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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873.

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Niedriger.

Wenn sich die niedrigen den Höhern an die seiten setzen, gibts eine Finsternuss. (S. Bürger 14.) - Lehmann, 329, 64.


Niegenug.

* Er ist e Niegnueg. - Sutermeister, 63.

Von einem, der kein Mass zu finden weiss, auch im Genuss. In diesem Sinne finden sich a. a. O. noch folgende schweizer Redensarten: Er ist en Gespeer (= Geuder), en Langnüter, en Hauderidau, en Malchis, en Suppe-Malchis, er ist en hungerstottige Mensch.


Nieglichkeit.

Dat is vör de Nieglichkeit1, säd' Rüting, weier van't Mäten kamen un härr sich 't Ben braken. - Hoefer, 882.

1) Unberufene Neugierde.


Niemals.

Niemals, niemals, niemals!

Dieser in Deutschland sprichwörtlich gewordene Ausruf hat seinen Ursprung in der am 23. April 1849 stattgefundenen Sitzung der zweiten preussischen Kammer. Als es sich da um Anerkennung der von der frankfurter Nationalversammlung vollendeten Verfassung seitens Preussens handelte, schloss der Ministerpräsident Graf Brandenburg eine im Namen der Regierung abgegebene ablehnende Erklärung mit einer allgemeinen Betrachtung über die Stellung derselben zur öffentlichen Meinung mit den Worten: "Es ist hier vielfach die Rede von der öffentlichen Meinung gewesen. Ich erkenne diese Macht an im vollen Masse; sie erstreckt sich über die ganze bewohnte Erde; sie besteht, so lange die Geschlechter der Menschen leben. Ich erkenne sie aber an in der Art, wie das Schiffsvolk die Macht der Elemente auf hoher See anerkennt, indem es sich nicht den Winden und Strömungen hingibt und auf diese Weise herrenlos auf der See treibt; denn auf diese Weise würde das Schiff nie den rettenden Port erreichen, der Rettungsanker nie einen festen und sichern Grund finden. Niemals! Niemals! Niemals!" Dies dreifache Niemals ist seitdem im deutschen Munde sprichwörtlich geworden, aber dessenungeachtet nicht neu; denn schon im Jahre 1777 wurde es vom ältern Pitt im englischen Parlament in einer Rede gegen die Verwendung der Indianer im amerikanischen Kriege gebraucht, wo er ausrief: "Wäre ich ein Amerikaner, wie ich ein Engländer bin, nie würde ich meine Waffen niederlegen, so lange noch ein feindliches Truppencorps in meiner Heimat ans Land stiege. Niemals! Niemals! Niemals!" Dies Niemals ist aber in fünfmaliger Wiederholung in der Schlussscene von König Lear zu lesen. Endlich hat der französische Minister Rouher in der Sitzung vom 5. Dec. 1867 bei Erörterung der italienischen Frage den gesetzgebenden Körper durch dies wiederholte Niemals in stürmische Bewegung versetzt. (Büchmann, 6. Aufl., S. 241.)


Niemand.

