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Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.

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stand derselbe auf dem Berge, wo jetzt der Dom ist: er war aus zierlich behauenen Steinen aufgeführt, im Innern mit Gold und edlen Steinen auf das Köstlichste verziert. In diesem Tempel stand die Göttin auf einem von zwei weissen Tauben und zwei Schwänen gezogenen Wagen. Tkani's Mythologie der Deutschen und Slaven gibt folgende Beschreibung von dieser Göttin: "Sie war ganz nackt und in der reizendsten Körperform gebildet, die Augen voll süsser, lockender Liebe, aus den zauberisch lächelnden, halb geöffneten Lippen ragte eine Rosenknospe, die Haare flossen nachlässig den Rücken entlang bis an die Kniee, und das Haupt zierte ein mit Purpurrosen durchflochtener Myrthenkranz; weisser als Schnee glänzte im Jugendschimmer ihr Leib. Aus einer Oeffnung in der linken Brust, durch die man bis zum Herzen sehen konnte, schoss ein Feuerstrahl hervor; in der rechten Hand hielt sie drei goldene Aepfel, in der linken eine Weltkugel, auf welcher Sonne, Mond, Sterne, Meer u. s. w. abgebildet waren. Gleich hinter der Göttin standen drei nackte Jungfrauen, ebenfalls mit frei herabhängenden Haaren, einander mit dem Rücken zugewendet; Eine gab der Andern mit der Linken einen goldenen Apfel, den diese mit der Rechten nahm, so dass dadurch alle drei in einander verschlungen waren; dass diese drei Mädchengestalten die mährischen Charitinnen oder Grazien vorstellten, bedarf kaum einer Erinnerung." - Auffallend unter sämmtlichen slavischen Völkern ist hiebei nur, dass bis jetzt noch kein Künstler erstanden ist, der etwas dem Aehnliches hätte bilden können, was hier als vorhanden angeführt worden ist. Nackte Göttergestalten können nur unter einem so glücklichen Himmel entstehen, als der ist, welcher das schöne Griechenland überwölbt; nur dort, wo Kleidung eine Last, wo mithin der Körper nicht durch engende Binden und Gürtel entstellt ist, wo der Künstler jeden Augenblick Gelegenheit findet; die reinsten, edelsten Gestalten zu sehen, mag er zu solchen Schöpfungen begeistert werden, wie sie Tkani uns aufstellt; waren je solche Bilder zu Brünn, so müssen sie nothwendig durch die Römer dahin gekommen sein. - Bei dem Brünner, wie bei dem Olmützer Tempel soll ein Erziehungshaus gewesen sein, in denen zusammen 150 Töchter der vornehmsten Adeligen des Landes erzogen wurden.


Kraschina (Slav. M.), eine böhmische Göttin, nur aus dem besondern Hausgottesdienst, welcher ihr durch Herzog Netschamischl gewidmet wurde, bekannt.


Kratu (Ind. M.), einer von den zehn grossen Bramen oder Altvätern und Herren der erschaffenen Wesen; er, wie die neun übrigen, dürfen jedoch nicht mit Brama verwechselt werden, indem sie, obgleich selbst Ordner und Schöpfer ganzer Welten, doch wieder Brama's Geschöpfe, ihm also weit untergeordnet sind.


Kremara (Slav. M.), ein Gott der Polen, nicht zu den höheren ihrer Götter gehörig, unter dessen Schutze die Hausthiere, vorzüglich die Schweine standen; ihm wurden Trankopfer von Bier und Meth gebracht, welche man in das Feuer des Herdes goss.


Kricco (Slav. M.), ein Beschützer der Feld- und anderen Früchte; er wurde besonders bei den Wenden und Pommern verehrt.


