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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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I. Th. 1. H. Vom Unterschied menschl. Handl.
theile, welches sich auf die Sache beziehet.
Die Unwissenheit läßt also keine still-
schweigende Genehmhaltung zu
(§.
31.), und wenn dieselbe nicht vermie-
den werden konte, so entschuldiget
sie;
aber nicht alsdenn, wenn sie hät-
te können vermieden werden (§. 17.);
und diese hat einen Einfluß in das
Versehen.

§. 33.
Die zu-
sammen-
gesetzte
Unwis-
senheit,
oder der
Jrthum.

Die Scholasticker nennen diese Unwissen-
heit die einfache (simplicem); den Jr-
thum
(errorem) nennen sie die zusam-
mengesetzte Unwissenheit
(ignorantiam
compositam),
da man Begriffe verbindet,
welche nicht verbunden werden können.
Denn der irret, der einen wahren Satz für
einen falschen hält, und folglich dem Sub-
ject entweder eine bejahende, oder verneinen-
de Eigenschafft zueignet, welche demselben
nicht zukommen kann. Daher nennet man
den Jrthum, den Mangel der Uebereinstim-
mung des Begriffs mit der Sache; und es
ist klar, daß ein Jrthum, der vermie-
den werden kann, einen Einfluß in das
Versehen hat und einen nicht entschul-
diget
(§. 17.).

§. 34.
Von der
Zurech-
nung der

Gleicherweise ist offenbahr, daß so
wohl die Unwissenheit (§. 32.), oder
der Jrthum (§. 33.), wenn beyde hät-

ten

I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl.
theile, welches ſich auf die Sache beziehet.
Die Unwiſſenheit laͤßt alſo keine ſtill-
ſchweigende Genehmhaltung zu
(§.
31.), und wenn dieſelbe nicht vermie-
den werden konte, ſo entſchuldiget
ſie;
aber nicht alsdenn, wenn ſie haͤt-
te koͤnnen vermieden werden (§. 17.);
und dieſe hat einen Einfluß in das
Verſehen.

§. 33.
Die zu-
ſammen-
geſetzte
Unwiſ-
ſenheit,
oder der
Jrthum.

Die Scholaſticker nennen dieſe Unwiſſen-
heit die einfache (ſimplicem); den Jr-
thum
(errorem) nennen ſie die zuſam-
mengeſetzte Unwiſſenheit
(ignorantiam
compoſitam),
da man Begriffe verbindet,
welche nicht verbunden werden koͤnnen.
Denn der irret, der einen wahren Satz fuͤr
einen falſchen haͤlt, und folglich dem Sub-
ject entweder eine bejahende, oder verneinen-
de Eigenſchafft zueignet, welche demſelben
nicht zukommen kann. Daher nennet man
den Jrthum, den Mangel der Uebereinſtim-
mung des Begriffs mit der Sache; und es
iſt klar, daß ein Jrthum, der vermie-
den werden kann, einen Einfluß in das
Verſehen hat und einen nicht entſchul-
diget
(§. 17.).

§. 34.
Von der
Zurech-
nung der

Gleicherweiſe iſt offenbahr, daß ſo
wohl die Unwiſſenheit (§. 32.), oder
der Jrthum (§. 33.), wenn beyde haͤt-

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[22/0058] I. Th. 1. H. Vom Unterſchied menſchl. Handl. theile, welches ſich auf die Sache beziehet. Die Unwiſſenheit laͤßt alſo keine ſtill- ſchweigende Genehmhaltung zu (§. 31.), und wenn dieſelbe nicht vermie- den werden konte, ſo entſchuldiget ſie; aber nicht alsdenn, wenn ſie haͤt- te koͤnnen vermieden werden (§. 17.); und dieſe hat einen Einfluß in das Verſehen. §. 33. Die Scholaſticker nennen dieſe Unwiſſen- heit die einfache (ſimplicem); den Jr- thum (errorem) nennen ſie die zuſam- mengeſetzte Unwiſſenheit (ignorantiam compoſitam), da man Begriffe verbindet, welche nicht verbunden werden koͤnnen. Denn der irret, der einen wahren Satz fuͤr einen falſchen haͤlt, und folglich dem Sub- ject entweder eine bejahende, oder verneinen- de Eigenſchafft zueignet, welche demſelben nicht zukommen kann. Daher nennet man den Jrthum, den Mangel der Uebereinſtim- mung des Begriffs mit der Sache; und es iſt klar, daß ein Jrthum, der vermie- den werden kann, einen Einfluß in das Verſehen hat und einen nicht entſchul- diget (§. 17.). §. 34. Gleicherweiſe iſt offenbahr, daß ſo wohl die Unwiſſenheit (§. 32.), oder der Jrthum (§. 33.), wenn beyde haͤt- ten

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/58>, abgerufen am 26.04.2024.