1 Der Meister Niemand kommt überall ins Spiel. - Parömiakon, 1166.

2 Der niemand hat alles gethan. - Gruter, III, 18; Lehmann, II, 81, 109.

3 Der Niemand ist an allem schuld. - Körte, 4565; Mayer, I, 51; Simrock, 7547; Braun, I, 3039.

Der Niemand hat im Volke stets eine bedeutende Rolle gespielt. Wurde im Hause ein Streich verübt, ohne dass der Thäter zu ermitteln war, so war der Niemand, der "die Dippe verbricht" (die Töpfe zerschlägt); wird etwas ausgeplaudert, so hat's der Niemand mit dem Watschelmaul gethan. Im Vortrab der Oeconomia ruralis findet sich der "Niemand" abgebildet: ein jugendlicher Engel ohne Hände, ohne Füsse, mit verbundenen Augen, ein Schloss vor dem Munde, ohne Ohren, kurz ohne jeden Sinn, ohne jedes Wahrnehmungs- und Mittheilungsorgan; ein Kerlchen, das gar nichts kann und - alles gemacht haben soll, mit den Beinen das Weltall umspannend. Von den Versen, die das Bild begleiten, nur einige: Niemand auf Teutsch werd ich genennt, kam von nirgend, niemand mich kennt. - Der Niemand kann weder hören noch sehn, darzu nicht greifen oder gehn. - Obwol Niemand ein Erdisch Gott, beweisst man ihm doch grossen Spott, dieweil ihn für ein Hümpelman halten thun, Alt, Jung, Fraw vnd Mann. - Ist was verloren in einem Hauss, hat es Niemand getragen rauss, ist was gestolen gross oder klein, Niemand der Dieb allweg muss seyn. - Ist etwas zuschlagen oder zubrochen, in der Stuben oder in der Kuchen, der Ofen etwa eingestossen, Kannen zerworffen, Bier vergossen. Niemand die Schuld allweg muss han, wiewol Niemand kein Sünd gethan.

4 Der Niemand stiehlt am meisten. - Parömiakon, 535.

5 Der Niemand thut im Reiche mehr schaden als der Türck. - Lehmann, 369, 86.

6 Der Niemand thut mehr schaden in Küchen, Keller vnd im hauss, als das gesind mit dem lohn kan bezahlen. - Lehmann, 369, 86.

[Spaltenumbruch] 7 Der schändliche Niemand thut alle böse That. - Petri, II, 106.

8 Des Niemands Gesell' komm' nicht über mein' Schwell. - Hertz, 24.

An einem Hause in Franken.

9 Es ist niemand gern alt vnnd wil jederman alt werden. - Lehmann, II, 135, 40.

10 Es ist niemand ohne Fehler.

11 Es ist niemand reich, er sei denn weise.

12 Es ist niemand schuldig, die Kuh mit dem Kalbe zu behalten. - Pistor., II, 52.

13 Es ist niemand so gar geschwind, der nicht einmal sein'n Meister find't.

14 Es ist niemand so geschickt, den nicht ein Weib berückt.

15 Es ist niemand so weise, er wird von den Thoren betrogen.

16 Es ist niemand weiss genug. - Lehmann, II, 135, 39.

17 Es kann sich niemand genug hüten.

18 Es weiss niemand als nur jedermann.

19 Es wird niemand weise als mit seinem Schaden.

20 Es wird's niemand dahin bringen, dass die Krebse vorwärtsgehen.

Was die Natur versagt, wird alle Kunst und Mühe nicht ersetzen.

