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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik
wie vorher, aus bloßer unparteyischer Vernunft, nem-
lich auf die Voraussetzung des Daseyns einer dieser
Wirkung adäquaten Ursache führen, d. i. die Existenz
Gottes,
als zur Möglichkeit des höchsten Guts (wel-
ches Object unseres Willens mit der moralischen Gesetz-
gebung der reinen Vernunft nothwendig verbunden ist)
nothwendig gehörig, postuliren. Wir wollen diesen
Zusammenhang überzeugend darstellen.

Glückseligkeit ist der Zustand eines vernünftigen
Wesens in der Welt, dem es, im Ganzen seiner Exi-
stenz, alles nach Wunsch und Willen geht, und
beruhet also auf der Uebereinstimmung der Natur zu
seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Be-
stimmungsgrunde seines Willens. Nun gebietet das mo-
ralische Gesetz, als ein Gesetz der Freyheit, durch Be-
stimmungsgründe, die von der Natur und der Ueber-
einstimmung derselben zu unserem Begehrungsvermögen
(als Triebfedern) ganz unabhängig seyn sollen; das
handelnde vernünftige Wesen in der Welt aber ist doch
nicht zugleich Ursache der Welt und der Natur selbst.
Also ist in dem moralischen Gesetze nicht der mindeste
Grund zu einem nothwendigen Zusammenhang zwischen
Sittlichkeit und der ihr proportionirten Glückseligkeit
eines zur Welt als Theil gehörigen, und daher von ihr
abhängigen, Wesens, welches eben darum durch seinen
Willen nicht Ursache dieser Natur seyn, und sie, was
seine Glückseligkeit betrifft, mit seinen practischen Grund-

sätzen

I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
wie vorher, aus bloßer unparteyiſcher Vernunft, nem-
lich auf die Vorausſetzung des Daſeyns einer dieſer
Wirkung adaͤquaten Urſache fuͤhren, d. i. die Exiſtenz
Gottes,
als zur Moͤglichkeit des hoͤchſten Guts (wel-
ches Object unſeres Willens mit der moraliſchen Geſetz-
gebung der reinen Vernunft nothwendig verbunden iſt)
nothwendig gehoͤrig, poſtuliren. Wir wollen dieſen
Zuſammenhang uͤberzeugend darſtellen.

Gluͤckſeligkeit iſt der Zuſtand eines vernuͤnftigen
Weſens in der Welt, dem es, im Ganzen ſeiner Exi-
ſtenz, alles nach Wunſch und Willen geht, und
beruhet alſo auf der Uebereinſtimmung der Natur zu
ſeinem ganzen Zwecke, imgleichen zum weſentlichen Be-
ſtimmungsgrunde ſeines Willens. Nun gebietet das mo-
raliſche Geſetz, als ein Geſetz der Freyheit, durch Be-
ſtimmungsgruͤnde, die von der Natur und der Ueber-
einſtimmung derſelben zu unſerem Begehrungsvermoͤgen
(als Triebfedern) ganz unabhaͤngig ſeyn ſollen; das
handelnde vernuͤnftige Weſen in der Welt aber iſt doch
nicht zugleich Urſache der Welt und der Natur ſelbſt.
Alſo iſt in dem moraliſchen Geſetze nicht der mindeſte
Grund zu einem nothwendigen Zuſammenhang zwiſchen
Sittlichkeit und der ihr proportionirten Gluͤckſeligkeit
eines zur Welt als Theil gehoͤrigen, und daher von ihr
abhaͤngigen, Weſens, welches eben darum durch ſeinen
Willen nicht Urſache dieſer Natur ſeyn, und ſie, was
ſeine Gluͤckſeligkeit betrifft, mit ſeinen practiſchen Grund-

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[224/0232] I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik wie vorher, aus bloßer unparteyiſcher Vernunft, nem- lich auf die Vorausſetzung des Daſeyns einer dieſer Wirkung adaͤquaten Urſache fuͤhren, d. i. die Exiſtenz Gottes, als zur Moͤglichkeit des hoͤchſten Guts (wel- ches Object unſeres Willens mit der moraliſchen Geſetz- gebung der reinen Vernunft nothwendig verbunden iſt) nothwendig gehoͤrig, poſtuliren. Wir wollen dieſen Zuſammenhang uͤberzeugend darſtellen. Gluͤckſeligkeit iſt der Zuſtand eines vernuͤnftigen Weſens in der Welt, dem es, im Ganzen ſeiner Exi- ſtenz, alles nach Wunſch und Willen geht, und beruhet alſo auf der Uebereinſtimmung der Natur zu ſeinem ganzen Zwecke, imgleichen zum weſentlichen Be- ſtimmungsgrunde ſeines Willens. Nun gebietet das mo- raliſche Geſetz, als ein Geſetz der Freyheit, durch Be- ſtimmungsgruͤnde, die von der Natur und der Ueber- einſtimmung derſelben zu unſerem Begehrungsvermoͤgen (als Triebfedern) ganz unabhaͤngig ſeyn ſollen; das handelnde vernuͤnftige Weſen in der Welt aber iſt doch nicht zugleich Urſache der Welt und der Natur ſelbſt. Alſo iſt in dem moraliſchen Geſetze nicht der mindeſte Grund zu einem nothwendigen Zuſammenhang zwiſchen Sittlichkeit und der ihr proportionirten Gluͤckſeligkeit eines zur Welt als Theil gehoͤrigen, und daher von ihr abhaͤngigen, Weſens, welches eben darum durch ſeinen Willen nicht Urſache dieſer Natur ſeyn, und ſie, was ſeine Gluͤckſeligkeit betrifft, mit ſeinen practiſchen Grund- ſaͤtzen

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/232>, abgerufen am 26.04.2024.