Krischna, Fig. 192 (Ind. M.), Wischnu in seiner berühmtesten, erhabensten Verkörperung, in seiner eigentlichen Menschwerdung. Er ward als Sohn des Wasadewa und der Dewagni (jener war aus dem Stamme des Yadawen, diese aus dem Stamme des Königs Ugra von Mathra) geboren. Von ihm war dem König Kamsa geweissagt worden, dass er (der König) durch jenen besiegt und des Lebens beraubt werden würde, daher ward schon vor seiner Geburt das unglückliche Kind verfolgt; Kamsa sperrte Schwester und Schwager ein, und jedes neue Wesen, das dem Schoosse der Dewagni entspross, ward durch den König ermordet, bis das siebente, Bala Rama, und das achte, K., durch göttliche Hülfe gerettet wurde. Bhawani selbst, Schiwa's erhabene Gattin, trug den Bala Rama in den Schooss der Rodni, der ersten Gattin des Vaters des K., und liess es durch dieselbe geboren werden. Diess geschah auch mit K., welcher der Ysodha, der Gattin des Schäfers Nanda, übergeben wurde. Schon als Dewagni mit K. in Hoffnung war, erschienen wunderbare himmlische Zeichen, welche den Kamsa immer besorgter machten und ihn immer grausamere Massregeln zu seiner Sicherheit ergreifen liessen; als aber K. geboren wurde, befahl die Stimme eines unsichtbaren, das Bett der Wöchnerin umschwebenden Wesens, das Kind zur Ysodha zu tragen, dagegen das eben zur Welt gekommene jener Frau zurückzubringen. - Obschon nun Kamsa die unglückliche Mutter des K. auf's Sorgfältigste mit Wachen umgeben hatte, so geschah diess Alles doch, ohne dass man es bemerkte, und K. war schon geborgen, als Kamsa, dem man die Geburt eines Mädchens verkündete, herbeikam und auch dieses Kindes Tod befahl; doch der Wuth des Tyrannen entschwand das Mädchen, welches eine Verkörperung der Bhawani war, und noch aus der Luft herab drohete sie dem ohnmächtig ihr Nachstarrenden die baldige Erfüllung des Schicksalsspruches durch den schon geborenen und in Sicherheit gebrachten K. Obgleich nun Kamsa in Verbindung mit allen bösen Dämonen dem Schützling der Götter immerfort nach dem Leben trachtete, so war doch K. den Nachstellungen glücklich entzogen; er wuchs unter den blühenden Milchmädchen, auf den Ländereien seines Pflegevaters, empor, spielte ihnen tausend lose Streiche, von denen die Gemälde, die Sculpturen in den Tempeln und die indischen Gedichte wimmeln. - Als Jüngling bezauberte er durch sein wunderbares Flötenspiel Menschen und Thiere, - als Flötenspieler stellt ihn unser Bild dar - und bekundete dann durch seltene grosse Thaten und Wunder seine erhabene Sendung. Er tödtete die Schlange Kalinak, ein Ungeheuer,


Fig. 192.
welches ihn tausendfach umwand, dem er aber doch den Kopf zertrat; seine Milde indessen gestattete nicht, dass er das Unthier tödte, er liess es entschlüpfen, ja er verlieh ihm, weil es mit einem Gotte gekämpft, doppelte Stärke. - Durch diese That und hundert andere war Kamsa überzeugt worden, dass der gefürchtete K. in keinem anderen, als in dem so wunderbar erhaltenen Jüngling zu finden sei; desshalb lud er ihn selbst in seine Residenz ein, um ihn dort zu verderben, allein jede Gefahr ward von dem kühnen Gottjüngling überwunden, und endlich von seiner Hand der schreckliche Kamsa getödtet, Vater und Mutter aus dem Gefängniss, in welchem sie noch immer schmachteten, befreit, und der Bruder aufgesucht. - K. vermählte sich nun mit acht Prinzessinnen, besiegte einen falschen K., der sich für eine Verkörperung des Wischnu ausgegeben, stand den Pandu's gegen die Kuru's bei, besiegte dann den Riesenkönig Bhumasser und erlöste aus dessen Gefangenschaft 16,000 Prinzessinnen, welche er für sich zu Gemahlinnen nahm, mit jeder so liebevoll und zärtlich lebend, dass jede glaubte, er gehöre ihr ganz allein! - Jetzt setzte K. sich zur Ruhe, liess von Wiswakarma, dem himmlischen Baumeister, sich eine Insel im Meere und auf dieser die Stadt Dwarka bauen, in welcher jede seiner 16,008 Gemahlinnen einen abgesonderten, überaus prächtigen Palast hatte, welcher von Gold und edlen Steinen strahlte. Alles diess war zwischen Abend und Morgen geschehen, so dass