21 Man kann niemand ohne seinen Willen geben, aber man kann ihm wol ohne seinen Dank nehmen.

22 Niemand, der gute alte Mann, muss alle Bossheit han gethan. - Petri, II, 494.

Der bekannte Niemand schildert sich in einem alten Spruchgedicht selbst, indem er sagt: "Nimb doch für gut, was Niemand spricht, weil er von Niemand saget nicht. Ich heiss Niemand und bin der Niemand von Alters her, Niemand lebt von ihm selber. Niemand ist allweg gewesen, Niemand seynd möglich alle Dinge, Niemand vermag ewig zu seyn, Niemand ist aller Sünden rein, Niemand dem tod entlauffen kan, Niemand sein Ziel kan übergahn. Niemand weisst seines Lebens Ende, Niemand wo sich sein Glück hinwende, Niemand weiss Gottes Heimlichkeit, Niemand weiss alles alle Zeit. Niemand ist klug in allen Sachen, Niemand will sich genügen lan, Niemand sein Glück wol tragen kan. Niemand ist auf der Buhlschaft weis, Niemand ist treu mit allem Fleiss. Niemand zwen Herrn dienen kan, Niemand kan all sein Willen han. Niemand kan seyn an allen Enden, Niemand hat alles in seinen Händen. Niemand fördert den gemeinen Nutz, Niemand ist der Armen Schirm und Schutz, Niemand die Waisen nimbt in Acht, Niemand der Wittiben Bestes betracht, Niemand kan ohn Gebrechen bleiben, Niemand kan alle Ungunst meiden, Niemand kans machen überall, dass einem jeden wohl gefall. Niemand die Zeit kan widerbringen, Niemand ist mächtig in allen Dingen. So was Niemand vor Macht thut han, Niemand auf Erd ausssprechen kan. Obwohl Niemand ein irdisch Gott, beweist man ihm doch grossen Spott, dieweil ihn für ein Hümpelsmann halten thut Alt, Jung, Frau, Mann. Es ist im Hause keiner so klein, Niemand muss sein Abnehmer sein; dann alles, was übels gethan, dessen Schild muss der Niemand han. Niemand thut alles, was geschiht, ob Niemand schon unschuldig ist. Ist was verloren in dem Haus, Niemand hats getragen auss; ist was gestohlen gross und klein, Niemand der Dieb allzeit muss seyn. Ist was zerschlagen oder gebrochen in der Stuben oder in der Kochen, der Ofen etwa eingestossen, Kannen verworffen, 's Bier umbgestossen, Fenster zerschlagen, Thüren zerhauen, alles zerrissen, was man erst gebauen, zerbrochen Stühl, Sessel und Bank, vorm Bett zerrissen der Umbhang; wann etwa gleich seynd zerfallen Häfen, Schüssel oder Kannen, Leuchter, Gläser oder Becher, Töpffe oder Krüge kriegen Löcher, das hat der arme Niemand gethan und muss die Schuld allerwegen han. Hat die Köchen gross Feuer gemacht, dasselb nit gehabt in Acht, so dass etwan Schaden geschehn, der Sessel auf eim Bein muss stehn, der Blass- Palg, Besen seyn verdorben, verbrennt die Schüsslen mit den Korben, die Hausarbeit gethan nit recht, jedes nit an seine Statt gelegt, Gewürz-Büx oftmals vergessen und der Zucker darauss gefressen, die Speiskammer offen lassen stahn, dass Hund und Katz Schaden gethan, die Keller auch nit wol verschlossen, Bier und Wein ausslaufen lassen, die Proviant nit wol verwahrt, Butter und Schmalz nit wohl gespart, das Bier und Wein ist aussgetragen, Andern zu füllen ihren Kragen, das Brot und Fleisch ist weggegeben, der Kupplerin zu ihrem Leben, und wie in Kuch und Keller Ehr, Unrath vnd Schad entstanden mehr; thut sich der Hausswirth dess beklagen und sein Gesindlein drumb befragen, entschuldigt sich stracks jedermann, und hats der arme Niemand gethan. Alles was im Hauss und Hof vor Schad den Morgen frühe und Abend spat bei Tag und Nacht allzeit geschicht,

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Niedriger.

Wenn sich die niedrigen den Höhern an die seiten setzen, gibts eine Finsternuss. (S. Bürger 14.) – Lehmann, 329, 64.


Niegenug.

* Er ist e Niegnueg.Sutermeister, 63.

Von einem, der kein Mass zu finden weiss, auch im Genuss. In diesem Sinne finden sich a. a. O. noch folgende schweizer Redensarten: Er ist en Gespeer (= Geuder), en Langnüter, en Hauderidau, en Malchis, en Suppe-Malchis, er ist en hungerstottige Mensch.


Nieglichkeit.

Dat is vör de Nieglichkeit1, säd' Rüting, wîer van't Mäten kâmen un härr sich 't Bên brâken.Hoefer, 882.

1) Unberufene Neugierde.


Niemals.

Niemals, niemals, niemals!

