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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Elektromagnetismus und Diamagnetismus.
tisch zurück. Durch den elektrischen Strom lässt sich also am Eisen
und Stahl dieselbe Veränderung wie durch die Berührung mit einem
[Abbildung] Fig. 240.
natürlichen Magneten hervorbringen. Denkt man
sich, den Magneten ansehend, in dem Strome
schwimmend, so liegt der sich bildende Nord-
pol zur Linken, d. h. die Pole nehmen dieselbe
Richtung an wie die Pole eines fernen Magneten,
der durch den Strom gedreht würde. An dem
Hufeisen in Fig. 240 wird demnach b zum Nord-
pol und a zum Südpol.

Da der Stahl durch den Strom bleibenden Magnetismus annimmt, so bedient
man sich zur Herstellung permanenter Magnete sehr häufig des elektrischen Stroms.
Am zweckmässigsten ist hierzu folgendes Verfahren. Man wickelt einen dicken Kup-
ferdraht in die Form eines hohlen Cylinders, lässt einen Strom durch diesen gehen
und schiebt dann den zu magnetisirenden Stahlstab innerhalb des Cylinders vom einen
bis zum andern Ende auf und ab. Zu sehr starken magnetischen Wirkungen reichen
jedoch auch diese Magnete noch nicht hin, sondern man benützt hierzu eigentliche
Elektromagnete, d. h. temporär magnetisirte Eisenstäbe. Man wendet dieselben ent-
weder in Stab- oder in Hufeisenform an. Will man die Tragfähigkeit des Elektro-
magneten prüfen, so hängt man an dessen Pole ein Stück weiches Eisen, einen s. g.
Anker (A Fig. 240), der eine Wagschale mit Gewichten tragen kann.

Die Stärke des durch den elektrischen Strom in einem Stab weichen Eisens er-
zeugten Magnetismus wächst nach Müller nicht vollkommen proportional der Inten-
sität des Stroms, sondern etwas langsamer. Ferner nimmt bei gleich bleibender Strom-
stärke sowohl mit der Dicke wie mit der Länge der Stäbe der Magnetismus zu. Die
Vertheilung des Magnetismus nach der Länge des Stabes ist die in §. 330 dargelegte.
Zuweilen bedient man sich, um stärkere magnetische Wirkungen zu erzeugen, eines
Bündels aus dünneren Eisenstäben. Ein solches wird stärker magnetisch als ein ein-
ziger Stab von einer dem Bündel gleichen Dicke, weil die magnetisirende Wirkung
des Stroms an der Oberfläche eines jeden Stabes am grössten ist und in der Tiefe
allmälig abnimmt.

Die Magnetisirung durch den Strom und die mit ihr verknüpften
Erscheinungen erklären sich sehr einfach, wenn man auf die früher
(in §. 330) gemachte Annahme, dass die magnetisirbaren Körper (Eisen,
Stahl) aus einer Menge nach den verschiedensten Richtungen gestell-
ter Molecularmagnete zusammengesetzt sind, die Vorstellungen über-
trägt, die wir uns nach den Auseinandersetzungen des vorigen Capitels
von dem Wesen des Magnetismus bilden mussten. Nach denselben
ist jeder Molecularmagnet als ein Solenoid zu betrachten. Lassen wir
nun den Eisenstab von einem Strom umfliessen, so wird dadurch auf
jene Solenoide eine Richtkraft ausgeübt, denn da parallele Ströme sich
anziehen, wenn sie gleiche Richtung haben, so werden die Molecular-
solenoide diejenige Stellung anzunehmen streben, bei der ihre Kreis-
ströme dem äussern Strom parallel sind, d. h. der letztere wird die
unendlich vielen Elementarmagnete ebenso drehen, wie er einen grös-

Elektromagnetismus und Diamagnetismus.
tisch zurück. Durch den elektrischen Strom lässt sich also am Eisen
und Stahl dieselbe Veränderung wie durch die Berührung mit einem
[Abbildung] Fig. 240.
natürlichen Magneten hervorbringen. Denkt man
sich, den Magneten ansehend, in dem Strome
schwimmend, so liegt der sich bildende Nord-
pol zur Linken, d. h. die Pole nehmen dieselbe
Richtung an wie die Pole eines fernen Magneten,
der durch den Strom gedreht würde. An dem
Hufeisen in Fig. 240 wird demnach b zum Nord-
pol und a zum Südpol.

Da der Stahl durch den Strom bleibenden Magnetismus annimmt, so bedient
man sich zur Herstellung permanenter Magnete sehr häufig des elektrischen Stroms.
Am zweckmässigsten ist hierzu folgendes Verfahren. Man wickelt einen dicken Kup-
ferdraht in die Form eines hohlen Cylinders, lässt einen Strom durch diesen gehen
und schiebt dann den zu magnetisirenden Stahlstab innerhalb des Cylinders vom einen
bis zum andern Ende auf und ab. Zu sehr starken magnetischen Wirkungen reichen
jedoch auch diese Magnete noch nicht hin, sondern man benützt hierzu eigentliche
Elektromagnete, d. h. temporär magnetisirte Eisenstäbe. Man wendet dieselben ent-
weder in Stab- oder in Hufeisenform an. Will man die Tragfähigkeit des Elektro-
magneten prüfen, so hängt man an dessen Pole ein Stück weiches Eisen, einen s. g.
Anker (A Fig. 240), der eine Wagschale mit Gewichten tragen kann.

