Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

in der menschlichen Seele aufgestellte Tafel, auf welcher dann
durch äußeres Licht oder durch innere Reize weiße und bunte
Bilder gemalt und wieder weggewischt werden. Je dicker das
Weiß und die Farben aufgetragen werden, desto heller erscheint
das Weiß, desto gesättigter die Farben und desto weniger scheint
der schwarze Grund durch. Im Übrigen hat man sich um diese
schwarze Tafel nicht weiter gekümmert, sondern nur die Bilder
auf derselben studirt.

Nun lehrt aber die unbefangene Analyse der Gesichtsem-
pfindungen, daß das Schwarz oder Dunkel ganz ebenso variabel
ist, als das Weiß oder Hell, und daß die eine Empfindung durch-
aus dieselbe Berücksichtigung verdient wie die andere. Bedenkt
man dazu, daß, wie soeben gezeigt wurde, nicht blos die weiße
sondern auch die schwarze Empfindung eine Function der Be-
leuchtung der Netzhaut ist, so ergibt sich die Nothwendigkeit,
dem psychophysischen Zustande oder Processe, welcher der Em-
pfindung des Schwarzen entspricht, dasselbe Interesse zuzuwen-
den, wie dem andern, welcher die Empfindung des Hellen bedingt.

§. 24.
Über Hell und Dunkel, verglichen mit Weiß und
Schwarz
.

Mit Absicht habe ich im Obigen die Worte Weiß und Hell,
Schwarz und Dunkel als ganz gleichwerthige benützt, obwohl
sie dies nach dem Sprachgebrauche nicht durchaus sind. Treffend
bemerkt Helmholtz, 1) daß wir immer "die Neigung haben zu
trennen, was in der Farbe oder dem Aussehen eines Körpers von
der Beleuchtung und was von der Eigenthümlichkeit des Körpers
selbst herrührt". Dem entsprechend pflegen wir die Worte hell
und licht, dunkel und finster vorherrschend, wenn auch durchaus
nicht immer, in Bezug auf die Art der Beleuchtung, die Worte
weiß, grau und schwarz in Bezug auf die Eigenschaften der so
erscheinenden Außendinge anzuwenden.

Wenn auf einen Theil eines weißen Papiers ein Schatten
fällt, so nennen wir den beschatteten Theil nicht grau, sondern
dunkler, obwohl das Licht, welches er aussendet, genau dieselbe

1) Physiol. Optik. S. 287.

in der menschlichen Seele aufgestellte Tafel, auf welcher dann
durch äußeres Licht oder durch innere Reize weiße und bunte
Bilder gemalt und wieder weggewischt werden. Je dicker das
Weiß und die Farben aufgetragen werden, desto heller erscheint
das Weiß, desto gesättigter die Farben und desto weniger scheint
der schwarze Grund durch. Im Übrigen hat man sich um diese
schwarze Tafel nicht weiter gekümmert, sondern nur die Bilder
auf derselben studirt.

Nun lehrt aber die unbefangene Analyse der Gesichtsem-
pfindungen, daß das Schwarz oder Dunkel ganz ebenso variabel
ist, als das Weiß oder Hell, und daß die eine Empfindung durch-
aus dieselbe Berücksichtigung verdient wie die andere. Bedenkt
man dazu, daß, wie soeben gezeigt wurde, nicht blos die weiße
sondern auch die schwarze Empfindung eine Function der Be-
leuchtung der Netzhaut ist, so ergibt sich die Nothwendigkeit,
dem psychophysischen Zustande oder Processe, welcher der Em-
pfindung des Schwarzen entspricht, dasselbe Interesse zuzuwen-
den, wie dem andern, welcher die Empfindung des Hellen bedingt.

§. 24.
Über Hell und Dunkel, verglichen mit Weiß und
Schwarz
.

Mit Absicht habe ich im Obigen die Worte Weiß und Hell,
Schwarz und Dunkel als ganz gleichwerthige benützt, obwohl
sie dies nach dem Sprachgebrauche nicht durchaus sind. Treffend
bemerkt Helmholtz, 1) daß wir immer „die Neigung haben zu
trennen, was in der Farbe oder dem Aussehen eines Körpers von
der Beleuchtung und was von der Eigenthümlichkeit des Körpers
selbst herrührt“. Dem entsprechend pflegen wir die Worte hell
und licht, dunkel und finster vorherrschend, wenn auch durchaus
nicht immer, in Bezug auf die Art der Beleuchtung, die Worte
weiß, grau und schwarz in Bezug auf die Eigenschaften der so
erscheinenden Außendinge anzuwenden.

