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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Ländern des neuen Kontinents der echte Zimtbaum mit Erfolg
gebaut, und ein Landstrich, auf dem der Coumarouna (die
Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, Mirtus
pimenta,
der Tolubalsam, Myroxylon peruvianum, die
Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (Gaultheria odorata),
der Incienso der Silla von Caracas,1 der Quereme, die Pan-
kratiumarten und so viele herrliche Lilienarten wachsen, kann
nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem ist
Trockenheit der Luft der Entwickelung aromatischer und rei-
zender Eigenschaften nur bei gewissen Pflanzenarten förderlich.
Die heftigsten Gifte werden im feuchtesten Landstriche Amerikas
erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltend tropi-
schen Regen gedeiht der amerikanische Pfeffer (Capsicum bac-
catum)
am besten, dessen Frucht häufig so scharf und beißend
ist als der ostindische Pfeffer. Aus diesen Betrachtungen geht
folgendes hervor: 1) der neue Kontinent besitzt sehr starke
Gewürze, Arome und vegetabilische Gifte, die ihm allein an-
gehören, sich aber spezifisch von denen der alten Welt unter-
scheiden; 2) die ursprüngliche Verteilung der Arten in der
heißen Zone ist allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der
Verteilung der Wärme, wie sie im gegenwärtigen Zustande
unseres Planeten stattfindet, nicht zu erklären, aber diese Ver-
schiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein
gegebener organischer Typus sich an der einen Oertlichkeit
kräftiger entwickelt als an der anderen. Wir begreifen von
einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Musen und
Palmen, daß sie wegen ihres inneren Baues und der Wich-
tigkeit gewisser Organe unmöglich sehr kalten Landstrichen an-
gehören können, wir vermögen aber nicht zu erklären, warum
keine Art aus der Familie der Melastomeen nördlich vom
30. Breitengrad wächst, warum keine einzige Rosenart der
südlichen Halbkugel angehört. Häufig sind auf beiden Kon-
tinenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugnisse gleich-
artig wären.

Der Rio Vichada (Bichada), der bei seinem Zusammenfluß
mit dem Orinoko einen kleinen Raudal hat, schien mir nach
dem Meta und dem Guaviare der bedeutendste unter den aus
Westen kommenden Flüssen. Seit vierzig Jahren hat kein
Europäer den Vichada befahren. Ueber seine Quellen habe
ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermute sie mit

1 Trixis nereifolia.

Ländern des neuen Kontinents der echte Zimtbaum mit Erfolg
gebaut, und ein Landſtrich, auf dem der Coumarouna (die
Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, Mirtus
pimenta,
der Tolubalſam, Myroxylon peruvianum, die
Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (Gaultheria odorata),
der Incienſo der Silla von Caracas,1 der Quereme, die Pan-
kratiumarten und ſo viele herrliche Lilienarten wachſen, kann
nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem iſt
Trockenheit der Luft der Entwickelung aromatiſcher und rei-
zender Eigenſchaften nur bei gewiſſen Pflanzenarten förderlich.
Die heftigſten Gifte werden im feuchteſten Landſtriche Amerikas
erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltend tropi-
ſchen Regen gedeiht der amerikaniſche Pfeffer (Capsicum bac-
catum)
am beſten, deſſen Frucht häufig ſo ſcharf und beißend
iſt als der oſtindiſche Pfeffer. Aus dieſen Betrachtungen geht
folgendes hervor: 1) der neue Kontinent beſitzt ſehr ſtarke
Gewürze, Arome und vegetabiliſche Gifte, die ihm allein an-
gehören, ſich aber ſpezifiſch von denen der alten Welt unter-
ſcheiden; 2) die urſprüngliche Verteilung der Arten in der
heißen Zone iſt allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der
Verteilung der Wärme, wie ſie im gegenwärtigen Zuſtande
unſeres Planeten ſtattfindet, nicht zu erklären, aber dieſe Ver-
ſchiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein
gegebener organiſcher Typus ſich an der einen Oertlichkeit
kräftiger entwickelt als an der anderen. Wir begreifen von
einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Muſen und
Palmen, daß ſie wegen ihres inneren Baues und der Wich-
tigkeit gewiſſer Organe unmöglich ſehr kalten Landſtrichen an-
gehören können, wir vermögen aber nicht zu erklären, warum
keine Art aus der Familie der Melaſtomeen nördlich vom
30. Breitengrad wächſt, warum keine einzige Roſenart der
ſüdlichen Halbkugel angehört. Häufig ſind auf beiden Kon-
tinenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugniſſe gleich-
artig wären.

Der Rio Vichada (Bichada), der bei ſeinem Zuſammenfluß
mit dem Orinoko einen kleinen Raudal hat, ſchien mir nach
dem Meta und dem Guaviare der bedeutendſte unter den aus
Weſten kommenden Flüſſen. Seit vierzig Jahren hat kein
Europäer den Vichada befahren. Ueber ſeine Quellen habe
ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermute ſie mit

1 Trixis nereifolia.
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[190/0198] Ländern des neuen Kontinents der echte Zimtbaum mit Erfolg gebaut, und ein Landſtrich, auf dem der Coumarouna (die Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, Mirtus pimenta, der Tolubalſam, Myroxylon peruvianum, die Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (Gaultheria odorata), der Incienſo der Silla von Caracas, 1 der Quereme, die Pan- kratiumarten und ſo viele herrliche Lilienarten wachſen, kann nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem iſt Trockenheit der Luft der Entwickelung aromatiſcher und rei- zender Eigenſchaften nur bei gewiſſen Pflanzenarten förderlich. Die heftigſten Gifte werden im feuchteſten Landſtriche Amerikas erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltend tropi- ſchen Regen gedeiht der amerikaniſche Pfeffer (Capsicum bac- catum) am beſten, deſſen Frucht häufig ſo ſcharf und beißend iſt als der oſtindiſche Pfeffer. Aus dieſen Betrachtungen geht folgendes hervor: 1) der neue Kontinent beſitzt ſehr ſtarke Gewürze, Arome und vegetabiliſche Gifte, die ihm allein an- gehören, ſich aber ſpezifiſch von denen der alten Welt unter- ſcheiden; 2) die urſprüngliche Verteilung der Arten in der heißen Zone iſt allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der Verteilung der Wärme, wie ſie im gegenwärtigen Zuſtande unſeres Planeten ſtattfindet, nicht zu erklären, aber dieſe Ver- ſchiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein gegebener organiſcher Typus ſich an der einen Oertlichkeit kräftiger entwickelt als an der anderen. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Muſen und Palmen, daß ſie wegen ihres inneren Baues und der Wich- tigkeit gewiſſer Organe unmöglich ſehr kalten Landſtrichen an- gehören können, wir vermögen aber nicht zu erklären, warum keine Art aus der Familie der Melaſtomeen nördlich vom 30. Breitengrad wächſt, warum keine einzige Roſenart der ſüdlichen Halbkugel angehört. Häufig ſind auf beiden Kon- tinenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugniſſe gleich- artig wären. Der Rio Vichada (Bichada), der bei ſeinem Zuſammenfluß mit dem Orinoko einen kleinen Raudal hat, ſchien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendſte unter den aus Weſten kommenden Flüſſen. Seit vierzig Jahren hat kein Europäer den Vichada befahren. Ueber ſeine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermute ſie mit 1 Trixis nereifolia.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/198>, abgerufen am 26.04.2024.