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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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a. a. O. §. 43 ff. Der Letztere nimmt mehr Rücksicht auf die Bedeutung,
welche durch Uebertragung von individuellen Gegenständen, an denen wir
gewiße Farben als Ausdruck ihres Wesens zu sehen gewohnt sind, den
Elementarfarben geliehen wird. Roth, sagt er, als Symbol der Liebe,
habe seine Bedeutung wahrscheinlich von der Farbe des Bluts erhalten,
mit welcher der Gedanke an das Herz, an die Wärme, an Lebensfülle
sich verknüpfe. Zunächst pflegt aber die Bedeutung der Liebe gerade nur
dem verdünnten Roth beigelegt zu werden, das volle erscheint wohl leiden-
schaftlich, was immerhin auf jene Uebertragung deuten mag, aber ernst
leidenschaftlich, drückt eine Würde aus, die auch furchtbar werden kann.
Das Gelbe laße man, sagt Oersted, Falschheit bedeuten, wahrscheinlich
weil das Glänzende auch als betrüglich erscheine und weil diese Farbe,
wenn sie von der Reinheit abweiche, so leicht widerlich werde. Göthe:
"durch eine geringe und unmerkliche Bewegung wird der schöne Eindruck
des Feuers und Goldes in die Empfindung des Kothigen verwandelt und
die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abscheus
und Mißbehagens umgekehrt." Wenn Göthe das Blaue ein reizendes
Nichts nennt, wenn er sagt, es liege etwas Widersprechendes von Reiz
und Ruhe im Anblick, es ziehe uns nach sich und weiche vor uns zurück,
so erklärt sich dieß, wie schon gesagt, sehr gut aus seiner Theorie; denn
als Farbe ist es "eine Energie", aber wohin es weist, ist die Finsterniß
hinter ihm. Wie bei solcher Beschaffenheit das Blaue als Farbe der
Treue gelten könne, scheint freilich schwer zu erklären und hier die Luft-
wellenlehre sich besser zu erproben; denn nach dieser ist es nur überhaupt
lichtarme Farbe, daher als Farbe zwar immer noch energisch, aber doch
ruhig und verhältnißmäßig kalt: jenes würde den Affect in der Treue und
dieses die Verschließung gegen jede Anreizung zum Wechsel des Gegen-
standes des Affects bezeichnen. Doch ist es wohl die lichtdurchdrungene,
Alles umschließende, nach jedem Sturm sich herstellende Himmelsbläue,
welche der Farbe diese Bedeutung geliehen hat. Wenn sich die ruhige
Befriedigung, welche das Grüne als einfache Aufhebung des Gegensatzes
der Grundfarben Blau und Gelb gewährt, jenes Gefühl "daß man nicht
weiter will und nicht weiter kann", gern zum Gefühle der Hoffnung
erweitert, so wird wohl hier Niemand an der schon erwähnten Uebertragung
des Eindrucks der Vegetation im Frühling zweifeln; diese gibt der Befrie-
digung die besondere Wendung zur Zukunft, worin die Hoffnung begründet
ist, diese Hoffnung selbst aber ist ruhig, ist eine Zuversicht, daß der Kern
und Saft des Lebens in allem Wechsel ausharren werde. Eben das
Gegensatzlose ist das bleibend Wiederkehrende, was nicht einseitig ist, das
immer Frische. -- Es mag hier auch des Braunen gedacht werden;
dasselbe gehört weder zu den Hauptfarben, noch zu den prismatischen

a. a. O. §. 43 ff. Der Letztere nimmt mehr Rückſicht auf die Bedeutung,
welche durch Uebertragung von individuellen Gegenſtänden, an denen wir
gewiße Farben als Ausdruck ihres Weſens zu ſehen gewohnt ſind, den
Elementarfarben geliehen wird. Roth, ſagt er, als Symbol der Liebe,
habe ſeine Bedeutung wahrſcheinlich von der Farbe des Bluts erhalten,
mit welcher der Gedanke an das Herz, an die Wärme, an Lebensfülle
ſich verknüpfe. Zunächſt pflegt aber die Bedeutung der Liebe gerade nur
dem verdünnten Roth beigelegt zu werden, das volle erſcheint wohl leiden-
ſchaftlich, was immerhin auf jene Uebertragung deuten mag, aber ernſt
leidenſchaftlich, drückt eine Würde aus, die auch furchtbar werden kann.
