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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Elektricität.
strebt jeder Kreisstrom sich mit ihm in gleiche Ebene zu stellen:
der ganze Cylinder sucht also eine auf y x senkrechte Stellung ein-
zunehmen, indem das Ende N desselben unter die durch N S und x y
gelegte Ebene, das Ende S über diese Ebene sich dreht. Denken wir
uns mit dem Kopf voran im Strom y x schwimmend, so wird N nach
der linken Hand abgelenkt, d. h. das Ende N des elektrodynamischen
Cylinders verhält sich wie der Nordpol, das Ende S wie der Südpol
eines Magneten.

Auch ohne dass ein Strom in seiner Nähe fliesst, nimmt der
elektrodynamische Cylinder schon eine bestimmte Richtung an: es ist
dies, wie sich aus der Drehung, die ein einzelner Kreisstrom erfährt,
leicht ableiten lässt, die Richtung des magnetischen Meridians. Macht
man den Cylinder in seiner Mitte um eine horizontale Axe drehbar,
so ist seine Stellung diejenige der Inclinationsnadel. Werden endlich
zwei elektrodynamische Cylinder wie derjenige in Fig. 233 verfertigt,
so verhalten sich dieselben vollständig zu einander wie zwei Magnete:
ihre gleichnamigen Pole stossen sich ab, ihre ungleichnamigen ziehen
sich an.

Die Eigenschaften des Solenoids führen uns zu einer Vorstellung
über das Wesen der magnetischen Erscheinungen, durch welche die-
selben unmittelbar mit den elektrischen Erscheinungen in Beziehung
gebracht werden. Verhält sich ein Solenoid vollständig wie ein Mag-
net, so liegt es nahe die Eigenschaft des Magneten ebenfalls auf pa-
rallele und gleichgerichtete Kreisströme zurückzuführen. Da man aber
einen Magneten der Länge nach in Theile spalten kann, deren jeder
wieder ein vollständiger Magnet ist, so können wir nicht annehmen,
dass ein Magnet aus einem einzigen System von Kreisströmen bestehe,
sondern wir müssen uns denselben gleichsam aus einer unendlichen
Anzahl unendlich kleiner Solenoide zusammengesetzt denken. Wir
können voraussetzen, jedes einzelne Molecül eines Magneten sei von
einem Elementarstrom umkreist. Haben alle diese Elementarströme,
oder hat auch nur die überwiegende Zahl derselben die gleiche Rich-
tung, so müssen die gleichen Erscheinungen wie am elektrodynami-
schen Cylinder hervortreten. Nur in einem Punkte unterscheidet
sich der letztere von dem Magneten. Das Solenoid zeigt nur magne-
tische Erscheinungen an seinen Polen, der Magnet dagegen zeigt die-
selben bis zu seiner mittleren Indifferenzzone. Nimmt man nun nach
der Theorie an, dass ein Magnet aus unendlich vielen Solenoiden be-
steht, die nur in ihrer überwiegenden Zahl die polare Richtung be-
sitzen, so lässt sich leicht eine solche Anordnung derselben denken,
bei welcher das Verhalten des ganzen Systems mit demjenigen des
Magneten übereinstimmt. Hierin liegt zugleich die Möglichkeit uns
das Verhalten derjenigen Körper zu erklären, welche, wie das Eisen
und der Stahl, erst durch Streichen an einem Magneten die magneti-

Von der Elektricität.
strebt jeder Kreisstrom sich mit ihm in gleiche Ebene zu stellen:
der ganze Cylinder sucht also eine auf y x senkrechte Stellung ein-
zunehmen, indem das Ende N desselben unter die durch N S und x y
gelegte Ebene, das Ende S über diese Ebene sich dreht. Denken wir
uns mit dem Kopf voran im Strom y x schwimmend, so wird N nach
der linken Hand abgelenkt, d. h. das Ende N des elektrodynamischen
Cylinders verhält sich wie der Nordpol, das Ende S wie der Südpol
eines Magneten.

Auch ohne dass ein Strom in seiner Nähe fliesst, nimmt der
elektrodynamische Cylinder schon eine bestimmte Richtung an: es ist
dies, wie sich aus der Drehung, die ein einzelner Kreisstrom erfährt,
leicht ableiten lässt, die Richtung des magnetischen Meridians. Macht
man den Cylinder in seiner Mitte um eine horizontale Axe drehbar,
so ist seine Stellung diejenige der Inclinationsnadel. Werden endlich
zwei elektrodynamische Cylinder wie derjenige in Fig. 233 verfertigt,
so verhalten sich dieselben vollständig zu einander wie zwei Magnete:
ihre gleichnamigen Pole stossen sich ab, ihre ungleichnamigen ziehen
sich an.

