Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

Bild:
<< vorherige Seite

sein können, die einen unbegrenzten Ueberblick des Sternengewölbes
gestatten. Jedenfalls gehört aber die Annahme der entwickelten Na-
turweisheit bei den wilden Völkern in eine Sphäre des Glaubens,
die unsern Untersuchungen fremd bleiben muß.

Merkwürdig ist die bei allen früher gebildeten abendländischen
Völkern allgemein verbreitete Sage einer Naturweisheit, die von
Norden her ihnen zugekommen sei
. Nördlich vom Himalaya hat der
Cultus des Budha und Brahma seinen Ursprung genommen und von
dorther hat zuerst Bildung sich über die Inder verbreitet. Ebenso stam-
men bei den Chaldäern und Hellenen die bacchischen und orphischen
Geheimnisse aus Thrazien her und alle ihre religiösen Sagen sind vom
Norden herabgekommen. Eine sonderbare mythische Person der Hyperbo-
räer Abaris, der Luftwanderer, dem ein vorangehender Pfeil sei-
nen Weg zeigt, finden wir sogar in Amerika wieder. Man ist
soweit gegangen, diese Sage auf den Compaß zu beziehen, und
darin eine Kenntniß der nach Norden wirkenden magnetischen Kräfte
finden zu wollen. Ich erinnere noch an den caucasischen Prometheus,
den die Sage das himmlische Feuer den Völkern herabbringen läßt,
und an Pythagoras, der mit seinem Schüler oder Diener Zamolxis zu den
Hyperboräern zurückgekehrt sein soll, wo in Phöbos altem Garten
glückliche und gesittete Völker einen goldreichen Boden bewohnten.

Wenn diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun
auch bei den meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit
der Natur voraussetzen lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs
eine bewußte Erkenntniß derselben zutrauen, die eine begreifen-
de Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Kenntniß ist nicht blosses
Product der Intelligenz, sie kann nicht ausbrechen, wie die Sprache,
die in der frühsten Entwicklung der epischen Poesie ihren Ursprung hgab,

sein können, die einen unbegrenzten Ueberblick des Sternengewölbes
gestatten. Jedenfalls gehört aber die Annahme der entwickelten Na-
turweisheit bei den wilden Völkern in eine Sphäre des Glaubens,
die unsern Untersuchungen fremd bleiben muß.

Merkwürdig ist die bei allen früher gebildeten abendländischen
Völkern allgemein verbreitete Sage einer Naturweisheit, die von
Norden her ihnen zugekom̃en sei
. Nördlich vom Himalaya hat der
Cultus des Budha und Brahma seinen Ursprung genom̃en und von
dorther hat zuerst Bildung sich über die Inder verbreitet. Ebenso stam-
men bei den Chaldäern und Hellenen die bacchischen und orphischen
Geheimnisse aus Thrazien her und alle ihre religiösen Sagen sind vom
Norden herabgekom̃en. Eine sonderbare mythische Person der Hyperbo-
räer Abaris, der Luftwanderer, dem ein vorangehender Pfeil sei-
nen Weg zeigt, finden wir sogar in Amerika wieder. Man ist
soweit gegangen, diese Sage auf den Compaß zu beziehen, und
darin eine Keñtniß der nach Norden wirkenden magnetischen Kräfte
finden zu wollen. Ich eriñere noch an den caucasischen Prometheus,
den die Sage das him̃lische Feuer den Völkern herabbringen läßt,
und an Pythagoras, der mit seinem Schüler oder Diener Zamolxis zu den
Hyperboräern zurückgekehrt sein soll, wo in Phöbos altem Garten
glückliche und gesittete Völker einen goldreichen Boden bewohnten.

