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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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Gedanken-Elemente beimischen, er wird vermöge dieser Eigenschaften seinen
Standpunct weniger in jener Mitte einnehmen, wo der Inhalt rein in
lauter Stimmung aufgeht, sondern mehr in der ersten und dritten unter
den Formen des Prozesses, die der §. unterscheidet, wogegen der charak-
teristische Styl recht entschieden der rein lyrischen Mitte angehören wird;
dieser Unterschied wird sich also mit unserer auf das Allgemeine des innern
Prozesses gegründeten Eintheilung berühren, aber nur theilweise in einer
Art, worin die logische Ordnung zugleich die historische ist, er wird nicht
mit ihr zusammenfallen, vielmehr es wird sich zeigen, daß, obwohl die eine
Stylrichtung mehr auf dieser, die andere auf jener Stufe des Prozesses
ihre Stellung hat, doch auf jeder Stufe jede von beiden auftritt und
Unterschiede innerhalb derselben begründet. -- Es könnte sich fragen, ob
nicht der Unterschied der Auffassungs-Arten der Phantasie (bildend, empfin-
dend, dichtend), welcher die Eintheilung der Zweige überhaupt bedingt, hier,
im Lyrischen, auch als Grund für die Unter-Eintheilung einzuführen sei.
Allein die Subjectivität bildet zu sehr den Charakter des ganzen Zweiges,
als daß dieser Unterschied hier von durchgreifender Kraft sein könnte. Es
wird sich allerdings finden, daß die erste der Formen, wie sie sich nach
unserer Eintheilung unterscheiden, mehr epische Elemente hat, von der
zweiten erhellt bereits, daß sie im engsten Sinne lyrisch zu nennen ist,
die dritte durcharbeitet das Gefühl mit der überwachsenden geistigen Be-
sinnung und könnte so in gewissem Sinn als dichtend bezeichnet werden;
allein im Ganzen und Wesentlichen ist dieser Unterschied demjenigen, den
wir aus dem Prozesse der Empfindung entnehmen, nur verwandt und
ähnlich, keineswegs gleich. Dieß ergibt sich, wenn wir den letzteren nun-
mehr genauer, wiewohl nur in vorläufiger Kürze, ansehen. Vorbereitet ist
die Sache schon in §. 864, wo gesagt ist, daß in der Unter-Eintheilung
auf einem Puncte der Unterschied des Objectiven und Subjectiven in neuer,
eigenthümlicher Bedeutung sich geltend mache. Wenn im engsten Sinne
lyrisch diejenige Form ist, in welcher der gegenständliche Inhalt des Lebens
ganz in Empfindung verwandelt aus dem Subjecte spricht, so wird diese
reine Mitte naturgemäß zwei Extreme neben sich haben: auf dem einen
wird die Verwandlung noch nicht ganz vollzogen sein, auf dem andern nicht
mehr in ihrer vollen Reinheit bestehen; was aber zunächst als Zeitbezeich-
nung erscheint, wird sich, wie überall in den wesentlichen Sphären des
Geistes, zugleich als bleibende, nothwendige Form fixiren. Die eine dieser
Formen, welche vor die Mitte fällt, ist objectiv in dem Sinne, daß das
Subject nicht wagt, nicht vermag sein Object ganz in sich hereinzuziehen,
daß es nur zu ihm sich erhebt, an es hinsingt, zu ihm aufsingt. Man
sieht, daß hier Objectivität etwas Anderes bedeutet, als gegenständliche
Darstellung im Sinne der bildenden Phantasie; es ist darunter allgemein

Gedanken-Elemente beimiſchen, er wird vermöge dieſer Eigenſchaften ſeinen
Standpunct weniger in jener Mitte einnehmen, wo der Inhalt rein in
lauter Stimmung aufgeht, ſondern mehr in der erſten und dritten unter
den Formen des Prozeſſes, die der §. unterſcheidet, wogegen der charak-
teriſtiſche Styl recht entſchieden der rein lyriſchen Mitte angehören wird;
dieſer Unterſchied wird ſich alſo mit unſerer auf das Allgemeine des innern
Prozeſſes gegründeten Eintheilung berühren, aber nur theilweiſe in einer
Art, worin die logiſche Ordnung zugleich die hiſtoriſche iſt, er wird nicht
mit ihr zuſammenfallen, vielmehr es wird ſich zeigen, daß, obwohl die eine
Stylrichtung mehr auf dieſer, die andere auf jener Stufe des Prozeſſes
ihre Stellung hat, doch auf jeder Stufe jede von beiden auftritt und
Unterſchiede innerhalb derſelben begründet. — Es könnte ſich fragen, ob
nicht der Unterſchied der Auffaſſungs-Arten der Phantaſie (bildend, empfin-
dend, dichtend), welcher die Eintheilung der Zweige überhaupt bedingt, hier,
im Lyriſchen, auch als Grund für die Unter-Eintheilung einzuführen ſei.
Allein die Subjectivität bildet zu ſehr den Charakter des ganzen Zweiges,
als daß dieſer Unterſchied hier von durchgreifender Kraft ſein könnte. Es
wird ſich allerdings finden, daß die erſte der Formen, wie ſie ſich nach
unſerer Eintheilung unterſcheiden, mehr epiſche Elemente hat, von der
zweiten erhellt bereits, daß ſie im engſten Sinne lyriſch zu nennen iſt,
die dritte durcharbeitet das Gefühl mit der überwachſenden geiſtigen Be-
ſinnung und könnte ſo in gewiſſem Sinn als dichtend bezeichnet werden;
allein im Ganzen und Weſentlichen iſt dieſer Unterſchied demjenigen, den
wir aus dem Prozeſſe der Empfindung entnehmen, nur verwandt und
ähnlich, keineswegs gleich. Dieß ergibt ſich, wenn wir den letzteren nun-
mehr genauer, wiewohl nur in vorläufiger Kürze, anſehen. Vorbereitet iſt
die Sache ſchon in §. 864, wo geſagt iſt, daß in der Unter-Eintheilung
auf einem Puncte der Unterſchied des Objectiven und Subjectiven in neuer,
eigenthümlicher Bedeutung ſich geltend mache. Wenn im engſten Sinne
lyriſch diejenige Form iſt, in welcher der gegenſtändliche Inhalt des Lebens
ganz in Empfindung verwandelt aus dem Subjecte ſpricht, ſo wird dieſe
reine Mitte naturgemäß zwei Extreme neben ſich haben: auf dem einen
wird die Verwandlung noch nicht ganz vollzogen ſein, auf dem andern nicht
mehr in ihrer vollen Reinheit beſtehen; was aber zunächſt als Zeitbezeich-
nung erſcheint, wird ſich, wie überall in den weſentlichen Sphären des
Geiſtes, zugleich als bleibende, nothwendige Form fixiren. Die eine dieſer
Formen, welche vor die Mitte fällt, iſt objectiv in dem Sinne, daß das
Subject nicht wagt, nicht vermag ſein Object ganz in ſich hereinzuziehen,
daß es nur zu ihm ſich erhebt, an es hinſingt, zu ihm aufſingt. Man
ſieht, daß hier Objectivität etwas Anderes bedeutet, als gegenſtändliche
Darſtellung im Sinne der bildenden Phantaſie; es iſt darunter allgemein