Dieser in Deutschland sprichwörtlich gewordene Ausruf hat seinen Ursprung in der am 23. April 1849 stattgefundenen Sitzung der zweiten preussischen Kammer. Als es sich da um Anerkennung der von der frankfurter Nationalversammlung vollendeten Verfassung seitens Preussens handelte, schloss der Ministerpräsident Graf Brandenburg eine im Namen der Regierung abgegebene ablehnende Erklärung mit einer allgemeinen Betrachtung über die Stellung derselben zur öffentlichen Meinung mit den Worten: „Es ist hier vielfach die Rede von der öffentlichen Meinung gewesen. Ich erkenne diese Macht an im vollen Masse; sie erstreckt sich über die ganze bewohnte Erde; sie besteht, so lange die Geschlechter der Menschen leben. Ich erkenne sie aber an in der Art, wie das Schiffsvolk die Macht der Elemente auf hoher See anerkennt, indem es sich nicht den Winden und Strömungen hingibt und auf diese Weise herrenlos auf der See treibt; denn auf diese Weise würde das Schiff nie den rettenden Port erreichen, der Rettungsanker nie einen festen und sichern Grund finden. Niemals! Niemals! Niemals!“ Dies dreifache Niemals ist seitdem im deutschen Munde sprichwörtlich geworden, aber dessenungeachtet nicht neu; denn schon im Jahre 1777 wurde es vom ältern Pitt im englischen Parlament in einer Rede gegen die Verwendung der Indianer im amerikanischen Kriege gebraucht, wo er ausrief: „Wäre ich ein Amerikaner, wie ich ein Engländer bin, nie würde ich meine Waffen niederlegen, so lange noch ein feindliches Truppencorps in meiner Heimat ans Land stiege. Niemals! Niemals! Niemals!“ Dies Niemals ist aber in fünfmaliger Wiederholung in der Schlussscene von König Lear zu lesen. Endlich hat der französische Minister Rouher in der Sitzung vom 5. Dec. 1867 bei Erörterung der italienischen Frage den gesetzgebenden Körper durch dies wiederholte Niemals in stürmische Bewegung versetzt. (Büchmann, 6. Aufl., S. 241.)


Niemand.

1 Der Meister Niemand kommt überall ins Spiel.Parömiakon, 1166.

2 Der niemand hat alles gethan.Gruter, III, 18; Lehmann, II, 81, 109.

3 Der Niemand ist an allem schuld.Körte, 4565; Mayer, I, 51; Simrock, 7547; Braun, I, 3039.

Der Niemand hat im Volke stets eine bedeutende Rolle gespielt. Wurde im Hause ein Streich verübt, ohne dass der Thäter zu ermitteln war, so war der Niemand, der „die Dippe verbricht“ (die Töpfe zerschlägt); wird etwas ausgeplaudert, so hat's der Niemand mit dem Watschelmaul gethan. Im Vortrab der Oeconomia ruralis findet sich der „Niemand“ abgebildet: ein jugendlicher Engel ohne Hände, ohne Füsse, mit verbundenen Augen, ein Schloss vor dem Munde, ohne Ohren, kurz ohne jeden Sinn, ohne jedes Wahrnehmungs- und Mittheilungsorgan; ein Kerlchen, das gar nichts kann und – alles gemacht haben soll, mit den Beinen das Weltall umspannend. Von den Versen, die das Bild begleiten, nur einige: Niemand auf Teutsch werd ich genennt, kam von nirgend, niemand mich kennt. – Der Niemand kann weder hören noch sehn, darzu nicht greifen oder gehn. – Obwol Niemand ein Erdisch Gott, beweisst man ihm doch grossen Spott, dieweil ihn für ein Hümpelman halten thun, Alt, Jung, Fraw vnd Mann. – Ist was verloren in einem Hauss, hat es Niemand getragen rauss, ist was gestolen gross oder klein, Niemand der Dieb allweg muss seyn. – Ist etwas zuschlagen oder zubrochen, in der Stuben oder in der Kuchen, der Ofen etwa eingestossen, Kannen zerworffen, Bier vergossen. Niemand die Schuld allweg muss han, wiewol Niemand kein Sünd gethan.

4 Der Niemand stiehlt am meisten.Parömiakon, 535.

5 Der Niemand thut im Reiche mehr schaden als der Türck.Lehmann, 369, 86.

6 Der Niemand thut mehr schaden in Küchen, Keller vnd im hauss, als das gesind mit dem lohn kan bezahlen.Lehmann, 369, 86.

