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Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764].

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Der Morgen.
Und dies nennet man Welt? Dies heißt Erziehung?
O Name,

Lügender Name! Wie scheitert durch dich die Tugend
und Keuschheit

Bey so vieler Gefahr, die unter der Sicherheit lauschet!
O wie bist du, Germanien, nicht verdorben, vergiftet,
Von der gallischen Pest! Die glücklichen güldenen Zei-
ten,

Da du mit deinen männlichen Sitten der Wollust den
Eingang

Wehrtest, und Trug nicht und List die Herzen. der Für-
sten entweihte,

Diese Zeiten sind leider nicht mehr! Denn damals war
Tugend

Noch kein nichtsbedeutender Name. Die himmlische
Keuschheit

Gieng, im hohen Gefolge von reinen eigenen Sitten,
Unter deinen Töchtern einher. Die Chöre der Jung-
fraun,

Und der Jünglinge Schaar erhub sie in Hymnen. Kein
Laster

Hatte sich damals, wie jetzt, in lachende Namen ver-
kleidet;

Keine Galanterie schlich um das Ehbett. Die wahre
Treueste Redlichkeit nannte man damals die deutsche;
nie ward sie

Von
C 3

Der Morgen.
Und dies nennet man Welt? Dies heißt Erziehung?
O Name,

Luͤgender Name! Wie ſcheitert durch dich die Tugend
und Keuſchheit

Bey ſo vieler Gefahr, die unter der Sicherheit lauſchet!
O wie biſt du, Germanien, nicht verdorben, vergiftet,
Von der galliſchen Peſt! Die gluͤcklichen guͤldenen Zei-
ten,

Da du mit deinen maͤnnlichen Sitten der Wolluſt den
Eingang

Wehrteſt, und Trug nicht und Liſt die Herzen. der Fuͤr-
ſten entweihte,

Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr! Denn damals war
Tugend

Noch kein nichtsbedeutender Name. Die himmliſche
Keuſchheit

Gieng, im hohen Gefolge von reinen eigenen Sitten,
Unter deinen Toͤchtern einher. Die Choͤre der Jung-
fraun,

Und der Juͤnglinge Schaar erhub ſie in Hymnen. Kein
Laſter

Hatte ſich damals, wie jetzt, in lachende Namen ver-
kleidet;

Keine Galanterie ſchlich um das Ehbett. Die wahre
Treueſte Redlichkeit nannte man damals die deutſche;
nie ward ſie

Von
C 3
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[37/0045] Der Morgen. Und dies nennet man Welt? Dies heißt Erziehung? O Name, Luͤgender Name! Wie ſcheitert durch dich die Tugend und Keuſchheit Bey ſo vieler Gefahr, die unter der Sicherheit lauſchet! O wie biſt du, Germanien, nicht verdorben, vergiftet, Von der galliſchen Peſt! Die gluͤcklichen guͤldenen Zei- ten, Da du mit deinen maͤnnlichen Sitten der Wolluſt den Eingang Wehrteſt, und Trug nicht und Liſt die Herzen. der Fuͤr- ſten entweihte, Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr! Denn damals war Tugend Noch kein nichtsbedeutender Name. Die himmliſche Keuſchheit Gieng, im hohen Gefolge von reinen eigenen Sitten, Unter deinen Toͤchtern einher. Die Choͤre der Jung- fraun, Und der Juͤnglinge Schaar erhub ſie in Hymnen. Kein Laſter Hatte ſich damals, wie jetzt, in lachende Namen ver- kleidet; Keine Galanterie ſchlich um das Ehbett. Die wahre Treueſte Redlichkeit nannte man damals die deutſche; nie ward ſie Von C 3

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Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764], S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764/45>, abgerufen am 27.04.2024.