Die Stärke des durch den elektrischen Strom in einem Stab weichen Eisens er-
zeugten Magnetismus wächst nach Müller nicht vollkommen proportional der Inten-
sität des Stroms, sondern etwas langsamer. Ferner nimmt bei gleich bleibender Strom-
stärke sowohl mit der Dicke wie mit der Länge der Stäbe der Magnetismus zu. Die
Vertheilung des Magnetismus nach der Länge des Stabes ist die in §. 330 dargelegte.
Zuweilen bedient man sich, um stärkere magnetische Wirkungen zu erzeugen, eines
Bündels aus dünneren Eisenstäben. Ein solches wird stärker magnetisch als ein ein-
ziger Stab von einer dem Bündel gleichen Dicke, weil die magnetisirende Wirkung
des Stroms an der Oberfläche eines jeden Stabes am grössten ist und in der Tiefe
allmälig abnimmt.

Die Magnetisirung durch den Strom und die mit ihr verknüpften
Erscheinungen erklären sich sehr einfach, wenn man auf die früher
(in §. 330) gemachte Annahme, dass die magnetisirbaren Körper (Eisen,
Stahl) aus einer Menge nach den verschiedensten Richtungen gestell-
ter Molecularmagnete zusammengesetzt sind, die Vorstellungen über-
trägt, die wir uns nach den Auseinandersetzungen des vorigen Capitels
von dem Wesen des Magnetismus bilden mussten. Nach denselben
ist jeder Molecularmagnet als ein Solenoïd zu betrachten. Lassen wir
nun den Eisenstab von einem Strom umfliessen, so wird dadurch auf
jene Solenoïde eine Richtkraft ausgeübt, denn da parallele Ströme sich
anziehen, wenn sie gleiche Richtung haben, so werden die Molecular-
solenoïde diejenige Stellung anzunehmen streben, bei der ihre Kreis-
ströme dem äussern Strom parallel sind, d. h. der letztere wird die
unendlich vielen Elementarmagnete ebenso drehen, wie er einen grös-

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[527/0549] Elektromagnetismus und Diamagnetismus. tisch zurück. Durch den elektrischen Strom lässt sich also am Eisen und Stahl dieselbe Veränderung wie durch die Berührung mit einem [Abbildung Fig. 240.] natürlichen Magneten hervorbringen. Denkt man sich, den Magneten ansehend, in dem Strome schwimmend, so liegt der sich bildende Nord- pol zur Linken, d. h. die Pole nehmen dieselbe Richtung an wie die Pole eines fernen Magneten, der durch den Strom gedreht würde. An dem Hufeisen in Fig. 240 wird demnach b zum Nord- pol und a zum Südpol. Da der Stahl durch den Strom bleibenden Magnetismus annimmt, so bedient man sich zur Herstellung permanenter Magnete sehr häufig des elektrischen Stroms. Am zweckmässigsten ist hierzu folgendes Verfahren. Man wickelt einen dicken Kup- ferdraht in die Form eines hohlen Cylinders, lässt einen Strom durch diesen gehen und schiebt dann den zu magnetisirenden Stahlstab innerhalb des Cylinders vom einen bis zum andern Ende auf und ab. Zu sehr starken magnetischen Wirkungen reichen jedoch auch diese Magnete noch nicht hin, sondern man benützt hierzu eigentliche Elektromagnete, d. h. temporär magnetisirte Eisenstäbe. Man wendet dieselben ent- weder in Stab- oder in Hufeisenform an. Will man die Tragfähigkeit des Elektro- magneten prüfen, so hängt man an dessen Pole ein Stück weiches Eisen, einen s. g. Anker (A Fig. 240), der eine Wagschale mit Gewichten tragen kann. Die Stärke des durch den elektrischen Strom in einem Stab weichen Eisens er- zeugten Magnetismus wächst nach Müller nicht vollkommen proportional der Inten- sität des Stroms, sondern etwas langsamer. Ferner nimmt bei gleich bleibender Strom- stärke sowohl mit der Dicke wie mit der Länge der Stäbe der Magnetismus zu. Die Vertheilung des Magnetismus nach der Länge des Stabes ist die in §. 330 dargelegte. Zuweilen bedient man sich, um stärkere magnetische Wirkungen zu erzeugen, eines Bündels aus dünneren Eisenstäben. Ein solches wird stärker magnetisch als ein ein- ziger Stab von einer dem Bündel gleichen Dicke, weil die magnetisirende Wirkung des Stroms an der Oberfläche eines jeden Stabes am grössten ist und in der Tiefe allmälig abnimmt. Die Magnetisirung durch den Strom und die mit ihr verknüpften Erscheinungen erklären sich sehr einfach, wenn man auf die früher (in §. 330) gemachte Annahme, dass die magnetisirbaren Körper (Eisen, Stahl) aus einer Menge nach den verschiedensten Richtungen gestell- ter Molecularmagnete zusammengesetzt sind, die Vorstellungen über- trägt, die wir uns nach den Auseinandersetzungen des vorigen Capitels von dem Wesen des Magnetismus bilden mussten. Nach denselben ist jeder Molecularmagnet als ein Solenoïd zu betrachten. Lassen wir nun den Eisenstab von einem Strom umfliessen, so wird dadurch auf jene Solenoïde eine Richtkraft ausgeübt, denn da parallele Ströme sich anziehen, wenn sie gleiche Richtung haben, so werden die Molecular- solenoïde diejenige Stellung anzunehmen streben, bei der ihre Kreis- ströme dem äussern Strom parallel sind, d. h. der letztere wird die unendlich vielen Elementarmagnete ebenso drehen, wie er einen grös-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/549>, abgerufen am 26.04.2024.