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Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.

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ihrer Mitte Eine ernannten, und zwar Sulpicia, Gemahlin des Fulvius Flaccus.


Vertumnus (Röm. M.), ein Gott von sehr zweifelhafter Bedeutung, von dem man nichts gewiss weiss, als dass in Rom da, wo die tuscische Strasse an das Forum stiess, sein Bild aufgestellt war, dass ihm am 27. August ein Fest, Vertumnalia, gefeiert wurde, dass er einen gemeinsamen Altar mit Ceres hatte, und dass man Pomona, die Göttin des Obstes, als seine Gattin betrachtete. Einige nahmen an, er sei ein Gott der Jahreszeiten; Andere, des Handels; Einige, er stamme von den Tuskern, Andere, von den Sabinern.


Vervactor (Röm. M.), ein Feldgott, der den Brachfeldern die erschöpfte Fruchtbarkeit wieder geben sollte.


Vesta, griechisch Hestia (Röm. u. gr. M.) Das Wort hestia heisst eigentlich Herd, und die ganze Anbetung dieser Gottheit ist also nur aus der Vergötterung des häuslichen Feuerherdes entsprungen; diese selbst aber gibt den Beweis dafür, dass in die Gemüther der


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alten pelasgischen Volksstämme (der gemeinsamen Ahnen der Griechen und Römer) die tiefste Erkenntniss der Wahrheit eingedrungen war, dass mit der Bereitung gekochter Speisen, statt des zuvor genossenen rohen Fleisches, ein wesentlicher Umschwung mit der ganzen menschlichen Natur eingetreten, und damit eines der höchsten Güter von den Göttern den Menschen geschenkt worden sei. Da sich aber jenen Urvölkern sehr frühe die Betrachtung aufdrängte, dass die Begründung einer häuslichen Feuerstätte das Familienleben, dieses aber das bürgerliche Zusammenleben, die Gründung des Staates bedinge, so ist Hestia eben so sehr Göttin des Staates, als des Hauses. Sie ist als mythologische Person eine der zwölf grossen Gottheiten (s. Consentes), erstgeborene Tochter des Kronos und der Rhea, zuerst von ihrem Vater verschlungen; eine jungfräuliche Göttin, die, als Apollo und Neptun um sie warben, bei dem Haupte Jupiters den Eid ewiger Jungfrauschaft schwur. Als einst Cybele dir Götter zu ihrem Feste geladen hatte, erschien auch V., und ruhte nach dem Feste im Grase. Da schlich Priapus heran, um sie zu berücken, weil er die jungfräuliche Göttin nicht erkannte. Schon war er nahe daran, seinen Zweck zu erreichen, als Silen's in der Nähe weidender Esel so laut schrie, dass die erschreckte Göttin aufsprang und Priapus entfloh. Diese galt als Veranlassung des in Rom bestehenden Gebrauchs, dass am Feste der V. die Müller-Esel Rasttag hatten, und bekränzt und mit Halsbändern erschienen, die aus kleinen Broden, auf Schnüre gereiht, bestanden. - V. war also in Griechenland Göttin der Häuslichkeit und alles häuslichen Segens, Erfinderin des Häuserbaues, Vorsteherin der Opfer, Göttin des heiligen Altarfeuers, Theilhaberin an allen Ehren in sämmtlichen Tempeln, Schutzgottheit der Schutzflehenden, die sich auf den Herd setzen, Inhaberin des gemeinsamen heiligen Stadt-Herdes in den sogenannten Prytaneen (Stadthäusern), wo sie ebenfalls Schirmherrin der Schutzflehenden war, und die städtische Obrigkeit beim Amtsantritt ihr opferte. Besondere Tempel hatte sie wenige, Standbilder noch seltener, da der Altar und sein Feuer ihr eigentliches Bild war, und ihrer bei allen Brandopfern in allen Tempeln zuerst