[Spaltenumbruch] 7 Der schändliche Niemand thut alle böse That.Petri, II, 106.

8 Des Niemands Gesell' komm' nicht über mein' Schwell.Hertz, 24.

An einem Hause in Franken.

9 Es ist niemand gern alt vnnd wil jederman alt werden.Lehmann, II, 135, 40.

10 Es ist niemand ohne Fehler.

11 Es ist niemand reich, er sei denn weise.

12 Es ist niemand schuldig, die Kuh mit dem Kalbe zu behalten.Pistor., II, 52.

13 Es ist niemand so gar geschwind, der nicht einmal sein'n Meister find't.

14 Es ist niemand so geschickt, den nicht ein Weib berückt.

15 Es ist niemand so weise, er wird von den Thoren betrogen.

16 Es ist niemand weiss genug.Lehmann, II, 135, 39.

17 Es kann sich niemand genug hüten.

18 Es weiss niemand als nur jedermann.

19 Es wird niemand weise als mit seinem Schaden.

20 Es wird's niemand dahin bringen, dass die Krebse vorwärtsgehen.

Was die Natur versagt, wird alle Kunst und Mühe nicht ersetzen.

21 Man kann niemand ohne seinen Willen geben, aber man kann ihm wol ohne seinen Dank nehmen.

22 Niemand, der gute alte Mann, muss alle Bossheit han gethan.Petri, II, 494.

Der bekannte Niemand schildert sich in einem alten Spruchgedicht selbst, indem er sagt: „Nimb doch für gut, was Niemand spricht, weil er von Niemand saget nicht. Ich heiss Niemand und bin der Niemand von Alters her, Niemand lebt von ihm selber. Niemand ist allweg gewesen, Niemand seynd möglich alle Dinge, Niemand vermag ewig zu seyn, Niemand ist aller Sünden rein, Niemand dem tod entlauffen kan, Niemand sein Ziel kan übergahn. Niemand weisst seines Lebens Ende, Niemand wo sich sein Glück hinwende, Niemand weiss Gottes Heimlichkeit, Niemand weiss alles alle Zeit. Niemand ist klug in allen Sachen, Niemand will sich genügen lan, Niemand sein Glück wol tragen kan. Niemand ist auf der Buhlschaft weis, Niemand ist treu mit allem Fleiss. Niemand zwen Herrn dienen kan, Niemand kan all sein Willen han. Niemand kan seyn an allen Enden, Niemand hat alles in seinen Händen. Niemand fördert den gemeinen Nutz, Niemand ist der Armen Schirm und Schutz, Niemand die Waisen nimbt in Acht, Niemand der Wittiben Bestes betracht, Niemand kan ohn Gebrechen bleiben, Niemand kan alle Ungunst meiden, Niemand kans machen überall, dass einem jeden wohl gefall. Niemand die Zeit kan widerbringen, Niemand ist mächtig in allen Dingen. So was Niemand vor Macht thut han, Niemand auf Erd ausssprechen kan. Obwohl Niemand ein irdisch Gott, beweist man ihm doch grossen Spott, dieweil ihn für ein Hümpelsmann halten thut Alt, Jung, Frau, Mann. Es ist im Hause keiner so klein, Niemand muss sein Abnehmer sein; dann alles, was übels gethan, dessen Schild muss der Niemand han. Niemand thut alles, was geschiht, ob Niemand schon unschuldig ist. Ist was verloren in dem Haus, Niemand hats getragen auss; ist was gestohlen gross und klein, Niemand der Dieb allzeit muss seyn. Ist was zerschlagen oder gebrochen in der Stuben oder in der Kochen, der Ofen etwa eingestossen, Kannen verworffen, 's Bier umbgestossen, Fenster zerschlagen, Thüren zerhauen, alles zerrissen, was man erst gebauen, zerbrochen Stühl, Sessel und Bank, vorm Bett zerrissen der Umbhang; wann etwa gleich seynd zerfallen Häfen, Schüssel oder Kannen, Leuchter, Gläser oder Becher, Töpffe oder Krüge kriegen Löcher, das hat der arme Niemand gethan und muss die Schuld allerwegen han. Hat die Köchen gross Feuer gemacht, dasselb nit gehabt in Acht, so dass etwan Schaden geschehn, der Sessel auf eim Bein muss stehn, der Blass- Palg, Besen seyn verdorben, verbrennt die Schüsslen mit den Korben, die Hausarbeit gethan nit recht, jedes nit an seine Statt gelegt, Gewürz-Büx oftmals vergessen und der Zucker darauss gefressen, die Speiskammer offen lassen stahn, dass Hund und Katz Schaden gethan, die Keller auch nit wol verschlossen, Bier und Wein ausslaufen lassen, die Proviant nit wol verwahrt, Butter und Schmalz nit wohl gespart, das Bier und Wein ist aussgetragen, Andern zu füllen ihren Kragen, das Brot und Fleisch ist weggegeben, der Kupplerin zu ihrem Leben, und wie in Kuch und Keller Ehr, Unrath vnd Schad entstanden mehr; thut sich der Hausswirth dess beklagen und sein Gesindlein drumb befragen, entschuldigt sich stracks jedermann, und hats der arme Niemand gethan. Alles was im Hauss und Hof vor Schad den Morgen frühe und Abend spat bei Tag und Nacht allzeit geschicht,