stand derselbe auf dem Berge, wo jetzt der Dom ist: er war aus zierlich behauenen Steinen aufgeführt, im Innern mit Gold und edlen Steinen auf das Köstlichste verziert. In diesem Tempel stand die Göttin auf einem von zwei weissen Tauben und zwei Schwänen gezogenen Wagen. Tkani's Mythologie der Deutschen und Slaven gibt folgende Beschreibung von dieser Göttin: »Sie war ganz nackt und in der reizendsten Körperform gebildet, die Augen voll süsser, lockender Liebe, aus den zauberisch lächelnden, halb geöffneten Lippen ragte eine Rosenknospe, die Haare flossen nachlässig den Rücken entlang bis an die Kniee, und das Haupt zierte ein mit Purpurrosen durchflochtener Myrthenkranz; weisser als Schnee glänzte im Jugendschimmer ihr Leib. Aus einer Oeffnung in der linken Brust, durch die man bis zum Herzen sehen konnte, schoss ein Feuerstrahl hervor; in der rechten Hand hielt sie drei goldene Aepfel, in der linken eine Weltkugel, auf welcher Sonne, Mond, Sterne, Meer u. s. w. abgebildet waren. Gleich hinter der Göttin standen drei nackte Jungfrauen, ebenfalls mit frei herabhängenden Haaren, einander mit dem Rücken zugewendet; Eine gab der Andern mit der Linken einen goldenen Apfel, den diese mit der Rechten nahm, so dass dadurch alle drei in einander verschlungen waren; dass diese drei Mädchengestalten die mährischen Charitinnen oder Grazien vorstellten, bedarf kaum einer Erinnerung.« – Auffallend unter sämmtlichen slavischen Völkern ist hiebei nur, dass bis jetzt noch kein Künstler erstanden ist, der etwas dem Aehnliches hätte bilden können, was hier als vorhanden angeführt worden ist. Nackte Göttergestalten können nur unter einem so glücklichen Himmel entstehen, als der ist, welcher das schöne Griechenland überwölbt; nur dort, wo Kleidung eine Last, wo mithin der Körper nicht durch engende Binden und Gürtel entstellt ist, wo der Künstler jeden Augenblick Gelegenheit findet; die reinsten, edelsten Gestalten zu sehen, mag er zu solchen Schöpfungen begeistert werden, wie sie Tkani uns aufstellt; waren je solche Bilder zu Brünn, so müssen sie nothwendig durch die Römer dahin gekommen sein. – Bei dem Brünner, wie bei dem Olmützer Tempel soll ein Erziehungshaus gewesen sein, in denen zusammen 150 Töchter der vornehmsten Adeligen des Landes erzogen wurden.


Kraschina (Slav. M.), eine böhmische Göttin, nur aus dem besondern Hausgottesdienst, welcher ihr durch Herzog Netschamischl gewidmet wurde, bekannt.


Kratu (Ind. M.), einer von den zehn grossen Bramen oder Altvätern und Herren der erschaffenen Wesen; er, wie die neun übrigen, dürfen jedoch nicht mit Brama verwechselt werden, indem sie, obgleich selbst Ordner und Schöpfer ganzer Welten, doch wieder Brama's Geschöpfe, ihm also weit untergeordnet sind.


Kremara (Slav. M.), ein Gott der Polen, nicht zu den höheren ihrer Götter gehörig, unter dessen Schutze die Hausthiere, vorzüglich die Schweine standen; ihm wurden Trankopfer von Bier und Meth gebracht, welche man in das Feuer des Herdes goss.


Kricco (Slav. M.), ein Beschützer der Feld- und anderen Früchte; er wurde besonders bei den Wenden und Pommern verehrt.


