß es, da es
wesentlich Subject ist (-- welche Unterschiebung bei Wesen ohne Selbst-
bewußtseyn nöthig sey, davon nachher --) davon auch ein mögliches
Bewußtseyn haben muß, drückt er (a. a. O. S. 108) so aus: "auch die
Trübung des Geistes ist, weil sie doch Geist und der Geist das sich
über sich selbst Besinnende ist, schon in der Möglichkeit die Erheiterung,
die Besinnung in der Trübung und das heißt zugleich über die Trübung";
denn (heißt es S. 110) "die Geistesgegenwart ist doch wohl der ge-
wöhnliche
Zustand des Geistes." Daraus folgt freilich sogleich, daß
verhärtete Häßlichkeit (oder Bosheit, setzt Ruge synonym) kein Gegen-
stand des Gelächters (das wir als den befreienden Act suchen), seyn

was jetzt an ſeinem Orte entwickelt wird: daß nämlich auch im Komiſchen
dieſe Welt der Verkümmerung, zwar zugelaſſen, aber doch anders, als
in der nicht ſchönen Wirklichkeit aufgehoben wird, nämlich in einem Fort-
gange, der innerhalb der je vorliegenden äſthetiſchen Erſcheinung, nicht
in der unendlichen Breite und Länge des Weltlaufs vor ſich geht.

§. 153.

Wenn nun objectiv die Idee in ihrer Brechung durch den Widerſtand
des individuellen Gebildes ſich fortbehauptet und wenn ſubjectiv das häßliche
Individuum, indem es für ſchön gelten will, die Geltung der Idee einräumt,
ſo kann nicht ausbleiben, daß das Bewußtſeyn hievon, welches das, wie überall,
ſo auch hier im Gegenſtande mitgeſetzte (§. 70), dieſer Bewegung zuſchauende
Subject hat, auch in das angeſchaute Individuum irgendwie übergehe, das ebenfalls
Subject iſt (§. 19). Denn trägt es in die Brechung ſelbſt hineinleuchtend die
Idee in ſich, ſo muß ihm dies auch zum Bewußtſeyn kommen, und iſt dieſes
Bewußtſeyn in der Häßlichkeit zwar vorhanden, aber verkehrt, ſo muß auch
dieſe Verkehrung ſich ſelbſt verkehren in die Erkenntniß, daß die Behauptung
der Häßlichkeit, das Schöne zu ſeyn, das Zugeſtändniß der Idee als des
weſentlichen und ſelbſtändigen Gehaltes ſey. In dieſe Beſinnung auf ſich als
Widerſpruch hebt ſich die Häßlichkeit auf. Durch die den ganzen Vorgang be-
herrſchende Bedeutung dieſes Moments wird ſich die nunmehr entſtehende neue
Geſtalt als eine weſentlich ſubjective Form darſtellen.

Wir nähern uns der geiſtreichen Entwicklung Ruges, von der
wir zunächſt nur folgende Sätze als Wendungen für daſſelbe, was
im §. geſagt iſt, aufnehmen. Die Wahrheit, daß zunächſt objectiv im
häßlichen Individuum die Idee ſich fortbehauptet, und daß es, da es
weſentlich Subject iſt (— welche Unterſchiebung bei Weſen ohne Selbſt-
bewußtſeyn nöthig ſey, davon nachher —) davon auch ein mögliches
Bewußtſeyn haben muß, drückt er (a. a. O. S. 108) ſo aus: „auch die
Trübung des Geiſtes iſt, weil ſie doch Geiſt und der Geiſt das ſich
über ſich ſelbſt Beſinnende iſt, ſchon in der Möglichkeit die Erheiterung,
die Beſinnung in der Trübung und das heißt zugleich über die Trübung“;
denn (heißt es S. 110) „die Geiſtesgegenwart iſt doch wohl der ge-
wöhnliche
Zuſtand des Geiſtes.“ Daraus folgt freilich ſogleich, daß
verhärtete Häßlichkeit (oder Bosheit, ſetzt Ruge ſynonym) kein Gegen-
ſtand des Gelächters (das wir als den befreienden Act ſuchen), ſeyn

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[345/0359] was jetzt an ſeinem Orte entwickelt wird: daß nämlich auch im Komiſchen dieſe Welt der Verkümmerung, zwar zugelaſſen, aber doch anders, als in der nicht ſchönen Wirklichkeit aufgehoben wird, nämlich in einem Fort- gange, der innerhalb der je vorliegenden äſthetiſchen Erſcheinung, nicht in der unendlichen Breite und Länge des Weltlaufs vor ſich geht. §. 153. Wenn nun objectiv die Idee in ihrer Brechung durch den Widerſtand des individuellen Gebildes ſich fortbehauptet und wenn ſubjectiv das häßliche Individuum, indem es für ſchön gelten will, die Geltung der Idee einräumt, ſo kann nicht ausbleiben, daß das Bewußtſeyn hievon, welches das, wie überall, ſo auch hier im Gegenſtande mitgeſetzte (§. 70), dieſer Bewegung zuſchauende Subject hat, auch in das angeſchaute Individuum irgendwie übergehe, das ebenfalls Subject iſt (§. 19). Denn trägt es in die Brechung ſelbſt hineinleuchtend die Idee in ſich, ſo muß ihm dies auch zum Bewußtſeyn kommen, und iſt dieſes Bewußtſeyn in der Häßlichkeit zwar vorhanden, aber verkehrt, ſo muß auch dieſe Verkehrung ſich ſelbſt verkehren in die Erkenntniß, daß die Behauptung der Häßlichkeit, das Schöne zu ſeyn, das Zugeſtändniß der Idee als des weſentlichen und ſelbſtändigen Gehaltes ſey. In dieſe Beſinnung auf ſich als Widerſpruch hebt ſich die Häßlichkeit auf. Durch die den ganzen Vorgang be- herrſchende Bedeutung dieſes Moments wird ſich die nunmehr entſtehende neue Geſtalt als eine weſentlich ſubjective Form darſtellen. Wir nähern uns der geiſtreichen Entwicklung Ruges, von der wir zunächſt nur folgende Sätze als Wendungen für daſſelbe, was im §. geſagt iſt, aufnehmen. Die Wahrheit, daß zunächſt objectiv im häßlichen Individuum die Idee ſich fortbehauptet, und daß es, da es weſentlich Subject iſt (— welche Unterſchiebung bei Weſen ohne Selbſt- bewußtſeyn nöthig ſey, davon nachher —) davon auch ein mögliches Bewußtſeyn haben muß, drückt er (a. a. O. S. 108) ſo aus: „auch die Trübung des Geiſtes iſt, weil ſie doch Geiſt und der Geiſt das ſich über ſich ſelbſt Beſinnende iſt, ſchon in der Möglichkeit die Erheiterung, die Beſinnung in der Trübung und das heißt zugleich über die Trübung“; denn (heißt es S. 110) „die Geiſtesgegenwart iſt doch wohl der ge- wöhnliche Zuſtand des Geiſtes.“ Daraus folgt freilich ſogleich, daß verhärtete Häßlichkeit (oder Bosheit, ſetzt Ruge ſynonym) kein Gegen- ſtand des Gelächters (das wir als den befreienden Act ſuchen), ſeyn

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/359>, abgerufen am 19.03.2024.