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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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murmelte: ,Armes, treues Thier, hast mir nicht mehr
helfen können.' Nach einer Pause stammelte er noch
wenige Worte: ich meinte zu verstehen: ,Kommst du,
Erik, führst -- an der Hand? Sie nickt --' Mitten
in diesen gebrochenen Lauten verschied er. Der zweite
Name, den er genannt, war mir unverständlich ge¬
blieben, er klang nicht deutsch."

Wir schwiegen lang. Ich drängte alle weiteren
Fragen über Persönlichkeit und Leben des Verstorbenen
zurück; es war mir nicht darnach zu Muthe, jetzt
weiter zu reden; ich brach auf. Eine Einladung zu
Tische lehnte ich dankbar ab, bat dagegen am Abend
eintreten zu dürfen, begab mich in meinen Gasthof und
gieng nach Fassung ringend in meinem Zimmer auf und
nieder. Peinlich genug war es mir, in dieser Stimmung
an die Wirthstafel sitzen zu sollen, dennoch mochte ich
nicht allein auf meinem Zimmer essen, es schien mir
noch unheimlicher. Einige Stammgäste und wenige
Fremde saßen am Tische. Unter jenen war ein junger
Mann, dessen Gesicht mir wohlgefiel, ich meinte, einen
Ausdruck von Vernünftigkeit in seinen Zügen zu sehen;
er trug eine Brille, die ihm doch keinerlei Anschein
von Wohlweisheit gab, und fixierte mich ein paarmal
flüchtig, ohne den geringsten Anflug lästiger Neugierde.
Ich brach vor Beendigung der Tafel auf, er folgte
mir und sagte: "Entschuldigen Sie, daß ich als Unbe¬
kannter mich Ihnen selbst vorstelle, Assessor N. Ich

murmelte: ‚Armes, treues Thier, haſt mir nicht mehr
helfen können.‘ Nach einer Pauſe ſtammelte er noch
wenige Worte: ich meinte zu verſtehen: ‚Kommſt du,
Erik, führſt — an der Hand? Sie nickt —‘ Mitten
in dieſen gebrochenen Lauten verſchied er. Der zweite
Name, den er genannt, war mir unverſtändlich ge¬
blieben, er klang nicht deutſch.“

Wir ſchwiegen lang. Ich drängte alle weiteren
Fragen über Perſönlichkeit und Leben des Verſtorbenen
zurück; es war mir nicht darnach zu Muthe, jetzt
weiter zu reden; ich brach auf. Eine Einladung zu
Tiſche lehnte ich dankbar ab, bat dagegen am Abend
eintreten zu dürfen, begab mich in meinen Gaſthof und
gieng nach Faſſung ringend in meinem Zimmer auf und
nieder. Peinlich genug war es mir, in dieſer Stimmung
an die Wirthstafel ſitzen zu ſollen, dennoch mochte ich
nicht allein auf meinem Zimmer eſſen, es ſchien mir
noch unheimlicher. Einige Stammgäſte und wenige
Fremde ſaßen am Tiſche. Unter jenen war ein junger
Mann, deſſen Geſicht mir wohlgefiel, ich meinte, einen
Ausdruck von Vernünftigkeit in ſeinen Zügen zu ſehen;
er trug eine Brille, die ihm doch keinerlei Anſchein
von Wohlweisheit gab, und fixierte mich ein paarmal
flüchtig, ohne den geringſten Anflug läſtiger Neugierde.
Ich brach vor Beendigung der Tafel auf, er folgte
mir und ſagte: „Entſchuldigen Sie, daß ich als Unbe¬
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[26/0039] murmelte: ‚Armes, treues Thier, haſt mir nicht mehr helfen können.‘ Nach einer Pauſe ſtammelte er noch wenige Worte: ich meinte zu verſtehen: ‚Kommſt du, Erik, führſt — an der Hand? Sie nickt —‘ Mitten in dieſen gebrochenen Lauten verſchied er. Der zweite Name, den er genannt, war mir unverſtändlich ge¬ blieben, er klang nicht deutſch.“ Wir ſchwiegen lang. Ich drängte alle weiteren Fragen über Perſönlichkeit und Leben des Verſtorbenen zurück; es war mir nicht darnach zu Muthe, jetzt weiter zu reden; ich brach auf. Eine Einladung zu Tiſche lehnte ich dankbar ab, bat dagegen am Abend eintreten zu dürfen, begab mich in meinen Gaſthof und gieng nach Faſſung ringend in meinem Zimmer auf und nieder. Peinlich genug war es mir, in dieſer Stimmung an die Wirthstafel ſitzen zu ſollen, dennoch mochte ich nicht allein auf meinem Zimmer eſſen, es ſchien mir noch unheimlicher. Einige Stammgäſte und wenige Fremde ſaßen am Tiſche. Unter jenen war ein junger Mann, deſſen Geſicht mir wohlgefiel, ich meinte, einen Ausdruck von Vernünftigkeit in ſeinen Zügen zu ſehen; er trug eine Brille, die ihm doch keinerlei Anſchein von Wohlweisheit gab, und fixierte mich ein paarmal flüchtig, ohne den geringſten Anflug läſtiger Neugierde. Ich brach vor Beendigung der Tafel auf, er folgte mir und ſagte: „Entſchuldigen Sie, daß ich als Unbe¬ kannter mich Ihnen ſelbſt vorſtelle, Aſſeſſor N. Ich

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/39>, abgerufen am 26.04.2024.