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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Dritter Abschnitt. Von Tempeln, Grotten,
ganze Ende dieser Insel ruhet auf Reihen von natürlichen Basaltpfeilern, die größten-
theils über funfzig Fuß hoch sind, und in natürlichen Säulengängen stehen, die sich
nach dem Laufe der Buchten und Landspitzen richten. Sie ruhen auf einem festen
Grunde von unförmlichen Felsen. Ueber sie ist die Lage, die an den Boden oder die
Oberfläche der Insel reicht, von ungleicher Dicke, so wie das Land in Hügel aufsteigt,
oder in Thäler abfällt. Jeder Hügel, der unten über die Säulen herabhängt, macht
einen großen Fronton. Verschiedene davon sind über sechzig Fuß von der Grundfläche
bis an die Spitze dick, und erhalten, durch den Abfall des Hügels an den Seiten,
fast die völlige Gestalt der Frontons, die in der Baukunst üblich sind. Die Fin-
galshöhle
selbst ist vermuthlich die prächtigste, die je von einem Reisenden beschrieben
ward. Man kann sich kaum einen größern Anblick vorstellen, als einen solchen
Raum, der an jeder Seite von Säulengängen unterstützt wird. Sein Dach besteht
aus den untern Theilen von abgebrochenen Säulen, aus deren Winkeln eine gelbe
tropfsteinartige Materie ausgeschwitzt ist, welche die Winkel genau bestimmt. Ihre
Farbe zeigt eine ungemeine Mannigfaltigkeit und Schönheit. Die ganze Höhle er-
hält Licht von außen, so daß man bis an ihr tiefstes Ende hineinsehen kann. Die
Luft, die durch die beständige Ebbe und Fluth in Bewegung gesetzt wird, ist rein und
völlig frey von den feuchten Dämpfen, die sonst gewöhnlich die natürlichen Höhlen
erfüllen. Die ganze Länge dieser Höhle von dem Felsen außerhalb derselben ist drey-
hundert ein und siebenzig Fuß; ihre Breite bey dem Eingange drey und funfzig, und
an dem innern Ende zwanzig Fuß; die Höhe des Bogens bey dem Eingange hundert
und siebzehn, und an dem innern Ende siebzig Fuß; die Tiefe des Wassers am Ein-
gange beträgt achtzehn Fuß, und macht die Höhle unbewohnbar, die jedoch eine so
prächtige und wunderbare Naturscene ist, daß sie hier eine Anführung verdiente.

3.

Als sich unter den Christen die Liebe des Einsiedlerlebens verbreitete, wurden
die Höhlen Wohnungen der Heiligen, die sich darinn, von dem Anblick einer sündigen
Welt entfernt, den Betrachtungen des Himmels widmeten. Sie bildeten sich in den
Felsen Altärs, Capellen, Küche, Schlafstellen und andere Plätze des Bedürfnisses
und der Bequemlichkeit. Alles war voll Einfalt, entfernt von Weichlichkeit oder
Pracht. Die Armuth und die Andacht waren die beyden einzigen Gesellschafterinnen
des Heiligen. Sein strenges und enthaltsames Leben erwarb ihm oft die Aufmerk-
samkeit der ganzen Gegend; seine Höhle ward ein heiliger Ort, dem man sich nicht
ohne Ehrfurcht nähern durfte, und den zuweilen der Aberglaube als einen Sitz der

Wunder-

Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
ganze Ende dieſer Inſel ruhet auf Reihen von natuͤrlichen Baſaltpfeilern, die groͤßten-
theils uͤber funfzig Fuß hoch ſind, und in natuͤrlichen Saͤulengaͤngen ſtehen, die ſich
nach dem Laufe der Buchten und Landſpitzen richten. Sie ruhen auf einem feſten
Grunde von unfoͤrmlichen Felſen. Ueber ſie iſt die Lage, die an den Boden oder die
Oberflaͤche der Inſel reicht, von ungleicher Dicke, ſo wie das Land in Huͤgel aufſteigt,
oder in Thaͤler abfaͤllt. Jeder Huͤgel, der unten uͤber die Saͤulen herabhaͤngt, macht
einen großen Fronton. Verſchiedene davon ſind uͤber ſechzig Fuß von der Grundflaͤche
bis an die Spitze dick, und erhalten, durch den Abfall des Huͤgels an den Seiten,
faſt die voͤllige Geſtalt der Frontons, die in der Baukunſt uͤblich ſind. Die Fin-
galshoͤhle
ſelbſt iſt vermuthlich die praͤchtigſte, die je von einem Reiſenden beſchrieben
ward. Man kann ſich kaum einen groͤßern Anblick vorſtellen, als einen ſolchen
Raum, der an jeder Seite von Saͤulengaͤngen unterſtuͤtzt wird. Sein Dach beſteht
aus den untern Theilen von abgebrochenen Saͤulen, aus deren Winkeln eine gelbe
tropfſteinartige Materie ausgeſchwitzt iſt, welche die Winkel genau beſtimmt. Ihre
Farbe zeigt eine ungemeine Mannigfaltigkeit und Schoͤnheit. Die ganze Hoͤhle er-
haͤlt Licht von außen, ſo daß man bis an ihr tiefſtes Ende hineinſehen kann. Die
Luft, die durch die beſtaͤndige Ebbe und Fluth in Bewegung geſetzt wird, iſt rein und
voͤllig frey von den feuchten Daͤmpfen, die ſonſt gewoͤhnlich die natuͤrlichen Hoͤhlen
erfuͤllen. Die ganze Laͤnge dieſer Hoͤhle von dem Felſen außerhalb derſelben iſt drey-
hundert ein und ſiebenzig Fuß; ihre Breite bey dem Eingange drey und funfzig, und
an dem innern Ende zwanzig Fuß; die Hoͤhe des Bogens bey dem Eingange hundert
und ſiebzehn, und an dem innern Ende ſiebzig Fuß; die Tiefe des Waſſers am Ein-
gange betraͤgt achtzehn Fuß, und macht die Hoͤhle unbewohnbar, die jedoch eine ſo
praͤchtige und wunderbare Naturſcene iſt, daß ſie hier eine Anfuͤhrung verdiente.

