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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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und Gartenland umspannt. Was jetzt Wiese und Garten ist,
das war vor 700 Jahren ein eichenbestandener Sumpf, und
inmitten dieses Sumpfes wuchs Kloster Lehnin auf, vielleicht im
Einklang mit jenem Ordensgesetz aus der ersten strengen Zeit:
daß die Klöster von Cisterz immer in Sümpfen und Niederungen,
d. h. in ungesunden Gegenden gebaut werden sollten, damit
die Brüder dieses Ordens jederzeit den Tod vor Augen hätten.*)

Die Sage von der Erbauung Kloster Lehnin's nimmt jedoch
keine solche allgemeine Ordensregel in Aussicht, sondern führt
die Gründung desselben auf einen bestimmten Vorgang zurück.
Diesen Vorgang erzählt der böhmische Schriftsteller Pulcava
(wie er ausdrücklich beifügt, "nach einer brandenburgischen
Chronik") wie folgt: Otto I., der Sohn Albrecht des
Bären, jagte einen Tag lang in den dichten Waldrevieren der
Zauche, und warf sich endlich müd und matt an eben der Stelle
nieder, wo später Kloster Lehnin erbaut wurde. Er schlief ein
und hatte eine Vision. Er sah im Traum eine Hirschkuh, die
ihn ohne Unterlaß belästigte; endlich ergriff er Bogen und Pfeil
und schoß sie nieder. Als er erwachte, und seinen Traum
erzählte, drangen die Seinen in ihn, daß er an dieser Stelle
eine Burg gegen die heidnischen Slaven errichten solle; -- die
andrängende, immer lästiger werdende Hirschkuh erschien ihnen

*) Der Orden, ohne geradezu in Ascese zu verfallen, war doch in
den ersten 50 Jahren seines Bestehens überall rigorös, und unterschied
sich auch dadurch von den Benediktinern, die, gestützt auf die Unterwei-
sungen des heiligen Benedikt selber, diesen Rigorismus vermieden.
Schon im 10. Jahrhundert hieß es deshalb spöttisch: "die Regel des
heiligen Benedikt scheine für schwächliche Leute geschrieben." Die
Gründer des Cistercienser-Ordens gingen von einer verwandten An-
schauung aus, und aus der ersten Zeit des Ordens her finden sich fol-
gende Vorschriften:
1) Die Unterlage des Bettes ist Stroh. Polster sind untersagt.
2) Als Speise dienen gekochte Gemüse, darunter Buchenblätter.
Kein Fleisch.

3) In der Kirche soll sich ein offenes Grab befinden, um an die Hin-
fälligkeit des Daseins zu mahnen.

und Gartenland umſpannt. Was jetzt Wieſe und Garten iſt,
das war vor 700 Jahren ein eichenbeſtandener Sumpf, und
inmitten dieſes Sumpfes wuchs Kloſter Lehnin auf, vielleicht im
Einklang mit jenem Ordensgeſetz aus der erſten ſtrengen Zeit:
daß die Klöſter von Ciſterz immer in Sümpfen und Niederungen,
d. h. in ungeſunden Gegenden gebaut werden ſollten, damit
die Brüder dieſes Ordens jederzeit den Tod vor Augen hätten.*)

Die Sage von der Erbauung Kloſter Lehnin’s nimmt jedoch
keine ſolche allgemeine Ordensregel in Ausſicht, ſondern führt
die Gründung deſſelben auf einen beſtimmten Vorgang zurück.
Dieſen Vorgang erzählt der böhmiſche Schriftſteller Pulcava
(wie er ausdrücklich beifügt, „nach einer brandenburgiſchen
Chronik“) wie folgt: Otto I., der Sohn Albrecht des
Bären, jagte einen Tag lang in den dichten Waldrevieren der
Zauche, und warf ſich endlich müd und matt an eben der Stelle
nieder, wo ſpäter Kloſter Lehnin erbaut wurde. Er ſchlief ein
und hatte eine Viſion. Er ſah im Traum eine Hirſchkuh, die
ihn ohne Unterlaß beläſtigte; endlich ergriff er Bogen und Pfeil
und ſchoß ſie nieder. Als er erwachte, und ſeinen Traum
erzählte, drangen die Seinen in ihn, daß er an dieſer Stelle
eine Burg gegen die heidniſchen Slaven errichten ſolle; — die
andrängende, immer läſtiger werdende Hirſchkuh erſchien ihnen