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[[513]/0527] Niedriger. Wenn sich die niedrigen den Höhern an die seiten setzen, gibts eine Finsternuss. (S. Bürger 14.) – Lehmann, 329, 64. Niegenug. * Er ist e Niegnueg. – Sutermeister, 63. Von einem, der kein Mass zu finden weiss, auch im Genuss. In diesem Sinne finden sich a. a. O. noch folgende schweizer Redensarten: Er ist en Gespeer (= Geuder), en Langnüter, en Hauderidau, en Malchis, en Suppe-Malchis, er ist en hungerstottige Mensch. Nieglichkeit. Dat is vör de Nieglichkeit1, säd' Rüting, wîer van't Mäten kâmen un härr sich 't Bên brâken. – Hoefer, 882. 1) Unberufene Neugierde. Niemals. Niemals, niemals, niemals! Dieser in Deutschland sprichwörtlich gewordene Ausruf hat seinen Ursprung in der am 23. April 1849 stattgefundenen Sitzung der zweiten preussischen Kammer. Als es sich da um Anerkennung der von der frankfurter Nationalversammlung vollendeten Verfassung seitens Preussens handelte, schloss der Ministerpräsident Graf Brandenburg eine im Namen der Regierung abgegebene ablehnende Erklärung mit einer allgemeinen Betrachtung über die Stellung derselben zur öffentlichen Meinung mit den Worten: „Es ist hier vielfach die Rede von der öffentlichen Meinung gewesen. Ich erkenne diese Macht an im vollen Masse; sie erstreckt sich über die ganze bewohnte Erde; sie besteht, so lange die Geschlechter der Menschen leben. Ich erkenne sie aber an in der Art, wie das Schiffsvolk die Macht der Elemente auf hoher See anerkennt, indem es sich nicht den Winden und Strömungen hingibt und auf diese Weise herrenlos auf der See treibt; denn auf diese Weise würde das Schiff nie den rettenden Port erreichen, der Rettungsanker nie einen festen und sichern Grund finden. Niemals! Niemals! Niemals!“ Dies dreifache Niemals ist seitdem im deutschen Munde sprichwörtlich geworden, aber dessenungeachtet nicht neu; denn schon im Jahre 1777 wurde es vom ältern Pitt im englischen Parlament in einer Rede gegen die Verwendung der Indianer im amerikanischen Kriege gebraucht, wo er ausrief: „Wäre ich ein Amerikaner, wie ich ein Engländer bin, nie würde ich meine Waffen niederlegen, so lange noch ein feindliches Truppencorps in meiner Heimat ans Land stiege. Niemals! Niemals! Niemals!“ Dies Niemals ist aber in fünfmaliger Wiederholung in der Schlussscene von König Lear zu lesen. Endlich hat der französische Minister Rouher in der Sitzung vom 5. Dec. 1867 bei Erörterung der italienischen Frage den gesetzgebenden Körper durch dies wiederholte Niemals in stürmische Bewegung versetzt. (Büchmann, 6. Aufl., S. 241.) Niemand. 1 Der Meister Niemand kommt überall ins Spiel. – Parömiakon, 1166. 2 Der niemand hat alles gethan. – Gruter, III, 18; Lehmann, II, 81, 109. 