gedacht wurde. Auf dem heiligen Stadtherde wurde ein immer brennendes Feuer erhalten, von Wittwen bedient, von welchem ausziehende Colonien sich Feuer mitnahmen; erlosch es, so durfte es nicht anders, als entweder durch Brennspiegel oder Reibung zweier Hölzer wieder entzündet werden. - Die Römer haben ihre V. nicht erst in der geschichtlich beglaubigten Zeit von den Griechen angenommen; dem ungeachtet ist sie in allen Stücken dasselbe Wesen, wie Hestia, mir mit der Ausnahme, dass ihre Bedeutung für den Staat viel weiter ausgebildet wurde; auch waren ihre Priesterinnen nicht Wittwen, sondern Jungfrauen (s. Vestalinnen). Auch in Rom aber hatte die Göttin keinen eigentlichen Tempel, sondern ihr Heiligthum war ein heiliges, rundes Haus zwischen dem palatinischen und capitolinischen Hügel, womit das sogenannte Königshaus, angeblich die alte Wohnung des Numa, des angeblichen Gründers des V.-Dienstes, zusammenhing, in welchem der Pontifex Maximus wohnte, der auch über die Vestalinnen wachte. Das Haus des Königs, oder vielmehr der Herd in demselben, eignete sich natürlich in der Urzeit Roms sehr gut dazu, den heiligen Mittelpunkt des ganzen Staates zu bilden. Eben desshalb übertrug auch Augustus, als er sich der Alleinherrschaft bemächtigt hatte, das heilige Feuer der V. in sein Haus auf dem palatinischen Hügel, und machte dadurch den Imperatoren-Palast wiederum zum geheiligten Mittelpunkt des ganzen römischen Staates. Manches bleibt am römischen V.-Dienst aus Mangel an Nachrichten dunkel für uns; so z. B. wissen wir nicht, worin die Heiligthümer bestanden, welche die Vestalinnen bei der Einnahme Roms durch die Gallier nach Cäre flüchteten; wir wissen nicht, ob im V.-Heiligthum ein Standbild der Göttin war; Cicero spricht von einem solchen, Ovid aber sagt, er habe lange geglaubt, dass ein solches Bild sich im heiligen Raume vorfinde, habe sich aber nun von seinem Irrthum überzeugt; ferner sprechen viele Stellen von einem Palladium, das am Altar der V. gestanden habe, und Viele wollen sich darunter ein uraltes heiliges Schnitzbild der Pallas vorstellen, von Aeneas nach Italien gebracht; diese Annahme ist aber durchaus nicht sicher. Das alte Fest der Göttin war am 8ten Junius, und die Matronen gingen an diesem Tage barfuss im Festzuge. Augustus stiftete ein neues Fest der palatinischen V. am 28ten April. - Wenn V. auch kein Tempelbild hatte, so wurde sie demungeachtet öfters abgebildet; nebenstehend haben wir eine Nachbildung einer noch erhaltenen, der sogenannten giustinianischen, Statue der Göttin.


Vestalinnen. (Röm. Religion.) Diese jungfräulichen Priesterinnen der Vesta (s. d.) standen im höchsten Ansehen, und genossen grosse Vorrechte, z. B. das Recht, ein Testament zu machen, sobald sie in den Dienst der Göttin getreten waren (sie durften aber beim Eintritt nicht mehr als zehn Jahre alt sein); einen Lictor vor sich hergehen zu lassen; einem zum Tode Verurtheilten, wenn sie ihm begegneten, das Leben zu schenken; im Theater auf Ehrenplätzen zu sitzen. Dagegen waren sie auch sehr strengen Vorschriften, und bei Fehltritten furchtbaren Strafen unterworfen. Bedingungen ihrer Aufnahme waren: sie und ihre Eltern mussten frei geboren, beide Eltern mussten noch am Leben, in Italien ansässig und von ehrlicher Handtierung sein. War eine Wahl nöthig, so

ihrer Mitte Eine ernannten, und zwar Sulpicia, Gemahlin des Fulvius Flaccus.