Krischna, Fig. 192 (Ind. M.), Wischnu in seiner berühmtesten, erhabensten Verkörperung, in seiner eigentlichen Menschwerdung. Er ward als Sohn des Wasadewa und der Dewagni (jener war aus dem Stamme des Yadawen, diese aus dem Stamme des Königs Ugra von Mathra) geboren. Von ihm war dem König Kamsa geweissagt worden, dass er (der König) durch jenen besiegt und des Lebens beraubt werden würde, daher ward schon vor seiner Geburt das unglückliche Kind verfolgt; Kamsa sperrte Schwester und Schwager ein, und jedes neue Wesen, das dem Schoosse der Dewagni entspross, ward durch den König ermordet, bis das siebente, Bala Rama, und das achte, K., durch göttliche Hülfe gerettet wurde. Bhawani selbst, Schiwa's erhabene Gattin, trug den Bala Rama in den Schooss der Rodni, der ersten Gattin des Vaters des K., und liess es durch dieselbe geboren werden. Diess geschah auch mit K., welcher der Ysodha, der Gattin des Schäfers Nanda, übergeben wurde. Schon als Dewagni mit K. in Hoffnung war, erschienen wunderbare himmlische Zeichen, welche den Kamsa immer besorgter machten und ihn immer grausamere Massregeln zu seiner Sicherheit ergreifen liessen; als aber K. geboren wurde, befahl die Stimme eines unsichtbaren, das Bett der Wöchnerin umschwebenden Wesens, das Kind zur Ysodha zu tragen, dagegen das eben zur Welt gekommene jener Frau zurückzubringen. – Obschon nun Kamsa die unglückliche Mutter des K. auf's Sorgfältigste mit Wachen umgeben hatte, so geschah diess Alles doch, ohne dass man es bemerkte, und K. war schon geborgen, als Kamsa, dem man die Geburt eines Mädchens verkündete, herbeikam und auch dieses Kindes Tod befahl; doch der Wuth des Tyrannen entschwand das Mädchen, welches eine Verkörperung der Bhawani war, und noch aus der Luft herab drohete sie dem ohnmächtig ihr Nachstarrenden die baldige Erfüllung des Schicksalsspruches durch den schon geborenen und in Sicherheit gebrachten K. Obgleich nun Kamsa in Verbindung mit allen bösen Dämonen dem Schützling der Götter immerfort nach dem Leben trachtete, so war doch K. den Nachstellungen glücklich entzogen; er wuchs unter den blühenden Milchmädchen, auf den Ländereien seines Pflegevaters, empor, spielte ihnen tausend lose Streiche, von denen die Gemälde, die Sculpturen in den Tempeln und die indischen Gedichte wimmeln. – Als Jüngling bezauberte er durch sein wunderbares Flötenspiel Menschen und Thiere, – als Flötenspieler stellt ihn unser Bild dar – und bekundete dann durch seltene grosse Thaten und Wunder seine erhabene Sendung. Er tödtete die Schlange Kalinak, ein Ungeheuer,


Fig. 192.
welches ihn tausendfach umwand, dem er aber doch den Kopf zertrat; seine Milde indessen gestattete nicht, dass er das Unthier tödte, er liess es entschlüpfen, ja er verlieh ihm, weil es mit einem Gotte gekämpft, doppelte Stärke. – Durch diese That und hundert andere war Kamsa überzeugt worden, dass der gefürchtete K. in keinem anderen, als in dem so wunderbar erhaltenen Jüngling zu finden sei; desshalb lud er ihn selbst in seine Residenz ein, um ihn dort zu verderben, allein jede Gefahr ward von dem kühnen Gottjüngling überwunden, und endlich von seiner Hand der schreckliche Kamsa getödtet, Vater und Mutter aus dem Gefängniss, in welchem sie noch immer schmachteten, befreit, und der Bruder aufgesucht. – K. vermählte sich nun mit acht Prinzessinnen, besiegte einen falschen K., der sich für eine Verkörperung des Wischnu ausgegeben, stand den Pandu's gegen die Kuru's bei, besiegte dann den Riesenkönig Bhumasser und erlöste aus dessen Gefangenschaft 16,000 Prinzessinnen, welche er für sich zu Gemahlinnen nahm, mit jeder so liebevoll und zärtlich lebend, dass jede glaubte, er gehöre ihr ganz allein! – Jetzt setzte K. sich zur Ruhe, liess von Wiswakarma, dem himmlischen Baumeister, sich eine Insel im Meere und auf dieser die Stadt Dwarka bauen, in welcher jede seiner 16,008 Gemahlinnen einen abgesonderten, überaus prächtigen Palast hatte, welcher von Gold und edlen Steinen strahlte. Alles diess war zwischen Abend und Morgen geschehen, so dass

