Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik
len, stattfindet,) lauter Eigenschaften, von denen wir
uns gar keinen Begriff, zum Erkenntnisse des Gegen-
standes tauglich, machen können, und dadurch belehrt
werden, daß sie niemals zu einer Theorie von über-
sinnlichen Wesen gebraucht werden können, und also,
auf dieser Seite, ein speculatives Erkenntniß zu grün-
den gar nicht vermögen, sondern ihren Gebrauch lediglich
auf die Ausübung des moralischen Gesetzes einschränken.

Dieses letztere ist so augenscheinlich, und kann so
klar durch die That bewiesen werden, daß man getrost
alle vermeynte natürliche Gottesgelehrte (ein wun-
derlicher Name) *) auffodern kann, auch nur eine diesen
ihren Gegenstand (über die blos onkologischen Prädicate
hinaus) bestimmende Eigenschaft, etwa des Verstan-
des, oder des Willens, zu nennen, an der man nicht
unwidersprechlich darthun könnte, daß, wenn man

alles
*) Gelehrsamkeit ist eigentlich nur der Inbegriff historischer
Wissenschaften. Folglich kann nur der Lehrer der geoffenbarten
Theologie ein Gottesgelehrter heißen. Wollte man aber
auch den, der im Besitze von Vernunftwissenschaften (Mathe-
matik und Philosophie) ist, einen Gelehrten nennen, obgleich
dieses schon der Wortbedeutung (als die jederzeit nur dasjenige,
was man durchaus gelehret werden muß, und was man also
nicht von selbst, durch Vernunft, erfinden kann, zur Gelehr-
samkeit zählt,) widerstreiten würde: so möchte wol der Philo-
soph mit seiner Erkenntniß Gottes, als positiver Wissenschaft,
eine zu schlechte Figur machen, um sich deshalb einen Gelehr-
ten
nennen zu lassen.

I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
len, ſtattfindet,) lauter Eigenſchaften, von denen wir
uns gar keinen Begriff, zum Erkenntniſſe des Gegen-
ſtandes tauglich, machen koͤnnen, und dadurch belehrt
werden, daß ſie niemals zu einer Theorie von uͤber-
ſinnlichen Weſen gebraucht werden koͤnnen, und alſo,
auf dieſer Seite, ein ſpeculatives Erkenntniß zu gruͤn-
den gar nicht vermoͤgen, ſondern ihren Gebrauch lediglich
auf die Ausuͤbung des moraliſchen Geſetzes einſchraͤnken.

Dieſes letztere iſt ſo augenſcheinlich, und kann ſo
klar durch die That bewieſen werden, daß man getroſt
alle vermeynte natuͤrliche Gottesgelehrte (ein wun-
derlicher Name) *) auffodern kann, auch nur eine dieſen
ihren Gegenſtand (uͤber die blos onkologiſchen Praͤdicate
hinaus) beſtimmende Eigenſchaft, etwa des Verſtan-
des, oder des Willens, zu nennen, an der man nicht
unwiderſprechlich darthun koͤnnte, daß, wenn man

