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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Staub vergehn und vergessen werden, sich zu erheben, sich
Unvergänglichkeit zu erkämpfen wagten, solche Männer sind
es, die gleich Meteoren aus dem Dunkel des menschlichen
Elends und Verderbens hervorstrahlen. Sie durchkreuzen
wie Kometen die Bahn der Jahrhunderte; so wenig die
Sternkunde den Einfluß der einen, ebenso wenig kann die
Politik den der andern berechnen. In ihrem excentrischen
Laufe scheinen sie nur Irrbahnen zu beschreiben, bis die
großen Wirkungen dieser Phänomene beweisen, daß ihre Er-
scheinung lange vorher durch jene Vorsehung angeordnet war,
deren Gesetze eben so unerforschlich, als unabänderlich sind.
-- Jedes Zeitalter kann uns Beispiele solcher Männer auf-
weisen, doch alle waren von jeher der verschiedenartigsten
Beurtheilung unterworfen. Die Ursache hiervon ist, daß jede
Zeit ihren Maaßstab an die Helden der Gegenwart oder
Vergangenheit legt, daß sie nicht richtet nach dem eigentlichen
Werthe dieser Männer. Für einen Riesen aber paßt nicht
das Maaß eines Zwerges; eine kleine Zeit darf nicht einen
Mann nach sich beurtheilen wollen, von dem sie nicht einen
Gedanken fassen und ertragen könnte. Wer will dem Adler
die Bahn vorschreiben, wenn er die Schwingen entfaltet und
stürmischen Flugs sich zu den Sternen erhebt? Wer will
die zerknickten Blumen zählen, wenn der Sturm über die
Erde braust und die Nebel zerreißt, die dumpfbrütend über
dem Leben liegen? Wer will nach den Meinungen und
Motiven eines Kindes wägen und verdammen, wenn Un-
geheures geschieht, wo es sich um Ungeheures handelt? Die
Lehre davon ist: man darf die Ereignisse und ihre Wirkungen
nicht beurtheilen, wie sie äußerlich sich darstellen, sondern

Staub vergehn und vergeſſen werden, ſich zu erheben, ſich
Unvergänglichkeit zu erkämpfen wagten, ſolche Männer ſind
es, die gleich Meteoren aus dem Dunkel des menſchlichen
Elends und Verderbens hervorſtrahlen. Sie durchkreuzen
wie Kometen die Bahn der Jahrhunderte; ſo wenig die
Sternkunde den Einfluß der einen, ebenſo wenig kann die
Politik den der andern berechnen. In ihrem excentriſchen
Laufe ſcheinen ſie nur Irrbahnen zu beſchreiben, bis die
großen Wirkungen dieſer Phänomene beweiſen, daß ihre Er-
ſcheinung lange vorher durch jene Vorſehung angeordnet war,
deren Geſetze eben ſo unerforſchlich, als unabänderlich ſind.
— Jedes Zeitalter kann uns Beiſpiele ſolcher Männer auf-
weiſen, doch alle waren von jeher der verſchiedenartigſten
Beurtheilung unterworfen. Die Urſache hiervon iſt, daß jede
Zeit ihren Maaßſtab an die Helden der Gegenwart oder
Vergangenheit legt, daß ſie nicht richtet nach dem eigentlichen
Werthe dieſer Männer. Für einen Rieſen aber paßt nicht
das Maaß eines Zwerges; eine kleine Zeit darf nicht einen
Mann nach ſich beurtheilen wollen, von dem ſie nicht einen
Gedanken faſſen und ertragen könnte. Wer will dem Adler
die Bahn vorſchreiben, wenn er die Schwingen entfaltet und
ſtürmiſchen Flugs ſich zu den Sternen erhebt? Wer will
die zerknickten Blumen zählen, wenn der Sturm über die
Erde brauſt und die Nebel zerreißt, die dumpfbrütend über
dem Leben liegen? Wer will nach den Meinungen und
Motiven eines Kindes wägen und verdammen, wenn Un-
geheures geſchieht, wo es ſich um Ungeheures handelt? Die
Lehre davon iſt: man darf die Ereigniſſe und ihre Wirkungen
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[399/0595] Staub vergehn und vergeſſen werden, ſich zu erheben, ſich Unvergänglichkeit zu erkämpfen wagten, ſolche Männer ſind es, die gleich Meteoren aus dem Dunkel des menſchlichen Elends und Verderbens hervorſtrahlen. Sie durchkreuzen wie Kometen die Bahn der Jahrhunderte; ſo wenig die Sternkunde den Einfluß der einen, ebenſo wenig kann die Politik den der andern berechnen. In ihrem excentriſchen Laufe ſcheinen ſie nur Irrbahnen zu beſchreiben, bis die großen Wirkungen dieſer Phänomene beweiſen, daß ihre Er- ſcheinung lange vorher durch jene Vorſehung angeordnet war, deren Geſetze eben ſo unerforſchlich, als unabänderlich ſind. — Jedes Zeitalter kann uns Beiſpiele ſolcher Männer auf- weiſen, doch alle waren von jeher der verſchiedenartigſten Beurtheilung unterworfen. Die Urſache hiervon iſt, daß jede Zeit ihren Maaßſtab an die Helden der Gegenwart oder Vergangenheit legt, daß ſie nicht richtet nach dem eigentlichen Werthe dieſer Männer. Für einen Rieſen aber paßt nicht das Maaß eines Zwerges; eine kleine Zeit darf nicht einen Mann nach ſich beurtheilen wollen, von dem ſie nicht einen Gedanken faſſen und ertragen könnte. Wer will dem Adler die Bahn vorſchreiben, wenn er die Schwingen entfaltet und ſtürmiſchen Flugs ſich zu den Sternen erhebt? Wer will die zerknickten Blumen zählen, wenn der Sturm über die Erde brauſt und die Nebel zerreißt, die dumpfbrütend über dem Leben liegen? Wer will nach den Meinungen und Motiven eines Kindes wägen und verdammen, wenn Un- geheures geſchieht, wo es ſich um Ungeheures handelt? Die Lehre davon iſt: man darf die Ereigniſſe und ihre Wirkungen nicht beurtheilen, wie ſie äußerlich ſich darſtellen, ſondern

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/595>, abgerufen am 19.03.2024.