Vertumnus (Röm. M.), ein Gott von sehr zweifelhafter Bedeutung, von dem man nichts gewiss weiss, als dass in Rom da, wo die tuscische Strasse an das Forum stiess, sein Bild aufgestellt war, dass ihm am 27. August ein Fest, Vertumnalia, gefeiert wurde, dass er einen gemeinsamen Altar mit Ceres hatte, und dass man Pomona, die Göttin des Obstes, als seine Gattin betrachtete. Einige nahmen an, er sei ein Gott der Jahreszeiten; Andere, des Handels; Einige, er stamme von den Tuskern, Andere, von den Sabinern.


Vervactor (Röm. M.), ein Feldgott, der den Brachfeldern die erschöpfte Fruchtbarkeit wieder geben sollte.


Vesta, griechisch Hestia (Röm. u. gr. M.) Das Wort hestia heisst eigentlich Herd, und die ganze Anbetung dieser Gottheit ist also nur aus der Vergötterung des häuslichen Feuerherdes entsprungen; diese selbst aber gibt den Beweis dafür, dass in die Gemüther der


Fig. 295.
alten pelasgischen Volksstämme (der gemeinsamen Ahnen der Griechen und Römer) die tiefste Erkenntniss der Wahrheit eingedrungen war, dass mit der Bereitung gekochter Speisen, statt des zuvor genossenen rohen Fleisches, ein wesentlicher Umschwung mit der ganzen menschlichen Natur eingetreten, und damit eines der höchsten Güter von den Göttern den Menschen geschenkt worden sei. Da sich aber jenen Urvölkern sehr frühe die Betrachtung aufdrängte, dass die Begründung einer häuslichen Feuerstätte das Familienleben, dieses aber das bürgerliche Zusammenleben, die Gründung des Staates bedinge, so ist Hestia eben so sehr Göttin des Staates, als des Hauses. Sie ist als mythologische Person eine der zwölf grossen Gottheiten (s. Consentes), erstgeborene Tochter des Kronos und der Rhea, zuerst von ihrem Vater verschlungen; eine jungfräuliche Göttin, die, als Apollo und Neptun um sie warben, bei dem Haupte Jupiters den Eid ewiger Jungfrauschaft schwur. Als einst Cybele dir Götter zu ihrem Feste geladen hatte, erschien auch V., und ruhte nach dem Feste im Grase. Da schlich Priapus heran, um sie zu berücken, weil er die jungfräuliche Göttin nicht erkannte. Schon war er nahe daran, seinen Zweck zu erreichen, als Silen's in der Nähe weidender Esel so laut schrie, dass die erschreckte Göttin aufsprang und Priapus entfloh. Diese galt als Veranlassung des in Rom bestehenden Gebrauchs, dass am Feste der V. die Müller-Esel Rasttag hatten, und bekränzt und mit Halsbändern erschienen, die aus kleinen Broden, auf Schnüre gereiht, bestanden. – V. war also in Griechenland Göttin der Häuslichkeit und alles häuslichen Segens, Erfinderin des Häuserbaues, Vorsteherin der Opfer, Göttin des heiligen Altarfeuers, Theilhaberin an allen Ehren in sämmtlichen Tempeln, Schutzgottheit der Schutzflehenden, die sich auf den Herd setzen, Inhaberin des gemeinsamen heiligen Stadt-Herdes in den sogenannten Prytaneen (Stadthäusern), wo sie ebenfalls Schirmherrin der Schutzflehenden war, und die städtische Obrigkeit beim Amtsantritt ihr opferte. Besondere Tempel hatte sie wenige, Standbilder noch seltener, da der Altar und sein Feuer ihr eigentliches Bild war, und ihrer bei allen Brandopfern in allen Tempeln zuerst gedacht wurde. Auf dem heiligen Stadtherde wurde ein immer brennendes Feuer erhalten, von Wittwen