3.

Als ſich unter den Chriſten die Liebe des Einſiedlerlebens verbreitete, wurden
die Hoͤhlen Wohnungen der Heiligen, die ſich darinn, von dem Anblick einer ſuͤndigen
Welt entfernt, den Betrachtungen des Himmels widmeten. Sie bildeten ſich in den
Felſen Altaͤrs, Capellen, Kuͤche, Schlafſtellen und andere Plaͤtze des Beduͤrfniſſes
und der Bequemlichkeit. Alles war voll Einfalt, entfernt von Weichlichkeit oder
Pracht. Die Armuth und die Andacht waren die beyden einzigen Geſellſchafterinnen
des Heiligen. Sein ſtrenges und enthaltſames Leben erwarb ihm oft die Aufmerk-
ſamkeit der ganzen Gegend; ſeine Hoͤhle ward ein heiliger Ort, dem man ſich nicht
ohne Ehrfurcht naͤhern durfte, und den zuweilen der Aberglaube als einen Sitz der

Wunder-
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[88/0092] Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten, ganze Ende dieſer Inſel ruhet auf Reihen von natuͤrlichen Baſaltpfeilern, die groͤßten- theils uͤber funfzig Fuß hoch ſind, und in natuͤrlichen Saͤulengaͤngen ſtehen, die ſich nach dem Laufe der Buchten und Landſpitzen richten. Sie ruhen auf einem feſten Grunde von unfoͤrmlichen Felſen. Ueber ſie iſt die Lage, die an den Boden oder die Oberflaͤche der Inſel reicht, von ungleicher Dicke, ſo wie das Land in Huͤgel aufſteigt, oder in Thaͤler abfaͤllt. Jeder Huͤgel, der unten uͤber die Saͤulen herabhaͤngt, macht einen großen Fronton. Verſchiedene davon ſind uͤber ſechzig Fuß von der Grundflaͤche bis an die Spitze dick, und erhalten, durch den Abfall des Huͤgels an den Seiten, faſt die voͤllige Geſtalt der Frontons, die in der Baukunſt uͤblich ſind. Die Fin- galshoͤhle ſelbſt iſt vermuthlich die praͤchtigſte, die je von einem Reiſenden beſchrieben ward. Man kann ſich kaum einen groͤßern Anblick vorſtellen, als einen ſolchen Raum, der an jeder Seite von Saͤulengaͤngen unterſtuͤtzt wird. Sein Dach beſteht aus den untern Theilen von abgebrochenen Saͤulen, aus deren Winkeln eine gelbe tropfſteinartige Materie ausgeſchwitzt iſt, welche die Winkel genau beſtimmt. Ihre Farbe zeigt eine ungemeine Mannigfaltigkeit und Schoͤnheit. Die ganze Hoͤhle er- haͤlt Licht von außen, ſo daß man bis an ihr tiefſtes Ende hineinſehen kann. Die Luft, die durch die beſtaͤndige Ebbe und Fluth in Bewegung geſetzt wird, iſt rein und voͤllig frey von den feuchten Daͤmpfen, die ſonſt gewoͤhnlich die natuͤrlichen Hoͤhlen erfuͤllen. Die ganze Laͤnge dieſer Hoͤhle von dem Felſen außerhalb derſelben iſt drey- hundert ein und ſiebenzig Fuß; ihre Breite bey dem Eingange drey und funfzig, und an dem innern Ende zwanzig Fuß; die Hoͤhe des Bogens bey dem Eingange hundert und ſiebzehn, und an dem innern Ende ſiebzig Fuß; die Tiefe des Waſſers am Ein- gange betraͤgt achtzehn Fuß, und macht die Hoͤhle unbewohnbar, die jedoch eine ſo praͤchtige und wunderbare Naturſcene iſt, daß ſie hier eine Anfuͤhrung verdiente. 3. Als ſich unter den Chriſten die Liebe des Einſiedlerlebens verbreitete, wurden die Hoͤhlen Wohnungen der Heiligen, die ſich darinn, von dem Anblick einer ſuͤndigen Welt entfernt, den Betrachtungen des Himmels widmeten. Sie bildeten ſich in den Felſen Altaͤrs, Capellen, Kuͤche, Schlafſtellen und andere Plaͤtze des Beduͤrfniſſes und der Bequemlichkeit. Alles war voll Einfalt, entfernt von Weichlichkeit oder Pracht. Die Armuth und die Andacht waren die beyden einzigen Geſellſchafterinnen des Heiligen. Sein ſtrenges und enthaltſames Leben erwarb ihm oft die Aufmerk- ſamkeit der ganzen Gegend; ſeine Hoͤhle ward ein heiliger Ort, dem man ſich nicht ohne Ehrfurcht naͤhern durfte, und den zuweilen der Aberglaube als einen Sitz der Wunder-

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/92>, abgerufen am 26.04.2024.