Das Gelbe laße man, ſagt Oerſted, Falſchheit bedeuten, wahrſcheinlich
weil das Glänzende auch als betrüglich erſcheine und weil dieſe Farbe,
wenn ſie von der Reinheit abweiche, ſo leicht widerlich werde. Göthe:
„durch eine geringe und unmerkliche Bewegung wird der ſchöne Eindruck
des Feuers und Goldes in die Empfindung des Kothigen verwandelt und
die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abſcheus
und Mißbehagens umgekehrt.“ Wenn Göthe das Blaue ein reizendes
Nichts nennt, wenn er ſagt, es liege etwas Widerſprechendes von Reiz
und Ruhe im Anblick, es ziehe uns nach ſich und weiche vor uns zurück,
ſo erklärt ſich dieß, wie ſchon geſagt, ſehr gut aus ſeiner Theorie; denn
als Farbe iſt es „eine Energie“, aber wohin es weist, iſt die Finſterniß
hinter ihm. Wie bei ſolcher Beſchaffenheit das Blaue als Farbe der
Treue gelten könne, ſcheint freilich ſchwer zu erklären und hier die Luft-
wellenlehre ſich beſſer zu erproben; denn nach dieſer iſt es nur überhaupt
lichtarme Farbe, daher als Farbe zwar immer noch energiſch, aber doch
ruhig und verhältnißmäßig kalt: jenes würde den Affect in der Treue und
dieſes die Verſchließung gegen jede Anreizung zum Wechſel des Gegen-
ſtandes des Affects bezeichnen. Doch iſt es wohl die lichtdurchdrungene,
Alles umſchließende, nach jedem Sturm ſich herſtellende Himmelsbläue,
welche der Farbe dieſe Bedeutung geliehen hat. Wenn ſich die ruhige
Befriedigung, welche das Grüne als einfache Aufhebung des Gegenſatzes
der Grundfarben Blau und Gelb gewährt, jenes Gefühl „daß man nicht
weiter will und nicht weiter kann“, gern zum Gefühle der Hoffnung
erweitert, ſo wird wohl hier Niemand an der ſchon erwähnten Uebertragung
des Eindrucks der Vegetation im Frühling zweifeln; dieſe gibt der Befrie-
digung die beſondere Wendung zur Zukunft, worin die Hoffnung begründet
iſt, dieſe Hoffnung ſelbſt aber iſt ruhig, iſt eine Zuverſicht, daß der Kern
und Saft des Lebens in allem Wechſel ausharren werde. Eben das
Gegenſatzloſe iſt das bleibend Wiederkehrende, was nicht einſeitig iſt, das
immer Friſche. — Es mag hier auch des Braunen gedacht werden;
daſſelbe gehört weder zu den Hauptfarben, noch zu den prismatiſchen

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[44/0056] a. a. O. §. 43 ff. Der Letztere nimmt mehr Rückſicht auf die Bedeutung, welche durch Uebertragung von individuellen Gegenſtänden, an denen wir gewiße Farben als Ausdruck ihres Weſens zu ſehen gewohnt ſind, den Elementarfarben geliehen wird. Roth, ſagt er, als Symbol der Liebe, habe ſeine Bedeutung wahrſcheinlich von der Farbe des Bluts erhalten, mit welcher der Gedanke an das Herz, an die Wärme, an Lebensfülle ſich verknüpfe. Zunächſt pflegt aber die Bedeutung der Liebe gerade nur dem verdünnten Roth beigelegt zu werden, das volle erſcheint wohl leiden- ſchaftlich, was immerhin auf jene Uebertragung deuten mag, aber ernſt leidenſchaftlich, drückt eine Würde aus, die auch furchtbar werden kann. Das Gelbe laße man, ſagt Oerſted, Falſchheit bedeuten, wahrſcheinlich weil das Glänzende auch als betrüglich erſcheine und weil dieſe Farbe, wenn ſie von der Reinheit abweiche, ſo leicht widerlich werde. Göthe: „durch eine geringe und unmerkliche Bewegung wird der ſchöne Eindruck des Feuers und Goldes in die Empfindung des Kothigen verwandelt und die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abſcheus und Mißbehagens umgekehrt.“ Wenn Göthe das Blaue ein reizendes Nichts nennt, wenn er ſagt, es liege etwas Widerſprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick, es ziehe uns nach ſich und weiche vor uns zurück, ſo erklärt ſich dieß, wie ſchon geſagt, ſehr gut aus ſeiner Theorie; denn als Farbe iſt es „eine Energie“, aber wohin es weist, iſt die Finſterniß hinter ihm. Wie bei ſolcher Beſchaffenheit das Blaue als Farbe der Treue gelten könne, ſcheint freilich ſchwer zu erklären und hier die Luft- wellenlehre ſich beſſer zu erproben; denn nach dieſer iſt es nur überhaupt lichtarme Farbe, daher als Farbe zwar immer noch energiſch, aber doch ruhig und verhältnißmäßig kalt: jenes würde den Affect in der Treue und dieſes die Verſchließung gegen jede Anreizung zum Wechſel des Gegen- ſtandes des Affects bezeichnen. Doch iſt es wohl die lichtdurchdrungene, Alles umſchließende, nach jedem Sturm ſich herſtellende Himmelsbläue, welche der Farbe dieſe Bedeutung geliehen hat. Wenn ſich die ruhige Befriedigung, welche das Grüne als einfache Aufhebung des Gegenſatzes der Grundfarben Blau und Gelb gewährt, jenes Gefühl „daß man nicht weiter will und nicht weiter kann“, gern zum Gefühle der Hoffnung erweitert, ſo wird wohl hier Niemand an der ſchon erwähnten Uebertragung des Eindrucks der Vegetation im Frühling zweifeln; dieſe gibt der Befrie- digung die beſondere Wendung zur Zukunft, worin die Hoffnung begründet iſt, dieſe Hoffnung ſelbſt aber iſt ruhig, iſt eine Zuverſicht, daß der Kern und Saft des Lebens in allem Wechſel ausharren werde. Eben das Gegenſatzloſe iſt das bleibend Wiederkehrende, was nicht einſeitig iſt, das immer Friſche. — Es mag hier auch des Braunen gedacht werden; daſſelbe gehört weder zu den Hauptfarben, noch zu den prismatiſchen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/56>, abgerufen am 26.04.2024.