bedient, von welchem ausziehende Colonien sich Feuer mitnahmen; erlosch es, so durfte es nicht anders, als entweder durch Brennspiegel oder Reibung zweier Hölzer wieder entzündet werden. – Die Römer haben ihre V. nicht erst in der geschichtlich beglaubigten Zeit von den Griechen angenommen; dem ungeachtet ist sie in allen Stücken dasselbe Wesen, wie Hestia, mir mit der Ausnahme, dass ihre Bedeutung für den Staat viel weiter ausgebildet wurde; auch waren ihre Priesterinnen nicht Wittwen, sondern Jungfrauen (s. Vestalinnen). Auch in Rom aber hatte die Göttin keinen eigentlichen Tempel, sondern ihr Heiligthum war ein heiliges, rundes Haus zwischen dem palatinischen und capitolinischen Hügel, womit das sogenannte Königshaus, angeblich die alte Wohnung des Numa, des angeblichen Gründers des V.-Dienstes, zusammenhing, in welchem der Pontifex Maximus wohnte, der auch über die Vestalinnen wachte. Das Haus des Königs, oder vielmehr der Herd in demselben, eignete sich natürlich in der Urzeit Roms sehr gut dazu, den heiligen Mittelpunkt des ganzen Staates zu bilden. Eben desshalb übertrug auch Augustus, als er sich der Alleinherrschaft bemächtigt hatte, das heilige Feuer der V. in sein Haus auf dem palatinischen Hügel, und machte dadurch den Imperatoren-Palast wiederum zum geheiligten Mittelpunkt des ganzen römischen Staates. Manches bleibt am römischen V.-Dienst aus Mangel an Nachrichten dunkel für uns; so z. B. wissen wir nicht, worin die Heiligthümer bestanden, welche die Vestalinnen bei der Einnahme Roms durch die Gallier nach Cäre flüchteten; wir wissen nicht, ob im V.-Heiligthum ein Standbild der Göttin war; Cicero spricht von einem solchen, Ovid aber sagt, er habe lange geglaubt, dass ein solches Bild sich im heiligen Raume vorfinde, habe sich aber nun von seinem Irrthum überzeugt; ferner sprechen viele Stellen von einem Palladium, das am Altar der V. gestanden habe, und Viele wollen sich darunter ein uraltes heiliges Schnitzbild der Pallas vorstellen, von Aeneas nach Italien gebracht; diese Annahme ist aber durchaus nicht sicher. Das alte Fest der Göttin war am 8ten Junius, und die Matronen gingen an diesem Tage barfuss im Festzuge. Augustus stiftete ein neues Fest der palatinischen V. am 28ten April. – Wenn V. auch kein Tempelbild hatte, so wurde sie demungeachtet öfters abgebildet; nebenstehend haben wir eine Nachbildung einer noch erhaltenen, der sogenannten giustinianischen, Statue der Göttin.


Vestalinnen. (Röm. Religion.) Diese jungfräulichen Priesterinnen der Vesta (s. d.) standen im höchsten Ansehen, und genossen grosse Vorrechte, z. B. das Recht, ein Testament zu machen, sobald sie in den Dienst der Göttin getreten waren (sie durften aber beim Eintritt nicht mehr als zehn Jahre alt sein); einen Lictor vor sich hergehen zu lassen; einem zum Tode Verurtheilten, wenn sie ihm begegneten, das Leben zu schenken; im Theater auf Ehrenplätzen zu sitzen. Dagegen waren sie auch sehr strengen Vorschriften, und bei Fehltritten furchtbaren Strafen unterworfen. Bedingungen ihrer Aufnahme waren: sie und ihre Eltern mussten frei geboren, beide Eltern mussten noch am Leben, in Italien ansässig und von ehrlicher Handtierung sein. War eine Wahl nöthig, so

