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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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Spalte oft über die hintere Gränze des Kopfes hinaus zu gehen scheint.
Die Nasenlöcher liegen stets vorn am Kopfe, oft ganz an der Spitze
der Schnauze, die gewöhnlich runden oder längs ovalen Augen etwa
in der Mitte der Schnauzenspalte ganz auf der Seite und dem Kie-
ferrande sehr genähert. Der bewegliche Augapfel, dessen Pupille bei
den nächtlichen Gattungen meist senkrecht gespalten, bei den übrigen
rund ist, zeigt keine Augenlider, sondern wird von der durchsichtigen
Haut überzogen, die in ähnlicher Weise wie ein Uhrglas in einem
Falze der runden Augenhöhle eingeheftet ist und eine Kapsel bildet,
welche durch einen weiten Gang, den Thränenkanal, nach innen mit
der Nasenhöhle in Verbindung steht. Das Auge der Schlangen hat
hierdurch ein gläsernes unheimliches Ansehen.

Einen wesentlichen Charakter für die ganze Ordnung der Schlan-

[Abbildung] Fig. 1160.

Schädel der Klapperschlange (Crotalus) von der Seite,
um das stabförmige, lange, an dem beweglichen Zitzen-
bein (23) befestigte Quadratbein (26) zu zeigen.

gen findet man in der
Struktur des knöchernen
Gerüstes, welches den
Antlitztheil des Schädels
bildet. Bei den meisten
Schlangen nämlich ist
das Oberkiefergerüste
durchaus beweglich ge-
worden; - der Zwischen-
kiefer freilich hängt fest
mit den Nasenbeinen zu-
sammen; dagegen sind
die Oberkiefer-, die Flü-
gel- und Gaumenbeine durchaus beweglich und können sowohl nach
den Seiten, als auch nach vorn und hinten geschoben werden. Eine
ebenso große Beweglichkeit ist in dem Unterkieferapparate hergestellt;
das lange schuppenförmige Zitzenbein hängt nur durch Bänder und
Muskeln mit dem Schädel zusammen und trägt an seinem Ende das
lange, stabförmige, meist schief nach hinten gerichtete Quadratbein, an
welchem der Unterkiefer eingelenkt ist. Dieser selbst besteht aus zwei
völlig getrennten, stabförmigen, nur wenig gebogenen Hälften, die
vorn entweder gar nicht oder nur durch laxe Sehnenfasern mit ein-
ander verbunden sind und deren Trennung auch gewöhnlich durch die
sogenannte Kinnfurche an der Unterfläche des Kopfes ausgedrückt ist.
Durch diese Einrichtung ist der ganze Unterkieferapparat einer enormen
Erweiterung fähig, indem jeder Unterkieferast aus drei durch laxe

Spalte oft über die hintere Gränze des Kopfes hinaus zu gehen ſcheint.
Die Naſenlöcher liegen ſtets vorn am Kopfe, oft ganz an der Spitze
der Schnauze, die gewöhnlich runden oder längs ovalen Augen etwa
in der Mitte der Schnauzenſpalte ganz auf der Seite und dem Kie-
ferrande ſehr genähert. Der bewegliche Augapfel, deſſen Pupille bei
den nächtlichen Gattungen meiſt ſenkrecht geſpalten, bei den übrigen
rund iſt, zeigt keine Augenlider, ſondern wird von der durchſichtigen
Haut überzogen, die in ähnlicher Weiſe wie ein Uhrglas in einem
Falze der runden Augenhöhle eingeheftet iſt und eine Kapſel bildet,
welche durch einen weiten Gang, den Thränenkanal, nach innen mit
der Naſenhöhle in Verbindung ſteht. Das Auge der Schlangen hat
hierdurch ein gläſernes unheimliches Anſehen.

Einen weſentlichen Charakter für die ganze Ordnung der Schlan-

[Abbildung] Fig. 1160.

