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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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Sechste Vorlesung.


Wärme, die bei Aenderung des Aggregatzustandes
latent wird
.

Weit besser als die zuletzt angeführten Erscheinungen lassen
sich diejenigen erklären, die mit dem Flüssigwerden des Eises und
mit der Verwandelung des Wassers in Dampf verbunden sind.
Wenn man an sehr kalten Tagen ein Thermometer, das ganz von
Eis umgeben ist, beobachtet, so steht es oft sehr tief unter dem
Nullpuncte; bringt man es so in einen wärmeren Raum, so
wird das Eis erwärmt und das Thermometer steigt bis es den
Nullpunct erreicht hat, dann aber zeigt es, obgleich immer neue
Wärme zufließt, keine Temperatur-Erhöhung an während das
Eis schmilzt, sondern das Thermometer bleibt auf Null bis sich
das gesammte Eis in Wasser verwandelt hat. Offenbar ist also
ein Aufwand von Wärme nöthig, um aus Eis Wasser zu machen,
und die während der ganzen Zeit des Schmelzens zuströmende
Wärme wird auf diese Form-Aenderung, auf diese Aenderung des
Aggregatzustandes, verwandt. Auf ähnliche Weise wird Wärme
gebunden, um Wasser in Dämpfe zu verwandeln, und sowohl jener
als dieser Wärme-Aufwand hat seine genau bestimmte Größe, die
man in folgenden Zahlen übersehen kann. Nimmt man eine Eis-
masse von - 10 Gr. Cent. und bringt diese an ein immer gleich
erwärmendes Feuer, das gerade so gewählt ist, daß in 4 Minuten
die Temperatur des Eises bis 0° steigt, so sollte man erwarten,
daß in den folgenden 4 Minuten ein neues Steigen des Thermo-
meters bis auf + 10° statt finden werde, aber das erfolgt nicht,
sondern 30 Minuten lang kann jene Wärme gleichförmig zuströ-
men, ohne etwas anders als die völlige Schmelzung des Eises zu
bewirken. Sobald alles Eis in Wasser verwandelt ist, steigt das
mit Wasser umgebene Thermometer in 40 Minuten bis zum Koch-
puncte, bleibt aber, während das Wasser kocht, hier wieder stehen,
und 210 Minuten lang ändert sich die Temperatur des Wassers

Sechste Vorleſung.


Waͤrme, die bei Aenderung des Aggregatzuſtandes
latent wird
.

Weit beſſer als die zuletzt angefuͤhrten Erſcheinungen laſſen
ſich diejenigen erklaͤren, die mit dem Fluͤſſigwerden des Eiſes und
mit der Verwandelung des Waſſers in Dampf verbunden ſind.
Wenn man an ſehr kalten Tagen ein Thermometer, das ganz von
Eis umgeben iſt, beobachtet, ſo ſteht es oft ſehr tief unter dem
Nullpuncte; bringt man es ſo in einen waͤrmeren Raum, ſo
wird das Eis erwaͤrmt und das Thermometer ſteigt bis es den
Nullpunct erreicht hat, dann aber zeigt es, obgleich immer neue
Waͤrme zufließt, keine Temperatur-Erhoͤhung an waͤhrend das
Eis ſchmilzt, ſondern das Thermometer bleibt auf Null bis ſich
das geſammte Eis in Waſſer verwandelt hat. Offenbar iſt alſo
ein Aufwand von Waͤrme noͤthig, um aus Eis Waſſer zu machen,
und die waͤhrend der ganzen Zeit des Schmelzens zuſtroͤmende
Waͤrme wird auf dieſe Form-Aenderung, auf dieſe Aenderung des
Aggregatzuſtandes, verwandt. Auf aͤhnliche Weiſe wird Waͤrme
gebunden, um Waſſer in Daͤmpfe zu verwandeln, und ſowohl jener
als dieſer Waͤrme-Aufwand hat ſeine genau beſtimmte Groͤße, die
man in folgenden Zahlen uͤberſehen kann. Nimmt man eine Eis-
maſſe von - 10 Gr. Cent. und bringt dieſe an ein immer gleich
erwaͤrmendes Feuer, das gerade ſo gewaͤhlt iſt, daß in 4 Minuten
die Temperatur des Eiſes bis 0° ſteigt, ſo ſollte man erwarten,
daß in den folgenden 4 Minuten ein neues Steigen des Thermo-
meters bis auf + 10° ſtatt finden werde, aber das erfolgt nicht,
ſondern 30 Minuten lang kann jene Waͤrme gleichfoͤrmig zuſtroͤ-
men, ohne etwas anders als die voͤllige Schmelzung des Eiſes zu
bewirken. Sobald alles Eis in Waſſer verwandelt iſt, ſteigt das
mit Waſſer umgebene Thermometer in 40 Minuten bis zum Koch-
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und 210 Minuten lang aͤndert ſich die Temperatur des Waſſers

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[85/0099] Sechste Vorleſung. Waͤrme, die bei Aenderung des Aggregatzuſtandes latent wird. Weit beſſer als die zuletzt angefuͤhrten Erſcheinungen laſſen ſich diejenigen erklaͤren, die mit dem Fluͤſſigwerden des Eiſes und mit der Verwandelung des Waſſers in Dampf verbunden ſind. Wenn man an ſehr kalten Tagen ein Thermometer, das ganz von Eis umgeben iſt, beobachtet, ſo ſteht es oft ſehr tief unter dem Nullpuncte; bringt man es ſo in einen waͤrmeren Raum, ſo wird das Eis erwaͤrmt und das Thermometer ſteigt bis es den Nullpunct erreicht hat, dann aber zeigt es, obgleich immer neue Waͤrme zufließt, keine Temperatur-Erhoͤhung an waͤhrend das Eis ſchmilzt, ſondern das Thermometer bleibt auf Null bis ſich das geſammte Eis in Waſſer verwandelt hat. Offenbar iſt alſo ein Aufwand von Waͤrme noͤthig, um aus Eis Waſſer zu machen, und die waͤhrend der ganzen Zeit des Schmelzens zuſtroͤmende Waͤrme wird auf dieſe Form-Aenderung, auf dieſe Aenderung des Aggregatzuſtandes, verwandt. Auf aͤhnliche Weiſe wird Waͤrme gebunden, um Waſſer in Daͤmpfe zu verwandeln, und ſowohl jener als dieſer Waͤrme-Aufwand hat ſeine genau beſtimmte Groͤße, die man in folgenden Zahlen uͤberſehen kann. Nimmt man eine Eis- maſſe von - 10 Gr. Cent. und bringt dieſe an ein immer gleich erwaͤrmendes Feuer, das gerade ſo gewaͤhlt iſt, daß in 4 Minuten die Temperatur des Eiſes bis 0° ſteigt, ſo ſollte man erwarten, daß in den folgenden 4 Minuten ein neues Steigen des Thermo- meters bis auf + 10° ſtatt finden werde, aber das erfolgt nicht, ſondern 30 Minuten lang kann jene Waͤrme gleichfoͤrmig zuſtroͤ- men, ohne etwas anders als die voͤllige Schmelzung des Eiſes zu bewirken. Sobald alles Eis in Waſſer verwandelt iſt, ſteigt das mit Waſſer umgebene Thermometer in 40 Minuten bis zum Koch- puncte, bleibt aber, waͤhrend das Waſſer kocht, hier wieder ſtehen, und 210 Minuten lang aͤndert ſich die Temperatur des Waſſers

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/99>, abgerufen am 26.04.2024.