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[1343/0207] Gedanken-Elemente beimiſchen, er wird vermöge dieſer Eigenſchaften ſeinen Standpunct weniger in jener Mitte einnehmen, wo der Inhalt rein in lauter Stimmung aufgeht, ſondern mehr in der erſten und dritten unter den Formen des Prozeſſes, die der §. unterſcheidet, wogegen der charak- teriſtiſche Styl recht entſchieden der rein lyriſchen Mitte angehören wird; dieſer Unterſchied wird ſich alſo mit unſerer auf das Allgemeine des innern Prozeſſes gegründeten Eintheilung berühren, aber nur theilweiſe in einer Art, worin die logiſche Ordnung zugleich die hiſtoriſche iſt, er wird nicht mit ihr zuſammenfallen, vielmehr es wird ſich zeigen, daß, obwohl die eine Stylrichtung mehr auf dieſer, die andere auf jener Stufe des Prozeſſes ihre Stellung hat, doch auf jeder Stufe jede von beiden auftritt und Unterſchiede innerhalb derſelben begründet. — Es könnte ſich fragen, ob nicht der Unterſchied der Auffaſſungs-Arten der Phantaſie (bildend, empfin- dend, dichtend), welcher die Eintheilung der Zweige überhaupt bedingt, hier, im Lyriſchen, auch als Grund für die Unter-Eintheilung einzuführen ſei. Allein die Subjectivität bildet zu ſehr den Charakter des ganzen Zweiges, als daß dieſer Unterſchied hier von durchgreifender Kraft ſein könnte. Es wird ſich allerdings finden, daß die erſte der Formen, wie ſie ſich nach unſerer Eintheilung unterſcheiden, mehr epiſche Elemente hat, von der zweiten erhellt bereits, daß ſie im engſten Sinne lyriſch zu nennen iſt, die dritte durcharbeitet das Gefühl mit der überwachſenden geiſtigen Be- ſinnung und könnte ſo in gewiſſem Sinn als dichtend bezeichnet werden; allein im Ganzen und Weſentlichen iſt dieſer Unterſchied demjenigen, den wir aus dem Prozeſſe der Empfindung entnehmen, nur verwandt und ähnlich, keineswegs gleich. Dieß ergibt ſich, wenn wir den letzteren nun- mehr genauer, wiewohl nur in vorläufiger Kürze, anſehen. Vorbereitet iſt die Sache ſchon in §. 864, wo geſagt iſt, daß in der Unter-Eintheilung auf einem Puncte der Unterſchied des Objectiven und Subjectiven in neuer, eigenthümlicher Bedeutung ſich geltend mache. Wenn im engſten Sinne lyriſch diejenige Form iſt, in welcher der gegenſtändliche Inhalt des Lebens ganz in Empfindung verwandelt aus dem Subjecte ſpricht, ſo wird dieſe reine Mitte naturgemäß zwei Extreme neben ſich haben: auf dem einen wird die Verwandlung noch nicht ganz vollzogen ſein, auf dem andern nicht mehr in ihrer vollen Reinheit beſtehen; was aber zunächſt als Zeitbezeich- nung erſcheint, wird ſich, wie überall in den weſentlichen Sphären des Geiſtes, zugleich als bleibende, nothwendige Form fixiren. Die eine dieſer Formen, welche vor die Mitte fällt, iſt objectiv in dem Sinne, daß das Subject nicht wagt, nicht vermag ſein Object ganz in ſich hereinzuziehen, daß es nur zu ihm ſich erhebt, an es hinſingt, zu ihm aufſingt. Man ſieht, daß hier Objectivität etwas Anderes bedeutet, als gegenſtändliche Darſtellung im Sinne der bildenden Phantaſie; es iſt darunter allgemein

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/207>, abgerufen am 26.04.2024.