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[301/0371] stand derselbe auf dem Berge, wo jetzt der Dom ist: er war aus zierlich behauenen Steinen aufgeführt, im Innern mit Gold und edlen Steinen auf das Köstlichste verziert. In diesem Tempel stand die Göttin auf einem von zwei weissen Tauben und zwei Schwänen gezogenen Wagen. Tkani's Mythologie der Deutschen und Slaven gibt folgende Beschreibung von dieser Göttin: »Sie war ganz nackt und in der reizendsten Körperform gebildet, die Augen voll süsser, lockender Liebe, aus den zauberisch lächelnden, halb geöffneten Lippen ragte eine Rosenknospe, die Haare flossen nachlässig den Rücken entlang bis an die Kniee, und das Haupt zierte ein mit Purpurrosen durchflochtener Myrthenkranz; weisser als Schnee glänzte im Jugendschimmer ihr Leib. Aus einer Oeffnung in der linken Brust, durch die man bis zum Herzen sehen konnte, schoss ein Feuerstrahl hervor; in der rechten Hand hielt sie drei goldene Aepfel, in der linken eine Weltkugel, auf welcher Sonne, Mond, Sterne, Meer u. s. w. abgebildet waren. Gleich hinter der Göttin standen drei nackte Jungfrauen, ebenfalls mit frei herabhängenden Haaren, einander mit dem Rücken zugewendet; Eine gab der Andern mit der Linken einen goldenen Apfel, den diese mit der Rechten nahm, so dass dadurch alle drei in einander verschlungen waren; dass diese drei Mädchengestalten die mährischen Charitinnen oder Grazien vorstellten, bedarf kaum einer Erinnerung.« – Auffallend unter sämmtlichen slavischen Völkern ist hiebei nur, dass bis jetzt noch kein Künstler erstanden ist, der etwas dem Aehnliches hätte bilden können, was hier als vorhanden angeführt worden ist. Nackte Göttergestalten können nur unter einem so glücklichen Himmel entstehen, als der ist, welcher das schöne Griechenland überwölbt; nur dort, wo Kleidung eine Last, wo mithin der Körper nicht durch engende Binden und Gürtel entstellt ist, wo der Künstler jeden Augenblick Gelegenheit findet; die reinsten, edelsten Gestalten zu sehen, mag er zu solchen Schöpfungen begeistert werden, wie sie Tkani uns aufstellt; waren je solche Bilder zu Brünn, so müssen sie nothwendig durch die Römer dahin gekommen sein. – Bei dem Brünner, wie bei dem Olmützer Tempel soll ein Erziehungshaus gewesen sein, in denen zusammen 150 Töchter der vornehmsten Adeligen des Landes erzogen wurden. Kraschina (Slav. M.), eine böhmische Göttin, nur aus dem besondern Hausgottesdienst, welcher ihr durch Herzog Netschamischl gewidmet wurde, bekannt. Kratu (Ind. M.), einer von den zehn grossen Bramen oder Altvätern und Herren der erschaffenen Wesen; er, wie die neun übrigen, dürfen jedoch nicht mit Brama verwechselt werden, indem sie, obgleich selbst Ordner und Schöpfer ganzer Welten, doch wieder Brama's Geschöpfe, ihm also weit untergeordnet sind. Kremara (Slav. M.), ein Gott der Polen, nicht zu den höheren ihrer Götter gehörig, unter dessen Schutze die Hausthiere, vorzüglich die Schweine standen; ihm wurden Trankopfer von Bier und Meth gebracht, welche man in das Feuer des Herdes goss. Kricco (Slav. M.), ein Beschützer der Feld- und anderen Früchte; er wurde besonders bei den Wenden und Pommern verehrt. Krischna, Fig. 192 (Ind. M.), Wischnu in seiner berühmtesten, erhabensten Verkörperung, in seiner eigentlichen Menschwerdung. Er ward als Sohn des Wasadewa und der Dewagni (jener war aus dem Stamme des Yadawen, diese aus dem Stamme des Königs Ugra von Mathra) geboren. Von ihm war dem König Kamsa geweissagt worden, dass er (der König) durch jenen besiegt und des Lebens beraubt werden würde, daher ward schon vor seiner Geburt das unglückliche Kind verfolgt; Kamsa sperrte Schwester und Schwager ein, und jedes neue Wesen, das dem Schoosse der Dewagni entspross, ward durch den