3 Der Niemand ist an allem schuld. – Körte, 4565; Mayer, I, 51; Simrock, 7547; Braun, I, 3039. Der Niemand hat im Volke stets eine bedeutende Rolle gespielt. Wurde im Hause ein Streich verübt, ohne dass der Thäter zu ermitteln war, so war der Niemand, der „die Dippe verbricht“ (die Töpfe zerschlägt); wird etwas ausgeplaudert, so hat's der Niemand mit dem Watschelmaul gethan. Im Vortrab der Oeconomia ruralis findet sich der „Niemand“ abgebildet: ein jugendlicher Engel ohne Hände, ohne Füsse, mit verbundenen Augen, ein Schloss vor dem Munde, ohne Ohren, kurz ohne jeden Sinn, ohne jedes Wahrnehmungs- und Mittheilungsorgan; ein Kerlchen, das gar nichts kann und – alles gemacht haben soll, mit den Beinen das Weltall umspannend. Von den Versen, die das Bild begleiten, nur einige: Niemand auf Teutsch werd ich genennt, kam von nirgend, niemand mich kennt. – Der Niemand kann weder hören noch sehn, darzu nicht greifen oder gehn. – Obwol Niemand ein Erdisch Gott, beweisst man ihm doch grossen Spott, dieweil ihn für ein Hümpelman halten thun, Alt, Jung, Fraw vnd Mann. – Ist was verloren in einem Hauss, hat es Niemand getragen rauss, ist was gestolen gross oder klein, Niemand der Dieb allweg muss seyn. – Ist etwas zuschlagen oder zubrochen, in der Stuben oder in der Kuchen, der Ofen etwa eingestossen, Kannen zerworffen, Bier vergossen. Niemand die Schuld allweg muss han, wiewol Niemand kein Sünd gethan. 4 Der Niemand stiehlt am meisten. – Parömiakon, 535. 5 Der Niemand thut im Reiche mehr schaden als der Türck. – Lehmann, 369, 86. 6 Der Niemand thut mehr schaden in Küchen, Keller vnd im hauss, als das gesind mit dem lohn kan bezahlen. – Lehmann, 369, 86. 7 Der schändliche Niemand thut alle böse That. – Petri, II, 106. 8 Des Niemands Gesell' komm' nicht über mein' Schwell. – Hertz, 24. An einem Hause in Franken. 9 Es ist niemand gern alt vnnd wil jederman alt werden. – Lehmann, II, 135, 40. 10 Es ist niemand ohne Fehler. 11 Es ist niemand reich, er sei denn weise. 12 Es ist niemand schuldig, die Kuh mit dem Kalbe zu behalten. – Pistor., II, 52. 13 Es ist niemand so gar geschwind, der nicht einmal sein'n Meister find't. 14 Es ist niemand so geschickt, den nicht ein Weib berückt. 15 Es ist niemand so weise, er wird von den Thoren betrogen. 16 Es ist niemand weiss genug. – Lehmann, II, 135, 39. 17 Es kann sich niemand genug hüten. 18 Es weiss niemand als nur jedermann. 19 Es wird niemand weise als mit seinem Schaden. 20 Es wird's niemand dahin bringen, dass die Krebse vorwärtsgehen. Was die Natur versagt, wird alle Kunst und Mühe nicht ersetzen. 21 Man kann niemand ohne seinen Willen geben, aber man kann ihm wol ohne seinen Dank nehmen. 22 Niemand, der gute alte Mann, muss alle Bossheit han gethan. – Petri, II, 494. Der bekannte Niemand schildert sich in einem alten Spruchgedicht selbst, indem er sagt: „Nimb doch für gut, was Niemand spricht, weil er von Niemand saget nicht. Ich heiss Niemand und bin der Niemand von Alters her, Niemand lebt von ihm selber. Niemand ist allweg gewesen, Niemand seynd möglich alle Dinge, Niemand vermag ewig zu seyn, Niemand ist aller Sünden rein, Niemand dem tod entlauffen kan, Niemand sein Ziel kan übergahn. Niemand