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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.

Der Begriff der Causalität, als Naturnothwen-
digkeit,
zum Unterschiede derselben, als Freyheit, be-
trifft nur die Existenz der Dinge, so fern sie in der
Zeit bestimmbar
ist, folglich als Erscheinungen, im
Gegensatze ihrer Causalität, als Dinge an sich selbst.
Nimmt man nun die Bestimmungen der Existenz der
Dinge in der Zeit für Bestimmungen der Dinge an sich
selbst, (welches die gewöhnlichste Vorstellungsart ist,)
so läßt sich die Nothwendigkeit in Causalverhältnisse
mit der Freyheit auf keinerley Weise vereinigen; son-
dern sie sind einander contradictorisch- entgegengesetzt.
Denn aus der ersteren folgt: daß eine jede Begebenheit,
folglich auch jede Handlung, die in einem Zeitpuncte
vorgeht, unter der Bedingung dessen, was in der vor-
hergehenden Zeit war, nothwendig sey. Da nun die
vergangene Zeit nicht mehr in meiner Gewalt ist, so
muß jede Handlung, die ich ausübe, durch bestimmen-
de Gründe, die nicht in meiner Gewalt seyn, noth-
wendig seyn, d. i. ich bin in dem Zeitpuncte, darin ich
handle, niemals frey. Ja, wenn ich gleich mein gan-
zes Daseyn als unabhängig von irgend einer fremden
Ursache (etwa von Gott) annähme, so daß die Bestim-
mungsgründe meiner Causalität, so gar meiner ganzen
Existenz, gar nicht außer mir wären: so würde dieses
jene Naturnothwendigkeit doch nicht im mindesten in
Freyheit verwandeln. Denn in jedem Zeitpuncte stehe
ich doch immer unter der Nothwendigkeit, durch das zum

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der reinen practiſchen Vernunft.

Der Begriff der Cauſalitaͤt, als Naturnothwen-
digkeit,
zum Unterſchiede derſelben, als Freyheit, be-
trifft nur die Exiſtenz der Dinge, ſo fern ſie in der
Zeit beſtimmbar
iſt, folglich als Erſcheinungen, im
Gegenſatze ihrer Cauſalitaͤt, als Dinge an ſich ſelbſt.
Nimmt man nun die Beſtimmungen der Exiſtenz der
Dinge in der Zeit fuͤr Beſtimmungen der Dinge an ſich
ſelbſt, (welches die gewoͤhnlichſte Vorſtellungsart iſt,)
ſo laͤßt ſich die Nothwendigkeit in Cauſalverhaͤltniſſe
mit der Freyheit auf keinerley Weiſe vereinigen; ſon-
dern ſie ſind einander contradictoriſch- entgegengeſetzt.
Denn aus der erſteren folgt: daß eine jede Begebenheit,
folglich auch jede Handlung, die in einem Zeitpuncte
vorgeht, unter der Bedingung deſſen, was in der vor-
hergehenden Zeit war, nothwendig ſey. Da nun die
vergangene Zeit nicht mehr in meiner Gewalt iſt, ſo
muß jede Handlung, die ich ausuͤbe, durch beſtimmen-
de Gruͤnde, die nicht in meiner Gewalt ſeyn, noth-
wendig ſeyn, d. i. ich bin in dem Zeitpuncte, darin ich
handle, niemals frey. Ja, wenn ich gleich mein gan-
zes Daſeyn als unabhaͤngig von irgend einer fremden
Urſache (etwa von Gott) annaͤhme, ſo daß die Beſtim-
mungsgruͤnde meiner Cauſalitaͤt, ſo gar meiner ganzen
Exiſtenz, gar nicht außer mir waͤren: ſo wuͤrde dieſes
jene Naturnothwendigkeit doch nicht im mindeſten in
Freyheit verwandeln. Denn in jedem Zeitpuncte ſtehe
ich doch immer unter der Nothwendigkeit, durch das zum

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[169/0177] der reinen practiſchen Vernunft. Der Begriff der Cauſalitaͤt, als Naturnothwen- digkeit, zum Unterſchiede derſelben, als Freyheit, be- trifft nur die Exiſtenz der Dinge, ſo fern ſie in der Zeit beſtimmbar iſt, folglich als Erſcheinungen, im Gegenſatze ihrer Cauſalitaͤt, als Dinge an ſich ſelbſt. Nimmt man nun die Beſtimmungen der Exiſtenz der Dinge in der Zeit fuͤr Beſtimmungen der Dinge an ſich ſelbſt, (welches die gewoͤhnlichſte Vorſtellungsart iſt,) ſo laͤßt ſich die Nothwendigkeit in Cauſalverhaͤltniſſe mit der Freyheit auf keinerley Weiſe vereinigen; ſon- dern ſie ſind einander contradictoriſch- entgegengeſetzt. Denn aus der erſteren folgt: daß eine jede Begebenheit, folglich auch jede Handlung, die in einem Zeitpuncte vorgeht, unter der Bedingung deſſen, was in der vor- hergehenden Zeit war, nothwendig ſey. Da nun die vergangene Zeit nicht mehr in meiner Gewalt iſt, ſo muß jede Handlung, die ich ausuͤbe, durch beſtimmen- de Gruͤnde, die nicht in meiner Gewalt ſeyn, noth- wendig ſeyn, d. i. ich bin in dem Zeitpuncte, darin ich handle, niemals frey. Ja, wenn ich gleich mein gan- zes Daſeyn als unabhaͤngig von irgend einer fremden Urſache (etwa von Gott) annaͤhme, ſo daß die Beſtim- mungsgruͤnde meiner Cauſalitaͤt, ſo gar meiner ganzen Exiſtenz, gar nicht außer mir waͤren: ſo wuͤrde dieſes jene Naturnothwendigkeit doch nicht im mindeſten in Freyheit verwandeln. Denn in jedem Zeitpuncte ſtehe ich doch immer unter der Nothwendigkeit, durch das zum han- L 5

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/177>, abgerufen am 27.04.2024.