Wenn auf einen Theil eines weißen Papiers ein Schatten
fällt, so nennen wir den beschatteten Theil nicht grau, sondern
dunkler, obwohl das Licht, welches er aussendet, genau dieselbe

1) Physiol. Optik. S. 287.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0074" n="66"/>
in der menschlichen Seele aufgestellte Tafel, auf welcher dann<lb/>
durch äußeres Licht oder durch innere Reize weiße und bunte<lb/>
Bilder gemalt und wieder weggewischt werden. Je dicker das<lb/>
Weiß und die Farben aufgetragen werden, desto heller erscheint<lb/>
das Weiß, desto gesättigter die Farben und desto weniger scheint<lb/>
der schwarze Grund durch. Im Übrigen hat man sich um diese<lb/>
schwarze Tafel nicht weiter gekümmert, sondern nur die Bilder<lb/>
auf derselben studirt.</p><lb/>
          <p>Nun lehrt aber die unbefangene Analyse der Gesichtsem-<lb/>
pfindungen, daß das Schwarz oder Dunkel ganz ebenso variabel<lb/>
ist, als das Weiß oder Hell, und daß die eine Empfindung durch-<lb/>
aus dieselbe Berücksichtigung verdient wie die andere. Bedenkt<lb/>
man dazu, daß, wie soeben gezeigt wurde, nicht blos die weiße<lb/>
sondern auch die schwarze Empfindung eine Function der Be-<lb/>
leuchtung der Netzhaut ist, so ergibt sich die Nothwendigkeit,<lb/>
dem psychophysischen Zustande oder Processe, welcher der Em-<lb/>
pfindung des Schwarzen entspricht, dasselbe Interesse zuzuwen-<lb/>
den, wie dem andern, welcher die Empfindung des Hellen bedingt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 24.<lb/><hi rendition="#g">Über Hell und Dunkel, verglichen mit Weiß und<lb/>
Schwarz</hi>.</head><lb/>
          <p>Mit Absicht habe ich im Obigen die Worte Weiß und Hell,<lb/>
Schwarz und Dunkel als ganz gleichwerthige benützt, obwohl<lb/>
sie dies nach dem Sprachgebrauche nicht durchaus sind. Treffend<lb/>
bemerkt <hi rendition="#g">Helmholtz</hi>, <note place="foot" n="1)">Physiol. Optik. S. 287.</note> daß wir immer &#x201E;die Neigung haben zu<lb/>
trennen, was in der Farbe oder dem Aussehen eines Körpers von<lb/>
der Beleuchtung und was von der Eigenthümlichkeit des Körpers<lb/>
selbst herrührt&#x201C;. Dem entsprechend pflegen wir die Worte hell<lb/>
und licht, dunkel und finster vorherrschend, wenn auch durchaus<lb/>
nicht immer, in Bezug auf die Art der Beleuchtung, die Worte<lb/>
weiß, grau und schwarz in Bezug auf die Eigenschaften der so<lb/>
erscheinenden Außendinge anzuwenden.</p><lb/>
          <p>Wenn auf einen Theil eines weißen Papiers ein Schatten<lb/>
fällt, so nennen wir den beschatteten Theil nicht grau, sondern<lb/>
dunkler, obwohl das Licht, welches er aussendet, genau dieselbe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0074] in der menschlichen Seele aufgestellte Tafel, auf welcher dann durch äußeres Licht oder durch innere Reize weiße und bunte Bilder gemalt und wieder weggewischt werden. Je dicker das Weiß und die Farben aufgetragen werden, desto heller erscheint das Weiß, desto gesättigter die Farben und desto weniger scheint der schwarze Grund durch. Im Übrigen hat man sich um diese schwarze Tafel nicht weiter gekümmert, sondern nur die Bilder auf derselben studirt. Nun lehrt aber die unbefangene Analyse der Gesichtsem- pfindungen, daß das Schwarz oder Dunkel ganz ebenso variabel ist, als das Weiß oder Hell, und daß die eine Empfindung durch- aus dieselbe Berücksichtigung verdient wie die andere. Bedenkt man dazu, daß, wie soeben gezeigt wurde, nicht blos die weiße sondern auch die schwarze Empfindung eine Function der Be- leuchtung der Netzhaut ist, so ergibt sich die Nothwendigkeit, dem psychophysischen Zustande oder Processe, welcher der Em- pfindung des Schwarzen entspricht, dasselbe Interesse zuzuwen- den, wie dem andern, welcher die Empfindung des Hellen bedingt. §. 24. Über Hell und Dunkel, verglichen mit Weiß und Schwarz. Mit Absicht habe ich im Obigen die Worte Weiß und Hell, Schwarz und Dunkel als ganz gleichwerthige benützt, obwohl sie dies nach dem Sprachgebrauche nicht durchaus sind. Treffend bemerkt Helmholtz, 1) daß wir immer „die Neigung haben zu trennen, was in der Farbe oder dem Aussehen eines Körpers von der Beleuchtung und was von der Eigenthümlichkeit des Körpers selbst herrührt“. Dem entsprechend pflegen wir die Worte hell und licht, dunkel und finster vorherrschend, wenn auch durchaus nicht immer, in Bezug auf die Art der Beleuchtung, die Worte weiß, grau und schwarz in Bezug auf die Eigenschaften der so erscheinenden Außendinge anzuwenden. Wenn auf einen Theil eines weißen Papiers ein Schatten fällt, so nennen wir den beschatteten Theil nicht grau, sondern dunkler, obwohl das Licht, welches er aussendet, genau dieselbe 1) Physiol. Optik. S. 287.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Aus pragmatischen Gründen wurde für das DTA die z… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/74
Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/74>, abgerufen am 26.04.2024.