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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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mit einem Blicke zu umfassen, muß man sich auf den Hügel
Manimi stellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Mis-
sionskirche aus der Savanne aufsteigt und nichts ist als eine
Fortsetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi
besteht. Wir waren oft auf diesem Berge, denn man sieht
sich nicht satt an diesem außerordentlichen Schauspiel in einem
der entlegensten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felsen
erreicht, so liegt auf einmal, 4 bis 5 km weit, eine Schaum-
fläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmassen eisen-
schwarz aufragen. Die einen sind, je zwei und zwei bei-
sammen, abgerundete Massen, Basalthügeln ähnlich; andere
gleichen Türmen, Kastellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düstere
Färbung hebt sich scharf vom Silberglanze des Wasserschaums
ab. Jeder Fels, jede Insel ist mit Gruppen kräftiger Bäume
bewachsen. Vom Fuße dieser Felsen an schwebt, so weit das
Auge reicht, eine dichte Dunstmasse über dem Strome, und
über den weißlichen Nebel schießt der Wipfel der hohen Palmen
empor. Diese großartigen Gewächse -- wie nennt man sie?
Ich glaube es ist der Vadgiai, eine neue Art der Gattung
Oreodoxa, deren Stamm über 25 m hoch ist. Die einen
Federbusch bildenden Blätter dieser Palme sind sehr glänzend
und steigen fast gerade himmelan. Zu jeder Tagesstunde
nimmt sich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald
werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen
Schatten darüber, bald bricht sich der Strahl der unter-
gehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt
einhüllt. Farbige Bogen bilden sich, verschwinden und er-
scheinen wieder, und im Spiel der Lüfte schwebt ihr Bild
über der Fläche.

Solches ist der Charakter der Landschaft, wie sie auf dem
Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reisender
beschrieben hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal ge-
äußert: weder die Zeit noch der Anblick der Kordilleren und
der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexiko haben
den tiefen Eindruck verwischt, den das Schauspiel der Kata-
rakte auf mich gemacht. Lese ich eine Beschreibung indischer
Landschaften, deren Hauptreize strömende Wasser und ein kräf-
tiger Pflanzenwuchs sind, so schwebt mir ein Schaummeer
vor, und Palmen, deren Kronen über eine Dunstschicht empor-
ragen. Es ist mit den großartigen Naturßenen wie mit dem
Höchsten in Poesie und Kunst: sie lassen Erinnerungen zurück,
die immer wieder wach werden und sich unser Leben lang in

mit einem Blicke zu umfaſſen, muß man ſich auf den Hügel
Manimi ſtellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Miſ-
ſionskirche aus der Savanne aufſteigt und nichts iſt als eine
Fortſetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi
beſteht. Wir waren oft auf dieſem Berge, denn man ſieht
ſich nicht ſatt an dieſem außerordentlichen Schauſpiel in einem
der entlegenſten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felſen
erreicht, ſo liegt auf einmal, 4 bis 5 km weit, eine Schaum-
fläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmaſſen eiſen-
ſchwarz aufragen. Die einen ſind, je zwei und zwei bei-
ſammen, abgerundete Maſſen, Baſalthügeln ähnlich; andere
gleichen Türmen, Kaſtellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düſtere
Färbung hebt ſich ſcharf vom Silberglanze des Waſſerſchaums
ab. Jeder Fels, jede Inſel iſt mit Gruppen kräftiger Bäume
bewachſen. Vom Fuße dieſer Felſen an ſchwebt, ſo weit das
Auge reicht, eine dichte Dunſtmaſſe über dem Strome, und
über den weißlichen Nebel ſchießt der Wipfel der hohen Palmen
empor. Dieſe großartigen Gewächſe — wie nennt man ſie?
Ich glaube es iſt der Vadgiai, eine neue Art der Gattung
Oreodoxa, deren Stamm über 25 m hoch iſt. Die einen
Federbuſch bildenden Blätter dieſer Palme ſind ſehr glänzend
und ſteigen faſt gerade himmelan. Zu jeder Tagesſtunde
nimmt ſich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald
werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen
Schatten darüber, bald bricht ſich der Strahl der unter-
gehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt
einhüllt. Farbige Bogen bilden ſich, verſchwinden und er-
ſcheinen wieder, und im Spiel der Lüfte ſchwebt ihr Bild
über der Fläche.