Weñ diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun
auch bei den meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit
der Natur voraussetzen lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs
eine bewußte Erkeñtniß derselben zutrauen, die eine begreifen-
de Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Keñtniß ist nicht blosses
Product der Intelligenz, sie kañ nicht ausbrechen, wie die Sprache,
die in der frühsten Entwicklung der epischen Poesie ihren Ursprung hgab,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="session" n="12">
        <p><pb facs="#f0099" n="95"/>
sein können, die einen unbegrenzten Ueberblick des Sternengewölbes<lb/>
gestatten. Jedenfalls gehört aber die Annahme der entwickelten Na-<lb/>
turweisheit bei den wilden Völkern in eine Sphäre des Glaubens,<lb/>
die unsern Untersuchungen fremd bleiben muß.</p><lb/>
        <p>Merkwürdig ist die bei allen früher gebildeten abendländischen<lb/>
Völkern allgemein verbreitete Sage einer <hi rendition="#u">Naturweisheit, die von<lb/>
Norden her ihnen zugekom&#x0303;en sei</hi>. Nördlich vom <hi rendition="#aq">Himalaya</hi> hat der<lb/>
Cultus des <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118664417 http://d-nb.info/gnd/118664417">Budha</persName></hi> <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> <hi rendition="#aq">Brahma</hi> seinen Ursprung genom&#x0303;en <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> von<lb/>
dorther hat zuerst Bildung sich über die Inder verbreitet. Ebenso stam-<lb/>
men bei den Chaldäern und Hellenen die bacchischen <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> orphischen<lb/>
Geheimnisse aus Thrazien her <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> alle ihre religiösen Sagen sind vom<lb/>
Norden herabgekom&#x0303;en. Eine sonderbare mythische Person der Hyperbo-<lb/>
räer <hi rendition="#aq">Abaris</hi>, der Luftwanderer, dem ein vorangehender Pfeil sei-<lb/>
nen Weg zeigt, finden wir sogar in Amerika wieder. Man ist<lb/>
soweit gegangen, diese Sage auf den Compaß zu beziehen, und<lb/>
darin eine Ken&#x0303;tniß der nach Norden wirkenden magnetischen Kräfte<lb/>
finden zu wollen. Ich erin&#x0303;ere noch an den caucasischen Prometheus,<lb/>
den die Sage das him&#x0303;lische Feuer den Völkern herabbringen läßt,<lb/><choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> an <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118597248 http://d-nb.info/gnd/118597248">Pythagoras</persName></hi>, der mit seinem Schüler oder Diener <hi rendition="#aq">Zamolxis</hi> zu den<lb/>
Hyperboräern zurückgekehrt sein soll, wo in Phöbos altem Garten<lb/>
glückliche <choice><abbr>u</abbr><expan resp="#BF">und</expan></choice> gesittete Völker einen goldreichen Boden bewohnten.</p><lb/>
        <p>Wen&#x0303; diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun<lb/>
auch bei den meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit<lb/>
der Natur voraussetzen lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs<lb/>
eine bewußte Erken&#x0303;tniß derselben zutrauen, die eine begreifen-<lb/>
de Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Ken&#x0303;tniß ist nicht blosses<lb/>
Product der Intelligenz, sie kan&#x0303; nicht ausbrechen, wie die Sprache,<lb/>
die in der frühsten Entwicklung der epischen Poesie ihren Ursprung <subst><del rendition="#s">h</del><add place="across">g</add></subst>ab,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0099] sein können, die einen unbegrenzten Ueberblick des Sternengewölbes gestatten. Jedenfalls gehört aber die Annahme der entwickelten Na- turweisheit bei den wilden Völkern in eine Sphäre des Glaubens, die unsern Untersuchungen fremd bleiben muß. Merkwürdig ist die bei allen früher gebildeten abendländischen Völkern allgemein verbreitete Sage einer Naturweisheit, die von Norden her ihnen zugekom̃en sei. Nördlich vom Himalaya hat der Cultus des Budha u Brahma seinen Ursprung genom̃en u von dorther hat zuerst Bildung sich über die Inder verbreitet. Ebenso stam- men bei den Chaldäern und Hellenen die bacchischen u orphischen Geheimnisse aus Thrazien her u alle ihre religiösen Sagen sind vom Norden herabgekom̃en. Eine sonderbare mythische Person der Hyperbo- räer Abaris, der Luftwanderer, dem ein vorangehender Pfeil sei- nen Weg zeigt, finden wir sogar in Amerika wieder. Man ist soweit gegangen, diese Sage auf den Compaß zu beziehen, und darin eine Keñtniß der nach Norden wirkenden magnetischen Kräfte finden zu wollen. Ich eriñere noch an den caucasischen Prometheus, den die Sage das him̃lische Feuer den Völkern herabbringen läßt, u an Pythagoras, der mit seinem Schüler oder Diener Zamolxis zu den Hyperboräern zurückgekehrt sein soll, wo in Phöbos altem Garten glückliche u gesittete Völker einen goldreichen Boden bewohnten. Weñ diese mannigfaltigen mythischen Einkleidungen uns nun auch bei den meisten wilden Völkern das Gefühl von der Einheit der Natur voraussetzen lassen, so dürfen wir ihnen doch keineswegs eine bewußte Erkeñtniß derselben zutrauen, die eine begreifen- de Einsicht der Natur voraussetzt. Diese Keñtniß ist nicht blosses Product der Intelligenz, sie kañ nicht ausbrechen, wie die Sprache, die in der frühsten Entwicklung der epischen Poesie ihren Ursprung hgab,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • I/J: Lautwert transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/99
Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/99>, abgerufen am 26.04.2024.