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[444/0514] ihrer Mitte Eine ernannten, und zwar Sulpicia, Gemahlin des Fulvius Flaccus. Vertumnus (Röm. M.), ein Gott von sehr zweifelhafter Bedeutung, von dem man nichts gewiss weiss, als dass in Rom da, wo die tuscische Strasse an das Forum stiess, sein Bild aufgestellt war, dass ihm am 27. August ein Fest, Vertumnalia, gefeiert wurde, dass er einen gemeinsamen Altar mit Ceres hatte, und dass man Pomona, die Göttin des Obstes, als seine Gattin betrachtete. Einige nahmen an, er sei ein Gott der Jahreszeiten; Andere, des Handels; Einige, er stamme von den Tuskern, Andere, von den Sabinern. Vervactor (Röm. M.), ein Feldgott, der den Brachfeldern die erschöpfte Fruchtbarkeit wieder geben sollte. Vesta, griechisch Hestia (Röm. u. gr. M.) Das Wort hestia heisst eigentlich Herd, und die ganze Anbetung dieser Gottheit ist also nur aus der Vergötterung des häuslichen Feuerherdes entsprungen; diese selbst aber gibt den Beweis dafür, dass in die Gemüther der [Abbildung Fig. 295. ] alten pelasgischen Volksstämme (der gemeinsamen Ahnen der Griechen und Römer) die tiefste Erkenntniss der Wahrheit eingedrungen war, dass mit der Bereitung gekochter Speisen, statt des zuvor genossenen rohen Fleisches, ein wesentlicher Umschwung mit der ganzen menschlichen Natur eingetreten, und damit eines der höchsten Güter von den Göttern den Menschen geschenkt worden sei. Da sich aber jenen Urvölkern sehr frühe die Betrachtung aufdrängte, dass die Begründung einer häuslichen Feuerstätte das Familienleben, dieses aber das bürgerliche Zusammenleben, die Gründung des Staates bedinge, so ist Hestia eben so sehr Göttin des Staates, als des Hauses. Sie ist als mythologische Person eine der zwölf grossen Gottheiten (s. Consentes), erstgeborene Tochter des Kronos und der Rhea, zuerst von ihrem Vater verschlungen; eine jungfräuliche Göttin, die, als Apollo und Neptun um sie warben, bei dem Haupte Jupiters den Eid ewiger Jungfrauschaft schwur. Als einst Cybele dir Götter zu ihrem Feste geladen hatte, erschien auch V., und ruhte nach dem Feste im Grase. Da schlich Priapus heran, um sie zu berücken, weil er die jungfräuliche Göttin nicht erkannte. Schon war er nahe daran, seinen Zweck zu erreichen, als Silen's in der Nähe weidender Esel so laut schrie, dass die erschreckte Göttin aufsprang und Priapus entfloh. Diese galt als Veranlassung des in Rom bestehenden Gebrauchs, dass am Feste der V. die Müller-Esel Rasttag hatten, und bekränzt und mit Halsbändern erschienen, die aus kleinen Broden, auf Schnüre gereiht, bestanden. – V. war also in Griechenland Göttin der Häuslichkeit und alles häuslichen Segens, Erfinderin des Häuserbaues, Vorsteherin der Opfer, Göttin des heiligen Altarfeuers, Theilhaberin an allen Ehren in sämmtlichen Tempeln, Schutzgottheit der Schutzflehenden, die sich auf den Herd setzen, Inhaberin des gemeinsamen heiligen Stadt-Herdes in den sogenannten Prytaneen (Stadthäusern), wo sie ebenfalls Schirmherrin der Schutzflehenden war, und die städtische Obrigkeit beim Amtsantritt ihr opferte. Besondere Tempel hatte sie wenige, Standbilder noch seltener, da der Altar und sein Feuer ihr eigentliches Bild war, und ihrer bei allen Brandopfern in allen Tempeln zuerst gedacht wurde. Auf dem heiligen Stadtherde wurde ein immer brennendes Feuer erhalten, von Wittwen