Die Eigenschaften des Solenoïds führen uns zu einer Vorstellung
über das Wesen der magnetischen Erscheinungen, durch welche die-
selben unmittelbar mit den elektrischen Erscheinungen in Beziehung
gebracht werden. Verhält sich ein Solenoïd vollständig wie ein Mag-
net, so liegt es nahe die Eigenschaft des Magneten ebenfalls auf pa-
rallele und gleichgerichtete Kreisströme zurückzuführen. Da man aber
einen Magneten der Länge nach in Theile spalten kann, deren jeder
wieder ein vollständiger Magnet ist, so können wir nicht annehmen,
dass ein Magnet aus einem einzigen System von Kreisströmen bestehe,
sondern wir müssen uns denselben gleichsam aus einer unendlichen
Anzahl unendlich kleiner Solenoïde zusammengesetzt denken. Wir
können voraussetzen, jedes einzelne Molecül eines Magneten sei von
einem Elementarstrom umkreist. Haben alle diese Elementarströme,
oder hat auch nur die überwiegende Zahl derselben die gleiche Rich-
tung, so müssen die gleichen Erscheinungen wie am elektrodynami-
schen Cylinder hervortreten. Nur in einem Punkte unterscheidet
sich der letztere von dem Magneten. Das Solenoïd zeigt nur magne-
tische Erscheinungen an seinen Polen, der Magnet dagegen zeigt die-
selben bis zu seiner mittleren Indifferenzzone. Nimmt man nun nach
der Theorie an, dass ein Magnet aus unendlich vielen Solenoïden be-
steht, die nur in ihrer überwiegenden Zahl die polare Richtung be-
sitzen, so lässt sich leicht eine solche Anordnung derselben denken,
bei welcher das Verhalten des ganzen Systems mit demjenigen des
Magneten übereinstimmt. Hierin liegt zugleich die Möglichkeit uns
das Verhalten derjenigen Körper zu erklären, welche, wie das Eisen
und der Stahl, erst durch Streichen an einem Magneten die magneti-

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[518/0540] Von der Elektricität. strebt jeder Kreisstrom sich mit ihm in gleiche Ebene zu stellen: der ganze Cylinder sucht also eine auf y x senkrechte Stellung ein- zunehmen, indem das Ende N desselben unter die durch N S und x y gelegte Ebene, das Ende S über diese Ebene sich dreht. Denken wir uns mit dem Kopf voran im Strom y x schwimmend, so wird N nach der linken Hand abgelenkt, d. h. das Ende N des elektrodynamischen Cylinders verhält sich wie der Nordpol, das Ende S wie der Südpol eines Magneten. Auch ohne dass ein Strom in seiner Nähe fliesst, nimmt der elektrodynamische Cylinder schon eine bestimmte Richtung an: es ist dies, wie sich aus der Drehung, die ein einzelner Kreisstrom erfährt, leicht ableiten lässt, die Richtung des magnetischen Meridians. Macht man den Cylinder in seiner Mitte um eine horizontale Axe drehbar, so ist seine Stellung diejenige der Inclinationsnadel. Werden endlich zwei elektrodynamische Cylinder wie derjenige in Fig. 233 verfertigt, so verhalten sich dieselben vollständig zu einander wie zwei Magnete: ihre gleichnamigen Pole stossen sich ab, ihre ungleichnamigen ziehen sich an. Die Eigenschaften des Solenoïds führen uns zu einer Vorstellung über das Wesen der magnetischen Erscheinungen, durch welche die- selben unmittelbar mit den elektrischen Erscheinungen in Beziehung gebracht werden. Verhält sich ein Solenoïd vollständig wie ein Mag- net, so liegt es nahe die Eigenschaft des Magneten ebenfalls auf pa- rallele und gleichgerichtete Kreisströme zurückzuführen. Da man aber einen Magneten der Länge nach in Theile spalten kann, deren jeder wieder ein vollständiger Magnet ist, so können wir nicht annehmen, dass ein Magnet aus einem einzigen System von Kreisströmen bestehe, sondern wir müssen uns denselben gleichsam aus einer unendlichen Anzahl unendlich kleiner Solenoïde zusammengesetzt denken. Wir können voraussetzen, jedes einzelne Molecül eines Magneten sei von einem Elementarstrom umkreist. Haben alle diese Elementarströme, oder hat auch nur die überwiegende Zahl derselben die gleiche Rich- tung, so müssen die gleichen Erscheinungen wie am elektrodynami- schen Cylinder hervortreten. Nur in einem Punkte unterscheidet sich der letztere von dem Magneten. Das Solenoïd zeigt nur magne- tische Erscheinungen an seinen Polen, der Magnet dagegen zeigt die- selben bis zu seiner mittleren Indifferenzzone. Nimmt man nun nach der Theorie an, dass ein Magnet aus unendlich vielen Solenoïden be- steht, die nur in ihrer überwiegenden Zahl die polare Richtung be- sitzen, so lässt sich leicht eine solche Anordnung derselben denken, bei welcher das Verhalten des ganzen Systems mit demjenigen des Magneten übereinstimmt. Hierin liegt zugleich die Möglichkeit uns das Verhalten derjenigen Körper zu erklären, welche, wie das Eisen und der Stahl, erst durch Streichen an einem Magneten die magneti-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/540>, abgerufen am 26.04.2024.