König ermordet, bis das siebente, Bala Rama, und das achte, K., durch göttliche Hülfe gerettet wurde. Bhawani selbst, Schiwa's erhabene Gattin, trug den Bala Rama in den Schooss der Rodni, der ersten Gattin des Vaters des K., und liess es durch dieselbe geboren werden. Diess geschah auch mit K., welcher der Ysodha, der Gattin des Schäfers Nanda, übergeben wurde. Schon als Dewagni mit K. in Hoffnung war, erschienen wunderbare himmlische Zeichen, welche den Kamsa immer besorgter machten und ihn immer grausamere Massregeln zu seiner Sicherheit ergreifen liessen; als aber K. geboren wurde, befahl die Stimme eines unsichtbaren, das Bett der Wöchnerin umschwebenden Wesens, das Kind zur Ysodha zu tragen, dagegen das eben zur Welt gekommene jener Frau zurückzubringen. – Obschon nun Kamsa die unglückliche Mutter des K. auf's Sorgfältigste mit Wachen umgeben hatte, so geschah diess Alles doch, ohne dass man es bemerkte, und K. war schon geborgen, als Kamsa, dem man die Geburt eines Mädchens verkündete, herbeikam und auch dieses Kindes Tod befahl; doch der Wuth des Tyrannen entschwand das Mädchen, welches eine Verkörperung der Bhawani war, und noch aus der Luft herab drohete sie dem ohnmächtig ihr Nachstarrenden die baldige Erfüllung des Schicksalsspruches durch den schon geborenen und in Sicherheit gebrachten K. Obgleich nun Kamsa in Verbindung mit allen bösen Dämonen dem Schützling der Götter immerfort nach dem Leben trachtete, so war doch K. den Nachstellungen glücklich entzogen; er wuchs unter den blühenden Milchmädchen, auf den Ländereien seines Pflegevaters, empor, spielte ihnen tausend lose Streiche, von denen die Gemälde, die Sculpturen in den Tempeln und die indischen Gedichte wimmeln. – Als Jüngling bezauberte er durch sein wunderbares Flötenspiel Menschen und Thiere, – als Flötenspieler stellt ihn unser Bild dar – und bekundete dann durch seltene grosse Thaten und Wunder seine erhabene Sendung. Er tödtete die Schlange Kalinak, ein Ungeheuer, [Abbildung Fig. 192. ] welches ihn tausendfach umwand, dem er aber doch den Kopf zertrat; seine Milde indessen gestattete nicht, dass er das Unthier tödte, er liess es entschlüpfen, ja er verlieh ihm, weil es mit einem Gotte gekämpft, doppelte Stärke. – Durch diese That und hundert andere war Kamsa überzeugt worden, dass der gefürchtete K. in keinem anderen, als in dem so wunderbar erhaltenen Jüngling zu finden sei; desshalb lud er ihn selbst in seine Residenz ein, um ihn dort zu verderben, allein jede Gefahr ward von dem kühnen Gottjüngling überwunden, und endlich von seiner Hand der schreckliche Kamsa getödtet, Vater und Mutter aus dem Gefängniss, in welchem sie noch immer schmachteten, befreit, und der Bruder aufgesucht. – K. vermählte sich nun mit acht Prinzessinnen, besiegte einen falschen K., der sich für eine Verkörperung des Wischnu ausgegeben, stand den Pandu's gegen die Kuru's bei, besiegte dann den Riesenkönig Bhumasser und erlöste aus dessen Gefangenschaft 16,000 Prinzessinnen, welche er für sich zu Gemahlinnen nahm, mit jeder so liebevoll und zärtlich lebend, dass jede glaubte, er gehöre ihr ganz allein! – Jetzt setzte K. sich zur Ruhe, liess von Wiswakarma, dem himmlischen Baumeister, sich eine Insel im Meere und auf dieser die Stadt Dwarka bauen, in welcher jede seiner 16,008 Gemahlinnen einen abgesonderten, überaus prächtigen Palast hatte, welcher von Gold und edlen Steinen strahlte. Alles diess war zwischen Abend und Morgen geschehen, so dass

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Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-09-11T12:20:05Z)

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Zitationshilfe: Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/371>, abgerufen am 15.05.2024.