Schädel der Klapperſchlange (Crotalus) von der Seite,
um das ſtabförmige, lange, an dem beweglichen Zitzen-
bein (23) befeſtigte Quadratbein (26) zu zeigen.

gen findet man in der
Struktur des knöchernen
Gerüſtes, welches den
Antlitztheil des Schädels
bildet. Bei den meiſten
Schlangen nämlich iſt
das Oberkiefergerüſte
durchaus beweglich ge-
worden; ‒ der Zwiſchen-
kiefer freilich hängt feſt
mit den Naſenbeinen zu-
ſammen; dagegen ſind
die Oberkiefer-, die Flü-
gel- und Gaumenbeine durchaus beweglich und können ſowohl nach
den Seiten, als auch nach vorn und hinten geſchoben werden. Eine
ebenſo große Beweglichkeit iſt in dem Unterkieferapparate hergeſtellt;
das lange ſchuppenförmige Zitzenbein hängt nur durch Bänder und
Muskeln mit dem Schädel zuſammen und trägt an ſeinem Ende das
lange, ſtabförmige, meiſt ſchief nach hinten gerichtete Quadratbein, an
welchem der Unterkiefer eingelenkt iſt. Dieſer ſelbſt beſteht aus zwei
völlig getrennten, ſtabförmigen, nur wenig gebogenen Hälften, die
vorn entweder gar nicht oder nur durch laxe Sehnenfaſern mit ein-
ander verbunden ſind und deren Trennung auch gewöhnlich durch die
ſogenannte Kinnfurche an der Unterfläche des Kopfes ausgedrückt iſt.
Durch dieſe Einrichtung iſt der ganze Unterkieferapparat einer enormen
Erweiterung fähig, indem jeder Unterkieferaſt aus drei durch laxe

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[253/0259] Spalte oft über die hintere Gränze des Kopfes hinaus zu gehen ſcheint. Die Naſenlöcher liegen ſtets vorn am Kopfe, oft ganz an der Spitze der Schnauze, die gewöhnlich runden oder längs ovalen Augen etwa in der Mitte der Schnauzenſpalte ganz auf der Seite und dem Kie- ferrande ſehr genähert. Der bewegliche Augapfel, deſſen Pupille bei den nächtlichen Gattungen meiſt ſenkrecht geſpalten, bei den übrigen rund iſt, zeigt keine Augenlider, ſondern wird von der durchſichtigen Haut überzogen, die in ähnlicher Weiſe wie ein Uhrglas in einem Falze der runden Augenhöhle eingeheftet iſt und eine Kapſel bildet, welche durch einen weiten Gang, den Thränenkanal, nach innen mit der Naſenhöhle in Verbindung ſteht. Das Auge der Schlangen hat hierdurch ein gläſernes unheimliches Anſehen. Einen weſentlichen Charakter für die ganze Ordnung der Schlan- [Abbildung Fig. 1160. Schädel der Klapperſchlange (Crotalus) von der Seite, um das ſtabförmige, lange, an dem beweglichen Zitzen- bein (23) befeſtigte Quadratbein (26) zu zeigen.] gen findet man in der Struktur des knöchernen Gerüſtes, welches den Antlitztheil des Schädels bildet. Bei den meiſten Schlangen nämlich iſt das Oberkiefergerüſte durchaus beweglich ge- worden; ‒ der Zwiſchen- kiefer freilich hängt feſt mit den Naſenbeinen zu- ſammen; dagegen ſind die Oberkiefer-, die Flü- gel- und Gaumenbeine durchaus beweglich und können ſowohl nach den Seiten, als auch nach vorn und hinten geſchoben werden. Eine ebenſo große Beweglichkeit iſt in dem Unterkieferapparate hergeſtellt; das lange ſchuppenförmige Zitzenbein hängt nur durch Bänder und Muskeln mit dem Schädel zuſammen und trägt an ſeinem Ende das lange, ſtabförmige, meiſt ſchief nach hinten gerichtete Quadratbein, an welchem der Unterkiefer eingelenkt iſt. Dieſer ſelbſt beſteht aus zwei völlig getrennten, ſtabförmigen, nur wenig gebogenen Hälften, die vorn entweder gar nicht oder nur durch laxe Sehnenfaſern mit ein- ander verbunden ſind und deren Trennung auch gewöhnlich durch die ſogenannte Kinnfurche an der Unterfläche des Kopfes ausgedrückt iſt. Durch dieſe Einrichtung iſt der ganze Unterkieferapparat einer enormen Erweiterung fähig, indem jeder Unterkieferaſt aus drei durch laxe

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/259>, abgerufen am 26.04.2024.