bedient, von welchem ausziehende Colonien sich Feuer mitnahmen; erlosch es, so durfte es nicht anders, als entweder durch Brennspiegel oder Reibung zweier Hölzer wieder entzündet werden. – Die Römer haben ihre V. nicht erst in der geschichtlich beglaubigten Zeit von den Griechen angenommen; dem ungeachtet ist sie in allen Stücken dasselbe Wesen, wie Hestia, mir mit der Ausnahme, dass ihre Bedeutung für den Staat viel weiter ausgebildet wurde; auch waren ihre Priesterinnen nicht Wittwen, sondern Jungfrauen (s. Vestalinnen). Auch in Rom aber hatte die Göttin keinen eigentlichen Tempel, sondern ihr Heiligthum war ein heiliges, rundes Haus zwischen dem palatinischen und capitolinischen Hügel, womit das sogenannte Königshaus, angeblich die alte Wohnung des Numa, des angeblichen Gründers des V.-Dienstes, zusammenhing, in welchem der Pontifex Maximus wohnte, der auch über die Vestalinnen wachte. Das Haus des Königs, oder vielmehr der Herd in demselben, eignete sich natürlich in der Urzeit Roms sehr gut dazu, den heiligen Mittelpunkt des ganzen Staates zu bilden. Eben desshalb übertrug auch Augustus, als er sich der Alleinherrschaft bemächtigt hatte, das heilige Feuer der V. in sein Haus auf dem palatinischen Hügel, und machte dadurch den Imperatoren-Palast wiederum zum geheiligten Mittelpunkt des ganzen römischen Staates. Manches bleibt am römischen V.-Dienst aus Mangel an Nachrichten dunkel für uns; so z. B. wissen wir nicht, worin die Heiligthümer bestanden, welche die Vestalinnen bei der Einnahme Roms durch die Gallier nach Cäre flüchteten; wir wissen nicht, ob im V.-Heiligthum ein Standbild der Göttin war; Cicero spricht von einem solchen, Ovid aber sagt, er habe lange geglaubt, dass ein solches Bild sich im heiligen Raume vorfinde, habe sich aber nun von seinem Irrthum überzeugt; ferner sprechen viele Stellen von einem Palladium, das am Altar der V. gestanden habe, und Viele wollen sich darunter ein uraltes heiliges Schnitzbild der Pallas vorstellen, von Aeneas nach Italien gebracht; diese Annahme ist aber durchaus nicht sicher. Das alte Fest der Göttin war am 8ten Junius, und die Matronen gingen an diesem Tage barfuss im Festzuge. Augustus stiftete ein neues Fest der palatinischen V. am 28ten April. – Wenn V. auch kein Tempelbild hatte, so wurde sie demungeachtet öfters abgebildet; nebenstehend haben wir eine Nachbildung einer noch erhaltenen, der sogenannten giustinianischen, Statue der Göttin. Vestalinnen. (Röm. Religion.) Diese jungfräulichen Priesterinnen der Vesta (s. d.) standen im höchsten Ansehen, und genossen grosse Vorrechte, z. B. das Recht, ein Testament zu machen, sobald sie in den Dienst der Göttin getreten waren (sie durften aber beim Eintritt nicht mehr als zehn Jahre alt sein); einen Lictor vor sich hergehen zu lassen; einem zum Tode Verurtheilten, wenn sie ihm begegneten, das Leben zu schenken; im Theater auf Ehrenplätzen zu sitzen. Dagegen waren sie auch sehr strengen Vorschriften, und bei Fehltritten furchtbaren Strafen unterworfen. Bedingungen ihrer Aufnahme waren: sie und ihre Eltern mussten frei geboren, beide Eltern mussten noch am Leben, in Italien ansässig und von ehrlicher Handtierung sein. War eine Wahl nöthig, so

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Zitationshilfe: Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/514>, abgerufen am 15.05.2024.