Solches iſt der Charakter der Landſchaft, wie ſie auf dem
Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reiſender
beſchrieben hat. Ich wiederhole, was ich ſchon einmal ge-
äußert: weder die Zeit noch der Anblick der Kordilleren und
der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexiko haben
den tiefen Eindruck verwiſcht, den das Schauſpiel der Kata-
rakte auf mich gemacht. Leſe ich eine Beſchreibung indiſcher
Landſchaften, deren Hauptreize ſtrömende Waſſer und ein kräf-
tiger Pflanzenwuchs ſind, ſo ſchwebt mir ein Schaummeer
vor, und Palmen, deren Kronen über eine Dunſtſchicht empor-
ragen. Es iſt mit den großartigen Naturſzenen wie mit dem
Höchſten in Poeſie und Kunſt: ſie laſſen Erinnerungen zurück,
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[170/0178] mit einem Blicke zu umfaſſen, muß man ſich auf den Hügel Manimi ſtellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Miſ- ſionskirche aus der Savanne aufſteigt und nichts iſt als eine Fortſetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi beſteht. Wir waren oft auf dieſem Berge, denn man ſieht ſich nicht ſatt an dieſem außerordentlichen Schauſpiel in einem der entlegenſten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felſen erreicht, ſo liegt auf einmal, 4 bis 5 km weit, eine Schaum- fläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmaſſen eiſen- ſchwarz aufragen. Die einen ſind, je zwei und zwei bei- ſammen, abgerundete Maſſen, Baſalthügeln ähnlich; andere gleichen Türmen, Kaſtellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düſtere Färbung hebt ſich ſcharf vom Silberglanze des Waſſerſchaums ab. Jeder Fels, jede Inſel iſt mit Gruppen kräftiger Bäume bewachſen. Vom Fuße dieſer Felſen an ſchwebt, ſo weit das Auge reicht, eine dichte Dunſtmaſſe über dem Strome, und über den weißlichen Nebel ſchießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Dieſe großartigen Gewächſe — wie nennt man ſie? Ich glaube es iſt der Vadgiai, eine neue Art der Gattung Oreodoxa, deren Stamm über 25 m hoch iſt. Die einen Federbuſch bildenden Blätter dieſer Palme ſind ſehr glänzend und ſteigen faſt gerade himmelan. Zu jeder Tagesſtunde nimmt ſich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schatten darüber, bald bricht ſich der Strahl der unter- gehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt einhüllt. Farbige Bogen bilden ſich, verſchwinden und er- ſcheinen wieder, und im Spiel der Lüfte ſchwebt ihr Bild über der Fläche. Solches iſt der Charakter der Landſchaft, wie ſie auf dem Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reiſender beſchrieben hat. Ich wiederhole, was ich ſchon einmal ge- äußert: weder die Zeit noch der Anblick der Kordilleren und der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexiko haben den tiefen Eindruck verwiſcht, den das Schauſpiel der Kata- rakte auf mich gemacht. Leſe ich eine Beſchreibung indiſcher Landſchaften, deren Hauptreize ſtrömende Waſſer und ein kräf- tiger Pflanzenwuchs ſind, ſo ſchwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen über eine Dunſtſchicht empor- ragen. Es iſt mit den großartigen Naturſzenen wie mit dem Höchſten in Poeſie und Kunſt: ſie laſſen Erinnerungen zurück, die immer wieder wach werden und ſich unſer Leben lang in

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/178>, abgerufen am 26.04.2024.