*) Der Orden, ohne geradezu in Asceſe zu verfallen, war doch in
den erſten 50 Jahren ſeines Beſtehens überall rigorös, und unterſchied
ſich auch dadurch von den Benediktinern, die, geſtützt auf die Unterwei-
ſungen des heiligen Benedikt ſelber, dieſen Rigorismus vermieden.
Schon im 10. Jahrhundert hieß es deshalb ſpöttiſch: „die Regel des
heiligen Benedikt ſcheine für ſchwächliche Leute geſchrieben.“ Die
Gründer des Ciſtercienſer-Ordens gingen von einer verwandten An-
ſchauung aus, und aus der erſten Zeit des Ordens her finden ſich fol-
gende Vorſchriften:
1) Die Unterlage des Bettes iſt Stroh. Polſter ſind unterſagt.
2) Als Speiſe dienen gekochte Gemüſe, darunter Buchenblätter.
Kein Fleiſch.

3) In der Kirche ſoll ſich ein offenes Grab befinden, um an die Hin-
fälligkeit des Daſeins zu mahnen.
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[74/0092] und Gartenland umſpannt. Was jetzt Wieſe und Garten iſt, das war vor 700 Jahren ein eichenbeſtandener Sumpf, und inmitten dieſes Sumpfes wuchs Kloſter Lehnin auf, vielleicht im Einklang mit jenem Ordensgeſetz aus der erſten ſtrengen Zeit: daß die Klöſter von Ciſterz immer in Sümpfen und Niederungen, d. h. in ungeſunden Gegenden gebaut werden ſollten, damit die Brüder dieſes Ordens jederzeit den Tod vor Augen hätten. *) Die Sage von der Erbauung Kloſter Lehnin’s nimmt jedoch keine ſolche allgemeine Ordensregel in Ausſicht, ſondern führt die Gründung deſſelben auf einen beſtimmten Vorgang zurück. Dieſen Vorgang erzählt der böhmiſche Schriftſteller Pulcava (wie er ausdrücklich beifügt, „nach einer brandenburgiſchen Chronik“) wie folgt: Otto I., der Sohn Albrecht des Bären, jagte einen Tag lang in den dichten Waldrevieren der Zauche, und warf ſich endlich müd und matt an eben der Stelle nieder, wo ſpäter Kloſter Lehnin erbaut wurde. Er ſchlief ein und hatte eine Viſion. Er ſah im Traum eine Hirſchkuh, die ihn ohne Unterlaß beläſtigte; endlich ergriff er Bogen und Pfeil und ſchoß ſie nieder. Als er erwachte, und ſeinen Traum erzählte, drangen die Seinen in ihn, daß er an dieſer Stelle eine Burg gegen die heidniſchen Slaven errichten ſolle; — die andrängende, immer läſtiger werdende Hirſchkuh erſchien ihnen *) Der Orden, ohne geradezu in Asceſe zu verfallen, war doch in den erſten 50 Jahren ſeines Beſtehens überall rigorös, und unterſchied ſich auch dadurch von den Benediktinern, die, geſtützt auf die Unterwei- ſungen des heiligen Benedikt ſelber, dieſen Rigorismus vermieden. Schon im 10. Jahrhundert hieß es deshalb ſpöttiſch: „die Regel des heiligen Benedikt ſcheine für ſchwächliche Leute geſchrieben.“ Die Gründer des Ciſtercienſer-Ordens gingen von einer verwandten An- ſchauung aus, und aus der erſten Zeit des Ordens her finden ſich fol- gende Vorſchriften: 1) Die Unterlage des Bettes iſt Stroh. Polſter ſind unterſagt. 2) Als Speiſe dienen gekochte Gemüſe, darunter Buchenblätter. Kein Fleiſch. 3) In der Kirche ſoll ſich ein offenes Grab befinden, um an die Hin- fälligkeit des Daſeins zu mahnen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/92>, abgerufen am 27.04.2024.