weisst seines Lebens Ende, Niemand wo sich sein Glück hinwende, Niemand weiss Gottes Heimlichkeit, Niemand weiss alles alle Zeit. Niemand ist klug in allen Sachen, Niemand will sich genügen lan, Niemand sein Glück wol tragen kan. Niemand ist auf der Buhlschaft weis, Niemand ist treu mit allem Fleiss. Niemand zwen Herrn dienen kan, Niemand kan all sein Willen han. Niemand kan seyn an allen Enden, Niemand hat alles in seinen Händen. Niemand fördert den gemeinen Nutz, Niemand ist der Armen Schirm und Schutz, Niemand die Waisen nimbt in Acht, Niemand der Wittiben Bestes betracht, Niemand kan ohn Gebrechen bleiben, Niemand kan alle Ungunst meiden, Niemand kans machen überall, dass einem jeden wohl gefall. Niemand die Zeit kan widerbringen, Niemand ist mächtig in allen Dingen. So was Niemand vor Macht thut han, Niemand auf Erd ausssprechen kan. Obwohl Niemand ein irdisch Gott, beweist man ihm doch grossen Spott, dieweil ihn für ein Hümpelsmann halten thut Alt, Jung, Frau, Mann. Es ist im Hause keiner so klein, Niemand muss sein Abnehmer sein; dann alles, was übels gethan, dessen Schild muss der Niemand han. Niemand thut alles, was geschiht, ob Niemand schon unschuldig ist. Ist was verloren in dem Haus, Niemand hats getragen auss; ist was gestohlen gross und klein, Niemand der Dieb allzeit muss seyn. Ist was zerschlagen oder gebrochen in der Stuben oder in der Kochen, der Ofen etwa eingestossen, Kannen verworffen, 's Bier umbgestossen, Fenster zerschlagen, Thüren zerhauen, alles zerrissen, was man erst gebauen, zerbrochen Stühl, Sessel und Bank, vorm Bett zerrissen der Umbhang; wann etwa gleich seynd zerfallen Häfen, Schüssel oder Kannen, Leuchter, Gläser oder Becher, Töpffe oder Krüge kriegen Löcher, das hat der arme Niemand gethan und muss die Schuld allerwegen han. Hat die Köchen gross Feuer gemacht, dasselb nit gehabt in Acht, so dass etwan Schaden geschehn, der Sessel auf eim Bein muss stehn, der Blass- Palg, Besen seyn verdorben, verbrennt die Schüsslen mit den Korben, die Hausarbeit gethan nit recht, jedes nit an seine Statt gelegt, Gewürz-Büx oftmals vergessen und der Zucker darauss gefressen, die Speiskammer offen lassen stahn, dass Hund und Katz Schaden gethan, die Keller auch nit wol verschlossen, Bier und Wein ausslaufen lassen, die Proviant nit wol verwahrt, Butter und Schmalz nit wohl gespart, das Bier und Wein ist aussgetragen, Andern zu füllen ihren Kragen, das Brot und Fleisch ist weggegeben, der Kupplerin zu ihrem Leben, und wie in Kuch und Keller Ehr, Unrath vnd Schad entstanden mehr; thut sich der Hausswirth dess beklagen und sein Gesindlein drumb befragen, entschuldigt sich stracks jedermann, und hats der arme Niemand gethan. Alles was im Hauss und Hof vor Schad den Morgen frühe und Abend spat bei Tag und Nacht allzeit geschicht,

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873, S. [513]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon03_1873/527>, abgerufen am 26.04.2024.