alles
*) Gelehrſamkeit iſt eigentlich nur der Inbegriff hiſtoriſcher
Wiſſenſchaften. Folglich kann nur der Lehrer der geoffenbarten
Theologie ein Gottesgelehrter heißen. Wollte man aber
auch den, der im Beſitze von Vernunftwiſſenſchaften (Mathe-
matik und Philoſophie) iſt, einen Gelehrten nennen, obgleich
dieſes ſchon der Wortbedeutung (als die jederzeit nur dasjenige,
was man durchaus gelehret werden muß, und was man alſo
nicht von ſelbſt, durch Vernunft, erfinden kann, zur Gelehr-
ſamkeit zaͤhlt,) widerſtreiten wuͤrde: ſo moͤchte wol der Philo-
ſoph mit ſeiner Erkenntniß Gottes, als poſitiver Wiſſenſchaft,
eine zu ſchlechte Figur machen, um ſich deshalb einen Gelehr-
ten
nennen zu laſſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0256" n="248"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> B. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. Von der Dialectik</fw><lb/>
len, &#x017F;tattfindet,) lauter Eigen&#x017F;chaften, von denen wir<lb/>
uns gar keinen Begriff, zum <hi rendition="#fr">Erkenntni&#x017F;&#x017F;e</hi> des Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes tauglich, machen ko&#x0364;nnen, und dadurch belehrt<lb/>
werden, daß &#x017F;ie niemals zu einer <hi rendition="#fr">Theorie</hi> von u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;innlichen We&#x017F;en gebraucht werden ko&#x0364;nnen, und al&#x017F;o,<lb/>
auf die&#x017F;er Seite, ein &#x017F;peculatives Erkenntniß zu gru&#x0364;n-<lb/>
den gar nicht vermo&#x0364;gen, &#x017F;ondern ihren Gebrauch lediglich<lb/>
auf die Ausu&#x0364;bung des morali&#x017F;chen Ge&#x017F;etzes ein&#x017F;chra&#x0364;nken.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;es letztere i&#x017F;t &#x017F;o augen&#x017F;cheinlich, und kann &#x017F;o<lb/>
klar durch die That bewie&#x017F;en werden, daß man getro&#x017F;t<lb/>
alle vermeynte <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rliche Gottesgelehrte</hi> (ein wun-<lb/>
derlicher Name) <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#fr">Gelehr&#x017F;amkeit</hi> i&#x017F;t eigentlich nur der Inbegriff hi&#x017F;tori&#x017F;cher<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften. Folglich kann nur der Lehrer der geoffenbarten<lb/>
Theologie ein <hi rendition="#fr">Gottesgelehrter</hi> heißen. Wollte man aber<lb/>
auch den, der im Be&#x017F;itze von Vernunftwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften (Mathe-<lb/>
matik und Philo&#x017F;ophie) i&#x017F;t, einen Gelehrten nennen, obgleich<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;chon der Wortbedeutung (als die jederzeit nur dasjenige,<lb/>
was man durchaus gelehret werden muß, und was man al&#x017F;o<lb/>
nicht von &#x017F;elb&#x017F;t, durch Vernunft, erfinden kann, zur Gelehr-<lb/>
&#x017F;amkeit za&#x0364;hlt,) wider&#x017F;treiten wu&#x0364;rde: &#x017F;o mo&#x0364;chte wol der Philo-<lb/>
&#x017F;oph mit &#x017F;einer Erkenntniß Gottes, als po&#x017F;itiver Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
eine zu &#x017F;chlechte Figur machen, um &#x017F;ich deshalb einen <hi rendition="#fr">Gelehr-<lb/>
ten</hi> nennen zu la&#x017F;&#x017F;en.</note> auffodern kann, auch nur eine die&#x017F;en<lb/>
ihren Gegen&#x017F;tand (u&#x0364;ber die blos onkologi&#x017F;chen Pra&#x0364;dicate<lb/>
hinaus) be&#x017F;timmende Eigen&#x017F;chaft, etwa des Ver&#x017F;tan-<lb/>
des, oder des Willens, zu nennen, an der man nicht<lb/>
unwider&#x017F;prechlich darthun ko&#x0364;nnte, daß, wenn man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">alles</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0256] I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik len, ſtattfindet,) lauter Eigenſchaften, von denen wir uns gar keinen Begriff, zum Erkenntniſſe des Gegen- ſtandes tauglich, machen koͤnnen, und dadurch belehrt werden, daß ſie niemals zu einer Theorie von uͤber- ſinnlichen Weſen gebraucht werden koͤnnen, und alſo, auf dieſer Seite, ein ſpeculatives Erkenntniß zu gruͤn- den gar nicht vermoͤgen, ſondern ihren Gebrauch lediglich auf die Ausuͤbung des moraliſchen Geſetzes einſchraͤnken. Dieſes letztere iſt ſo augenſcheinlich, und kann ſo klar durch die That bewieſen werden, daß man getroſt alle vermeynte natuͤrliche Gottesgelehrte (ein wun- derlicher Name) *) auffodern kann, auch nur eine dieſen ihren Gegenſtand (uͤber die blos onkologiſchen Praͤdicate hinaus) beſtimmende Eigenſchaft, etwa des Verſtan- des, oder des Willens, zu nennen, an der man nicht unwiderſprechlich darthun koͤnnte, daß, wenn man alles *) Gelehrſamkeit iſt eigentlich nur der Inbegriff hiſtoriſcher Wiſſenſchaften. Folglich kann nur der Lehrer der geoffenbarten Theologie ein Gottesgelehrter heißen. Wollte man aber auch den, der im Beſitze von Vernunftwiſſenſchaften (Mathe- matik und Philoſophie) iſt, einen Gelehrten nennen, obgleich dieſes ſchon der Wortbedeutung (als die jederzeit nur dasjenige, was man durchaus gelehret werden muß, und was man alſo nicht von ſelbſt, durch Vernunft, erfinden kann, zur Gelehr- ſamkeit zaͤhlt,) widerſtreiten wuͤrde: ſo moͤchte wol der Philo- ſoph mit ſeiner Erkenntniß Gottes, als poſitiver Wiſſenſchaft, eine zu ſchlechte Figur machen, um ſich deshalb einen Gelehr- ten nennen zu laſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/256
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/256>, abgerufen am 26.04.2024.